Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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dadurch sein Ziel.

      »Kommen Sie wieder,« sagte der Maharadscha, und die matten Augen leuchteten wirklich, als der Missionar seinen Gast etwas befremdet entführte. »Kommen Sie heute abend nach Tisch wieder! Sie stammen aus einem ganz neuen Land?«

      Spät am Abend, berauscht vom Opiumtrank, ohne den ein Radschpute weder sprechen noch denken kann, lehrte Seine Majestät diesen unehrerbietigen Fremdling, der ihm von weißen Männern jenseits des Wassers köstliche Geschichten erzählte, das Königsspiel Pachisi. Sie spielten es bis tief in die Nacht hinein in dem marmorgepflasterten Hof, und Tarvin hörte hinter den grünen Fensterläden, die rings um den Hof liefen, Frauenstimmen flüstern und seidene Gewänder rauschen. Ohne den Kopf zu drehen, sah er, daß der ganze Palast Augen hatte.

      Andern Tags traf er den Fürsten in der ersten Morgenfrühe mitten in der Hauptstraße seiner Stadt, der Heimkehr eines wilden Ebers gewärtig. Die Jagdgesetze von Gokral Sitarun galten auch für die Straßen befestigter Städte, und das Wildschwein konnte bei Nacht unbehelligt in den engen Gäßchen seine Nahrung suchen. Der erwartete Eber kam richtig und wurde aus einer Entfernung von hundert Schritten durch Seiner Majestät neue englische Jagdflinte niedergestreckt. Es war ein sehr anständiger Schuß, und Tarvin kargte nicht mit Beifall für den Schützen. Hatte Seine Majestät je eine Münze im Flug durchschießen sehen? Die gelangweilten Augen funkelten vor kindlicher Lust, und Tarvin warf einen amerikanischen Vierteldollar in die Luft, den seine Revolverkugel richtig im Niederfallen durchbohrte. Der Fürst bat ihn, das Kunststück zu wiederholen, aber Tarvin, der seinen Ruf nicht unnütz aufs Spiel setzen wollte, erklärte höflich, zuvor möge einer von den Hofleuten es ihm nachthun.

      Der König hatte die größte Lust, es selbst zu versuchen, und Tarvin warf ihm die Münze. Die Kugel zischte ungemütlich nah an Tarvins Ohr vorbei, aber der Vierteldollar, den dieser artig aus dem Gras aufhob, war richtig durchlocht! Dem Maharadscha war ein Loch, das Tarvin hineingeschossen hatte, ebenso lieb, als das seiner eigenen Kugel, und dieser hütete sich, ihm die angenehme Täuschung zu rauben.

      Am Tag darauf hatte sich die Sonne fürstlicher Huld plötzlich verdunkelt, ja, es trat völlige Sonnenfinsternis ein und Tarvin erfuhr erst durch die sehr mißvergnügten Handlungsreisenden im Dâk Bungalow, daß Sitabhai wieder einmal in königlichem Zorn zu rasen geruhe. Auf diese Nachricht hin verfügte sich Tarvin samt seiner ungeheuren Fähigkeit, Menschen im Sturm zu gewinnen, zu Oberst Nolan und brachte den verdrießlichen weißhaarigen Herrn durch seine Schilderung der fürstlichen Schießübungen zum Lachen, wie er seit seinen Leutnantstagen nicht mehr gelacht hatte. Tarvin teilte dann das zweite Frühstück mit ihm und erhielt im Lauf des Nachmittags volle Klarheit darüber, was die englische Regierung im Staat Gokral Sitarun eigentlich bezweckte. Das indische Kaiserreich wollte das Land heben; da der Maharadscha indes nichts für Kulturfortschritte ausgeben wollte, ging es damit sehr langsam. Was Oberst Nolan über die innere Palastpolitik äußerte – natürlich mit der seiner Stellung zukommenden Vorsicht – war genau das Gegenteil von dem, was der Missionar gesagt hatte, und wich andererseits auch gänzlich vom Klatsch der Handlungsreisenden ab.

      Gegen Abend sandte der Maharadscha einen berittenen Boten an Tarvin, denn das Gewitter in den königlichen Gemächern hatte ausgetobt, und ihn verlangte nach dem großen weißen Mann, der Münzen in der Luft durchschießen, Geschichten erzählen und Pachisi spielen konnte. An diesem Abend kam aber noch andres als Pachisi aufs Tapet: Seine Majestät war in rührsamer Stimmung und vertraute Tarvin in einer langen, ausführlichen Unterredung seine persönlichen Nöte und die des Staats an, wobei ihm die Verhältnisse zum zweitenmal in ganz anderm Licht gezeigt wurden. Am Schluß kam dann eine etwas unzusammenhängende Anrufung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, von dessen unumschränkter Macht und weitreichendem Einfluß ihm Tarvin, dessen Patriotismus in diesem Augenblick sich auf die ganze Nation erstreckte, der Topaz angehörte, eine hohe Vorstellung beigebracht hatte. Immerhin hielt Tarvin die Stunde noch nicht für gekommen, Unterhandlungen wegen des Naulakha anzuknüpfen – der Maharadscha würde jetzt vielleicht sein halbes Königreich verschenkt und sich morgen an den Statthalter gewendet haben!

      Der nächste und noch mancher folgende Tag brachte ganze Karawanen in allen Regenbogenfarben prangender Orientalen in das Rasthaus, wo Tarvin sich noch immer aufhielt. Jeder einzelne davon war Minister irgend eines Hofes, sah mit tiefer Verachtung auf die geduldig harrenden Geschäftsleute herab, verfehlte aber nicht, sich Tarvin ehrerbietig zu nähern. Von jedem einzelnen wurde er in geläufigem, etwas geziertem Englisch eindringlich gewarnt, doch ja niemand zu trauen, als eben ihm; jede dieser vertraulichen Unterredungen schloß mit: »An mir haben Sie einen wahren Freund, Sahib,« und jeder bezichtigte seine Kollegen dem Fremden gegenüber der verbrecherischen oder wenigstens übelwollenden Anschläge gegen die Regierung, die er vermutlich selbst im Schild führte.

      Tarvin konnte sich nur teilweise zusammenreimen, was all das zu bedeuten hatte. Mit dem Maharadscha Pachisi zu spielen, dünkte ihm gar kein so außerordentlicher Vorzug, und die gewundenen Gedankengänge orientalischer Diplomaten waren für ihn dunkel. Ebenso unverständlich war Tarvin diesen Herrn Gesandten! Vollständig selbstbewußt, vollständig furchtlos und, soweit sie die Sache überblicken konnten, ganz uneigennützig war dieser Fremdling an ihrem Horizont aufgetaucht, um so triftigere Gründe hatten sie ihrer Lebensanschauung nach, in ihm einen wohlverkleideten Regierungsvertreter zu vermuten, der Pläne ausführen sollte, die in undurchdringliches Geheimnis gehüllt waren. Daß er eine wahrhaft barbarische Unwissenheit verriet in allem, was die innere indische Politik anging, bestärkte sie nur in ihrem Verdacht. Daß er den Maharadscha insgeheim besuchte, stundenlang mit ihm allein war und für den Augenblick des Königs Ohr besaß, genügte ihnen.

      Diese feierlichen, glattzüngigen, geheimnisvollen Gäste wurden Tarvin bald zum Ueberdruß, ja sie erfüllten ihn mit Widerwillen und er hielt sich dafür an den Handlungsreisenden schadlos, denen er Anteilscheine seiner Land-und Bodenverbesserungsgesellschaft aufhängte. Dem Gelbseidenen, als seinem ersten Bekannten und Berater in diesem wunderlichen Land, vergönnte er sogar ein paar Aktien seiner Lieblingsmine »Die zögernde Ader«. Es waren die Tage vor der Goldernte im Unteren Bengalen, und man hatte damals noch Vertrauen in die amerikanischen Minen.

      Derartige Geschäfte versetzten ihn in Gedanken in die Heimatsluft von Topaz und erweckten eine brennende Sehnsucht nach Nachricht von den Freunden daheim, von denen er sich völlig abgeschnitten hatte durch das Geheimnis, worein er sein Unternehmen hüllte. Er wollte ja den hohen Einsatz allein wagen, der Gewinn dagegen sollte allen zu gute kommen. Aber alle Rupien in seiner Tasche würde er freudig hingegeben haben für eine einzige Nummer des Topazer Tagblatts, ja sogar für einen Blick in die Zeitung von Denver! Was mochte in seinen Minen vor sich gehen – in der »Mollie K.«, die in Pacht betrieben wurde, der »Mascot«, über der ein Rechtsstreit schwebte, in der »Zögernden Ader«, wo man bei seiner Abreife eben im Begriff gewesen war, neue reiche Adern zu erschließen, und wie stand es um seine Rechte auf die »Garfield«. die Fibby Winks bestritt? Was war aus den Minen seiner Freunde, ihren Viehweiden und ihrem sonstigen Handel seither geworden? Was aus Colorado und den Vereinigten Staaten insgesamt? Er war ja so ganz auf dem Trockenen mit Nachrichten, daß man in Washington das Silber gesetzlich abgeschafft, die Republik in eine Monarchie verwandelt haben könnte, ohne daß er etwas davon erfahren hätte!

      Sein einziges Heilmittel gegen die Pein dieser heimmärtsschweifenden Gedanken war ein Besuch im Missionshaus, ein Gespräch über Bangor und den Staat Maine. In dem Haus war ihm wohl, schon weil er wußte, daß jeder Tag das kleine Mädchen dort hinführen konnte, das im Aug’ zu behalten er um die halbe Erdkugel gereist war. Im leuchtenden Glanz eines gelben und violetten Sonnenaufgangs wurde er am zehnten Tag nach seiner Ankunft durch eine schrille Kinderstimme aus dem Schlaf geweckt, die von der Veranda her erklang und ungesäumt den »neuen Engländer« zu sprechen verlangte. Der Maharadscha Kunwar, der voraussichtliche Thronerbe von Gokral Sitarun, ein bleichschnäbeliges Knäblein von neun Jahren, hatte seinem Miniaturhofstaat, den er ganz gesondert von dem des Vaters besaß, Befehl erteilt, seine leichte Halbchaise einzuspannen und ihn zum Dak Bungalow zu befördern.

      Wie sein welker Vater lechzte auch dieses Kind nach Unterhaltung, und die Frauen im Palast hatten ihm erzählt, daß der Maharadscha immer herzlich lache, wenn der »neue Engländer« bei ihm sei. Der Maharadscha Kunwar sprach noch viel besser englisch als sein Vater, auch französisch


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