Schneemond. Vivian Schey

Schneemond - Vivian Schey


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konnte sie nie«, bestätigte mich Dad und fragte weiter: »Schule?« »Ging so«, wand ich mich ein wenig, »bin aus Musik geflogen, Brief kommt noch.«

      »Singen musst du nicht können, das ist egal«, beruhigte mich Dad, doch ich erklärte ihm, warum ich aus dem Unterricht entfernt wurde: »War nur, weil ich alle europäischen Komponisten aufzählen sollte, die ich kenne. Also hab ich gesagt: ›Er nahm sie am Händel, führte sie über den Bach in die Haydn und verbrahmste ihr einen mit Liszt‹.« Dad musste sich die Hand vor den Mund halten, sonst wäre der Bissen vor Lachen herausgefallen: »Bitte sag, dass du das nicht gemacht hast!« Mir blieb ja nichts anderes übrig: »Doch, habe ich. Alle haben gelacht, ich durfte gehen.« »Gutes Mädchen«, tätschelte Dad meine Hand und lächelte mir zu. Ich wusste, ich musste mir keine Sorgen wegen des Briefes machen, von Dads Kollegen kannte ich noch ganz andere Sprüche! »Weil wir gerade davon reden …«, fing Dad etwas verlegen an, ich wusste sofort, was er wollte und schritt ein: »Keine Sorge, alle Herzen noch ganz.« »Gut, gut! Freut mich zu hören«, kam schnell von ihm, dann legte er sein Messer weg: »Na ja, eigentlich freut es mich nicht. Tut mir leid.« »Ist schon gut. Ich bin drüber weg«, beruhigte ich ihn, doch ich würde es wohl nie sein. Schweigend aßen wir weiter, in meinem Kopf kam es hoch.

      Jesse.

      Fünf Jahre war es her. Als wir Oma und Opa in Idaho besuchten, stand sie da und hängte Plakate für das Café ihrer Eltern auf. Ich war sofort in sie verknallt, bis über beide Ohren. Wir blieben zwei Wochen, es war eine herrliche Zeit. Doch, als ich ihr sagte, was ich empfand …

      Mir kam es damals vor, als würde mich die ganze Stadt auslachen! Und jetzt ging sie auf die gleiche Highschool, an die ich musste. Jedes Mal aufs Neue zerbrach mein Herz. Doch jetzt war ich ja wieder zu Hause. Butte, Montana, reichster Hügel der Welt! Ich schnaufte zufrieden, leerte die Reste von meinem Teller und schob ihn dann von mir: »Puh! Das war aber mal nötig. Krieg keinen Bissen mehr runter.« »Freut mich, dass es dir geschmeckt hat, Hase. Nachtisch?« »Unbedingt!«, gab ich zurück und war heilfroh, dass ich keine Hose trug! Der Apfelkuchen war großartig, den Abwasch erledigte die Spülmaschine und wir verpflanzten uns vor den Fernseher. Es lief zwar irgendein Mist, aber wenigsten konnte ich mich mit Dad gemeinsam darüber aufregen. So verging der Abend, kurz nach elf verabschiedete ich mich ins Bett und ging nach oben. Noch schnell geduscht, Nachthemd an und schon schlief ich auch ein.

      Den Wecker brauchte ich am nächsten Morgen nicht, ein Rotschwanzbussard hatte sein Nest gleich in dem Baum neben meinem Fenster. So sehr ich mir auch die Decke über den Kopf zog, half es nichts, ich musste ihn zur Räson bringen! Also erhob ich mich und öffnete mein Fenster. Doch kaum war es auf, flog er fort. Beim Zumachen fiel mir ein rötlicher Fleck im Schnee auf, wahrscheinlich etwas von seiner Beute. Liegenlassen war nicht drin, also machte ich das Fenster wieder zu und ging nach unten, um die Reste zu entsorgen. Bevor ich nach draußen entwich, nahm ich mir noch zwei Einweghandschuhe aus der Küche, dann rannte ich schnell barfuß durch den Schnee zum Fleck. Es war wohl mal eine Ratte gewesen, nichts Weltbewegendes. Ich entsorgte den Kadaver mitsamt den Handschuhen in die Mülltonne und prallte gegen die versperrte Eingangstür! Erst jetzt fiel mir das neue Schloss wieder ein, ich fluchte fürchterlich und klingelte und hämmerte gleichzeitig gegen die Tür. Es wirkte, aber erst nach ein paar Minuten. Mit einem mürrischem: »Ja ja, ich komm ja schon!«, hörte ich Dad die Treppe herabpoltern, dann ging die Tür auf. »Morge… Ja was zum …?!?«, kam von Dad, ich drückte mich schnell an ihm vorbei nach drinnen. Bibbernd stapfte ich hoch ins Bad, rupfte mir das Nachthemd vom Leib und stellte mich unter die Dusche. Nur wenige Minuten, dann ging es wieder und ich wusch mich gleich. Nach dem Zähneputzen und noch Haareföhnen sah ich erst vorsichtig in den Flur, bevor ich in mein Zimmer schlüpfte.

      Angezogen war ich schnell, das Gleiche wie gestern. Nicht dasselbe, das Gleiche. Also in dunkelrot und nicht anthrazit. Ich hab auch noch so ein Kleid in blau, nur so nebenbei. Ich liebe diese Dinger: Leggins drunter, Kleid drauf, rein in die Stiefel und fertig!

      Ebenso schnell, wie ich gerade über den Flur gehuscht war, rumpelte ich jetzt hinunter in die Küche. Dad hatte mir schon eine Schüssel mit Cornflakes hingestellt, nur noch keine Milch: »Was hast du denn da draußen gemacht?« »Herrn Bussard seine Reste entsorgt«, gab ich wahrheitsgemäß an, Dad schüttelte mit dem Kopf: »Im Nachthemd? Das hätte doch warten können, oder?« »Ja, vielleicht«, antwortete ich knuspernd, »wäre aber schneller wieder drin gewesen, wenn ich einen Schlüssel gehabt hätte.« »Ach ja richtig, da war doch noch was«, brabbelte Dad gedankenverloren und schob mir einen Schlüssel über den Tisch zu. Um ihn gleich wieder einzukassieren: »Ich mach besser eine Schnur dran. Falls du wieder halb nackig da raus rennst. Weißt du ja sonst nicht, wohin damit.« »Ich wüsste da schon so zwei, drei Plätzchen«, grinste ich und forderte mit Hand den Schlüssel: »Los, gib schon her, du Schlüsselmacher!« Er schob ihn über den Tisch, unnötig zu erwähnen, dass er über beide Ohren grinste. »Was machen wir heute?«, wollte ich wissen, die Antwort konnte ich mir aber schon denken: »Na ja, als erstes sagen wir mal Papa Bär guten Tag, dann sehen wir uns die Stadt an und kaufen noch ein paar Sachen für die Hütte. Hast du was Anderes vor?« Ich schüttelte mit dem Kopf: »Nein. Genau so dachte ich mir das auch.«

      Klappernd sammelte ich Dads leere Schüssel ein, warf beide zusammen mit unseren Löffeln in den Geschirrspüler und versuchte mal wieder, eher am Auto zu sein, als Dad. Natürlich schaffte ich es nicht, obwohl sich Dad seine Stiefel noch zubinden musste und ich nur hineinschlüpfen brauchte. Aber er war in fast allem immer schneller, als ich. Klar hatte er mich als kleines Mädchen gewinnen lassen! Aber jetzt nicht mehr. Als trotzdem nicht unglückliche Verliererin stieg ich ins Auto und wir donnerten los.

      Kapitel ZWEI

      Unten in der Stadt angekommen fuhr Dad gleich zur Station der Ranger. Scheinbar hatte er mich schon irgendwie von mir unbemerkt angekündigt, denn alle Autos standen hinten auf dem Parkplatz, als wir ankamen. Ein sehr seltener Anblick. Kaum, dass wir beide hinein gingen, kam mir Konfetti entgegen und es wurde mir aus allen Richtungen mit Tröten entgegengeprustet! Ich kam mir vor wie auf meiner Geburtstagsfeier, nur, dass ich gar keinen Geburtstag hatte? »Wow! Was ist denn hier los!?«, fragte ich freudig überrascht, Dad schob mich in die Mitte des großen Büros und schlich hinter mir vorbei, an die gegenüberliegende Wand. Zu den Anderen, aufgebaut wie ein Knabenchor.

      Sein Chef, von allen nur Papa Bär genannt, trat vor und räusperte sich. Dann fing er an zu schwafeln: »Catherine Dunbar, Tochter von Russell Butler Hobbs, sei willkommen! Von nun an seiest du aufgenommen in den ehrenvollen Kreis der Hüter des Waldes, zeige Respekt gegenüber aller Flora und Fauna und auch gegenüber den Deppen! Züchtige das Feuer und entfache es nicht, verrate nie den Schlafplatz eines Bären und sei auf der Hut vor den Ameisen, denn sie werden eines Tages über die Erde herrschen!« »Herrrschen!!«, kam im Chor von der Wand, ich hatte keine Ahnung, was der Unfug sollte. Doch es klärte sich langsam auf: »Du hast begehret Einlass zu finden in unsere Mitte, doch das Ministerium im fernen Washington hat befunden, dich abzulehnen. Weil du noch ein Küken bist.« »Küüüken!«, kam von der Wand, ich musste mich ernsthaft zusammenreißen, dass ich nicht sofort in schallendes Gelächter ausbrach! »Doch uns hier ist das egal, du hast stets Mut und mehr Verstand als dein alter Herr bewiesen …« Dad protestierte: »Na he! Ich bin doch kein Dummie!« »… und – Butler halt die Klappe! – Wo war ich? Ach ja: … und deswegen überreiche ich dir hiermit das Schwert der Weisheit …« »Weiiiisheit!!« »… welches du hüten sollst auf immerdar. Oder bis du es verlierst, dann bekommst du ein Neues.«

      Er hielt mir einen kleinen Schlüssel entgegen, ich wusste, wofür der war, und brach fast augenblicklich in Freudentränen aus: »Oh mein Gott, ihr nehmt mich an?« »Hier unterschreiben«, hielt mir Dad eine Kladde hin, ich tat es zitternd und schon waren alle um mich und beglückwünschten mich! Als ersten schoben sie Eule in seinem Rollstuhl vor mich, ich kniete mich vor ihn hin und er umarmte mich: »Lass dich mal drücken, Kleines! Hast ja lange genug gewartet, was?« Ich umarmte ihn auch, ganz vorsichtig. Mit seinen 94 Jahren war er verdammt zerbrechlich, aber im Geiste fit wie ein Turnschuh! Eule war einer der ersten Ranger im Silver Bow County, heimliches Maskottchen der Station und nicht zu ersetzen! Als ich wieder aufstand, kam schon Gangsta und bot mir seine Faust an, ich drückte


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