Gaunerinnen. Jana Denole Яна Деноль
dir wünschst. Tanzen ist gar nicht nötig. Und Sex haben die Japaner nur in ihrer Fantasie. Dann hast du dich also entschieden?“
„Ja.“
Erzähl mir bitte von den Vertragsbedingungen und den Anforderungen des Klubs. Was habe ich von Schlitzaugen zu erwarten?“
„Auf einen japanischen Vertrag muss man normalerweise ein halbes Jahr warten. In Städten wie Tokio noch länger. Aber ich habe eine Last-Minute-Anfrage aus Nagasaki. Ein Mädchen hat den Vertrag aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt. Deshalb kannst du in zweieinhalb Monaten fliegen, wenn wir sofort ein Visum beantragen würden. Der Klub heißt Chorus Line. Der Chef dort ist ein schöner, hochgewachsener junger Mann. Tanzen ist nicht nötig, weil alle Mädchen dort tanzen. Die Nacht ist gar nicht lang genug, dass alle an die Reihe kommen.“
„Sind die Tänze so beliebt? Hat das einen Grund?“
„Ich erkläre es euch. Während der Show dürfen die Mädchen den Gästen Blumen verkaufen. Jede Blume kostet ungefähr zehn Dollar. Das Trinkgeld des Mädchens hängt davon ab, wieviel Blumen sie verkauft. Die Blumen sind aus Kunststoff. Viele Tänzerinnen verdienen auf diese Weise genug für ihr Essen und die Kleidung während der ganzen Vertragsdauer. Den Lohn legen sie auf die Seite.“
„So! Hast du gehört, wie der Job zu machen ist, Stella? Du hättest natürlich die ganze Vertragszeit mit stolzer Miene rumgesessen und deinen ganzen Lohn ausgegeben oder im Suff verschleudert. Du großzügige Seele! Und wahrscheinlich würdest du auch noch einen Japaner mit Babypimmel finden und dich in ihn verlieben! Ha! Ha! Ha!
„Lass mich in Ruhe, Natalja! Du bist betrunken! Erzähl weiter, Darja.“
„Wo waren wir?“
„Bei Tänzen und Blumen.“
„Ah ja. Das mit den Tänzen haben wir geklärt. Das war in Ordnung für dich. Aber der Verdienst dort ist sehr gering, kein Vergleich mit der Schweiz. Rechnet man den japanischen Yen in Dollar um, macht das ungefähr fünfhundert Dollar im Monat.“
„Aha! Das ist lächerlich! Stella wird niemals drauf eingehen!“
„Halt den Mund oder geh ins Bett!“
„Ich bin schon still. Excuse moi, Mademoiselle.“
„Womit wir dort überhaupt Geld verdient?“
„Mit den Getränken, wie in der Schweiz. Aber dort kann man einen gewöhnlichen Saft oder Tee trinken.“
„Och, helft mir! Ich ersticke vor Lachen! Stella trinkt Tee! Und den Whiskey trinkt sie hinterher!“
„Erzähl weiter, Darja“, zischte Stella streng. Sie wurde nervös. Sie wollte sich möglichst schnell von Darja verabschieden, ein Glas Whiskey kippen und niemanden mehr um sich herum hören.
„Also. Den Flug, die Versicherung und die Wohnung bezahlt ihr selbst. Die Miete ist nicht hoch, weil ihr zu sechst in einer Einzimmerwohnung untergebracht werdet. In Doppelstockbetten wie in einem Kinderferienlager.“
„Oh Gott.“
Natalja versuchte, das Lachen niederzukämpfen. Sie wurde rot wie eine Tomate.
„Der Vertrag läuft sechs Monate.“
„Wieviel Geld verdienen die Mädchen normalerweise während der gesamten Vertragsdauer?“
„Wer es nicht schafft, ein paar Kunden auszunehmen, bekommen ab fünftausend Dollar. Diejenigen, die mehr Glück haben, bringen viel Geld mit nach Hause. Sie kaufen sich Wohnungen und Autos, Villen und Landhäuser. Sie bekommen riesige Beträge überwiesen, auch nachdem sie Japan schon verlassen haben. Die Japaner mögen blonde Schönheiten. Viele von ihnen sind bereit, ein paar hunderttausend Dollar hinzublättern, um so eine Spezialität zu kosten.“
„Ooooo! Jetzt habe ich Lust, mitzufliegen, Stella! Ich würde die Schlitzaugen mein wildes Fleisch genießen lassen. Was meinst du, wieviel gelbe Typen könnte ich pro Nacht ficken? Drei Minuten für jeden und mit einer Zigarettenpause? Ha! Ha!
„An dir habe ich keine Zweifel. Du Naturtalent! Du hast schon mehrmals glänzend bewiesen, was du kannst!“
„So. Ich muss dir noch alles über den Flug erzählen. Wir bestellen Tickets mit Umsteigen in München und in Fukuoka. Das richtige Gate würdest du doch finden, oder? Sprichst du Englisch?“
„Ja.“ Damit habe ich kein Problem.“
„Hier hast du das ganze Unterlagenpaket. Oh, hätte ich fast vergessen! Um dein Visum zu bekommen, musst du nach Moskau. Und der Flug nach Japan startet von dort aus.“
„Ok. Ich bin einverstanden.“
„Womit bist du einverstanden, Stella? Mit Moskau? Wir dürfen doch nicht über die Grenze und zurück!“
„Zurück will ich nicht. Möchtest du nicht ein paar Monate in Moskau verbringen, Natalja? Und dann von dort aus fliegen?“
„Geht das denn? Natürlich will ich das! Keine Frage! Moskau, ich komme! Freu dich auf deinen Star!“
„Abgemacht“, antwortete Stella mit einem Lächeln. Sie war zufrieden, dass Natalja ihre Idee ohne besondere Erklärungen und Fragen aufgegriffen hatte.
Erst jetzt begriff Stella, dass die Beziehung zwischen ihnen beiden während dieser ganzen Zeit fast verwandtschaftlich geworden war.
„Wo auf der Welt findet man den Menschen, der einen auf Anhieb versteht? Natalja weiß, in was für einer Situation wir stecken. Uns droht Gefängnis. Moskau ist keine schlechte Option für Leute, die untertauchen wollen. Dort wird uns ganz sicher niemand suchen. Vielleicht wäre es besser, mit ihr zusammen nach Genf zu gehen?“, fiel ihr ein. Aber schon im nächsten Augenblick gewann die Vernunft wieder die Oberhand über Stellas Schwäche. „Oh nein! Du solltest eine Pause von dieser Beziehung nehmen!“ Da sprach plötzlich ihr zweites, nüchternes Wesen.
„Wieso bewegst du die Lippen, Stella? Du siehst aus wie ein Fisch.“
„Ich rede mit meinem Schatten.“
„Frag ihn doch, ob er tanzen kann. Und ob er mit mir nach Genf fährt. Oder ist er genau so blöd wie du?“
„Lass mich in Ruhe!“
Die Arbeit mit Natalja im Notariat war ein ständiger Stress gewesen. Hätte Stella allein ihre Gaunereien betrieben, hätte niemand sie je entlarvt. Aber wer weiß, was und wie noch alles passieren könnte. Natalja hatte sie immer unterstützt und ihr auch mit ihrem Wissen weitergeholfen.
Darja unterbrach Stellas Gedankengang.
„Also, Mädels, ich muss gehen. Unterschreibt bitte die Papiere und bleibt in Kontakt. Danke.
„Danke dir für alles, Darja! Bitte entschuldige, wenn wir zu viel geredet haben.“
„Ach was! Es war doch ein angenehmer Abend. Ihr seid echt cool!“
„Und Kohle hast du auch gemacht! Hick, hick!“ Es war Nataljas Stimme. Ihre Worte wurden von Schluckauf unterbrochen. Stella errötete. Wie immer schämte sie sich für ihre Freundin. Es entstand der Eindruck, dass sie sich für Nataljas Verhalten schämen musste, weil dieser das entsprechende Gefühl gänzlich fehlte. Man sagt doch, die Menschen müssen einander ergänzen.
Lange saßen die Freundinnen schweigend beisammen, als ob sie Abschied voneinander genommen hätten. Merkwürdigerweise drängten sich ähnliche Gedanken in den Köpfen beider Mädchen.
„Wie wird es sein, allein in ein fremdes Land zu fliegen? Was erwartet uns? Werden die Veränderungen positiv oder negativ ausfallen?
Werden wir am Flughafen verhaftet, bevor wir ins Ausland fliegen?“
Leider blieben diese Fragen ohne Antwort.
So viel war in dieser Zeit passiert: Höhen und Tiefen, Lustiges und Trauriges, Liebe, Glück und Leid. Nun lagen vor ihnen andere Länder und Städte! Japan und die Schweiz oder schwedische Gardinen und Häftlingssuppe.
Plötzlich erinnerte sich Natalja an Zeilen aus einem Lied von Iwan Kutschin, das einer ihrer Kunden gesungen hatte. Der kahlköpfige Knastbruder