Baupläne der Schöpfung. Johannes Huber

Baupläne der Schöpfung - Johannes Huber


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– und zeitlos dem Menschen offenbaren.

      Nachdem unsere ganze Existenz Abbildcharakter hat, gibt es zur These, dass der Mensch Gott bloß erfand, auch die Antithese der Feinsinnigen: dass wir nämlich deshalb über Gott nachdenken, weil wir von ihm geprägt worden sind.

      Da war etwas, und es hinterließ Spuren.

      Prägemechanismen gibt es in der Natur unzählige.

      Feuerbach bemüht die Fantasie des Menschen, der er eine eigenständige Spontaneität zuordnet, Dinge aus dem Nichts zu erfinden, so wie den Gottesbegriff. Gerade die Neurophysiologie lehrt uns aber, dass die Konstrukte der Fantasie von jenen Umständen geprägt sind, denen der Mensch gegenübersteht. Die Fantasie kann nur Begriffe schaffen oder neu verbinden, für die der menschliche Geist imprägniert wurde.

      Als würde man gute Gedanken auf fruchtbarem Boden säen.

      »Der Glaube an ein Jenseits ist«, so Feuerbach, »nicht nur aus der Trauer, nach dem Tode in Nichts aufzugehen, entstanden, sondern der Glaube an das Jenseits entspringt dem Glauben an die Freiheit des Subjekts, die Schranken der Natur überwinden zu können.«

      Diese Naturschranken waren für Feuerbach die Gesetze der mechanistischen Physik. »Jenseitsvorstellungen sind«, nach Feuerbach, »der beste Beweis, dass der Mensch die Zwangsjacke der irdischen Existenz überschreiten möchte.« In der Annahme, dass es jenseits dieser Zwangsjacke keine Physik mehr gäbe. Ein Argument, das dem alten physikalischen Weltbild entsprach.

      Feuerbach spricht indirekt immer wieder über die »Fantasie«, um zu erklären, warum Menschen auf die Idee kämen, dass es einen Weltenbaumeister gäbe. Die Hypothese, nach der sich unsere Fantasie einen Schöpfer erschafft, rührt aus einem alten neurologischen Konzept: dass der Geist alles, was er will und was ihm genehm ist, aus seiner Tüte hervorholt.

      Unsere Fantasie ist aber keine Popcorn-Maschine, aus deren Ideen und Vorstellungen nur so hervorquellen, sondern lediglich Chiffre für neuronale Vernetzungen, die den Stempel eines Gegenübers trägt. Unsere Existenz hat einen Stempel, der unabhängig von uns existiert und dessen Abbild wir sind.

      Ob der Mensch deswegen religiös projiziert, weil er dafür geistig durchsättigt worden ist, wäre eine Denkvariante, die man Feuerbach und seinen Brandstiftern als Antithese gegenüberstellen kann.

      Ich tue das hiermit.

      Feuerbachs Hypothese ist die Projektionswand, die der Mensch mit seinen Wünschen füllt. Allerdings, und das ist meine andere Hypothese, hat diese Wand eine Rückseite, die unabhängig vom Betrachter geprägt wird, ihn aber seinerseits prägen kann.

      Der Mensch kann die Rückseite der Wand nicht sehen.

      Aber sie ist da.

      8

      Prägende Umstände

      Fakten. Einheiten. Systeme. Ziffern. Klammern. Amplituden. Für die mesokosmische Welt, in der wir leben und die sich zwischen dem Mikro – und Makrokosmos bewegt, ist das Diesseits leicht zu beweisen: Elemente, physikalische Gesetze, Schwerkraft und Kausalität. Begriffe, die wir messen können und die sich unserer Vorstellung nicht entziehen, prägen unsere Existenz. Und auch die verändert sich stetig.

      Die Atmung ist ein beeindruckendes Beispiel. Sie entstand nicht durch das Würfeln, sondern durch den Anstieg der Sauerstoffkonzentration in unserer Atmosphäre. Wenn wir atmen, wenn das Blut Sauerstoff transportiert und unsere Zellen Wasser bilden, das wir dann über die Niere ausscheiden müssen, dann sind das letztendlich alles Adaptionsmechanismen, die sich am Erscheinen des Sauerstoffs orientierten – aber gleichzeitig die Evolution gewaltig anspornten. Die rote Farbe des Blutes, unsere Lungen und Nieren, das Herz und die Blutgefäße spiegeln das Erscheinen des Sauerstoffs wider. So wurde er schließlich zur Droge.

      Auch die Erdrotation prägte unsere Zellen: Der Tag-Nacht-Rhythmus beeinflusste einst den Lebensrhythmus von Einzellern. Dieses Metronom des Daseins hat sich im Laufe der Evolution bis zum Homo sapiens erhalten und weiterentwickelt. Reptilien bilden ein eigenes Organ, mit dessen Hilfe sie ihre Zellen in den Nacht – oder Tagzustand führen, entsprechend der Sonneneinstrahlung. Dieses sogenannte Pinealorgan befindet sich am Kopf unter einer dünnen, durchsichtigen, knöchernen Membran, die das Licht hindurchlässt. Bei den Säugetieren entwickelte sich daraus die Epiphyse. Man weiß genau, in welchen Hirnarealen der Säuger – und damit auch des Menschen – der Tag-Nacht-Rhythmus sich materialisierte: Vor allem ist es der nucleus suprachiasmaticus, der Neuronen heranwachsen ließ, die die Erdrotation widerspiegeln. Während des Tages geben sie andere Signale ab als während der Nacht, wobei sich das Auge nur untergeordnet dazwischenschiebt. Der Rhythmus selbst ist in biochemische Reaktionen gegossen, durch die Rotation der Erde. Erstaunlich, nicht? Jene Gene, die unsere Zellen zum Tagwerk anregen, lassen gleichzeitig auch Substanzen wachsen, die, wenn sie eine gewisse Schwelle erreichen, eben diese Tagesgene wieder abschalten, die sie letztendlich hervorgebracht haben. Dadurch bleibt der Tagzyklus zirka 12 Stunden erhalten, um dann in eine biochemische Ruhephase überzugehen, in der auch die Hemmstoffe des Tages weniger werden, sodass nach weiteren 12 Stunden die Tagesgene erneut zu arbeiten beginnen. Ein tagtägliches Phänomen und Beispiel, wie sich Umwelt in unseren Genen widerspiegelt.

      Das ist kein Zufall. Das ist Evolution.

      Aber selbst so banale Konstanten wie die Höhe über dem Meeresspiegel und der Sauerstoffpartialdruck prägen uns und unsere Gene. In Tibet leben die Menschen auf rund 4.000 Meter Höhe, was auch die Gene registrierten. Steigen Menschen aus unseren Breiten auf 4.000 Meter hohe Berge, bilden sich zum Ausgleich für den geringeren Sauerstoffgehalt deutlich mehr rote Blutkörperchen. Allerdings mit einer Nebenwirkung: Das Blut wird dicker. Weil mehr Blutkörperchen in die Gefäße abgegeben werden. Dadurch sinkt die Durchblutung der feinen Kapillaren, man wird schwindlig, mitunter ohnmächtig.

      Wie kürzlich zwei klinische Gelehrte entdeckten, haben sich bei den Tibetern immerhin 30 Gene derartig verändert, dass sie nicht mehr überschießend Blutkörperchen bilden, dadurch die Mikrozirkulation nicht verändern, aber trotzdem ausreichend Sauerstoff transportieren. Nach Meinung der Wissenschaftler war diese spiegelbildliche Umstellung und Anpassung in nicht einmal 3.000 Jahren passiert, was nach dem derzeitigen Wissensstand der schnellste bekannte evolutionäre Anpassungsschritt der Menschheit wäre. Ein Wimpernschlag in der Entwicklung. Bisher war nur ein anderer, allerdings länger zurückliegender Spiegelreflex auf die Umwelt bekannt: die Laktosetoleranz, die die Nordeuropäer innerhalb von 7.500 Jahren in die Lage versetzte, auch als Erwachsene Milch trinken zu können.

      Das heißt, der Mensch verändert sich permanent. Er wächst, wird größer und intelligenter. Er steht auf der Schwelle zur nächsthöheren Stufe. Zum Homo novus, dem neuen Menschen. Einer, der versteht, wie man die letzten Puzzleteile des Lebens ins Spiel bringt und zu einem Gesamtbild formt.

      9

      Gehirn. Genom. Geheim

      Nicht nur das Hämoglobin und die Lunge, auch das Gehirn ist ein Abbild der Welt, die uns umgibt: So gehen die Genfer Neurowissenschaftler Pierre Magistretti und Delosan Lossana, aber auch der Kinderpsychiater François Ansermet davon aus, dass das Gehirn kein genetisch streng determiniertes Organ sei, sondern die Reizaufnahme aus der äußeren Wirklichkeit Spuren im Nervensystem hinterlässt. Das Gehirn wird dynamisch, der Epigenese folgend, interpretiert. Außenwelt und Erfahrung wirken sowohl auf neuronaler wie auch auf synaptischer Ebene prägend, was bis ins Unterbewusste reichen kann.

      Synapsen regulieren die Erregungsübertragung zwischen den Nerven; daran sind einfache Moleküle, Neurotransmitter, dazu Elemente und Ionen beteiligt. Im Unterschied zur früheren Auffassung, dass das alles genetisch vorbestimmt wäre, neigt man heute eher zu der Meinung, die Plastizität sei so groß, dass unser Gehirn bei der Ausformung von Synapsen die Außenwelt mitpartizipieren lässt.

      Dadurch wird die Neurogenese von der Umwelt mitgestaltet. Die Zahl der Neuronen ist keineswegs endgültig fixiert, wie das noch vor nicht allzu langer Zeit die Meinung der Schulmedizin war. Durch die Neuroplastizität bekommt das Gehirn eine


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