Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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ein Wassersüchtiger von seiner Geschwulst frei, und veranlaßte vier oder fünf Diebesweiber, die sich an demselben Tische um ein am Abende gestohlenes Kind zankten, sich die Nase zuzuhalten. Alles das waren Umstände, die zweihundert Jahre später, wie Sauvel sagt, »dem Hofe so spaßhaft erschienen, daß sie dem Könige zum Zeitvertreibe und als Scene im königlichen Ballet ›Die Nacht‹ dienten, das in vier Abtheilungen auf dem Theater Petit-Bourbon getanzt wurde«. »Niemals,« fügt ein Augenzeuge von 1653 hinzu, »sind die plötzlichen Verwandlungen des Wunderhofes mit mehr Glück dargestellt worden. Benserade bereitete uns in recht niedlichen Versen darauf vor.«

      Lautes Lachen und unzüchtige Lieder erschollen von allen Seiten. Jeder wurde anmaßend, machte boshafte Bemerkungen und fluchte, ohne auf seinen Nachbar zu hören. Die Krüge erklangen, Streit erhob sich beim Anstoßen mit denselben, und die schartigen Humpen zerrissen die Lumpen der Zänker.

      Ein großer Hund, der auf seinem Hintertheil saß, stierte ins Feuer. Kinder fehlten gleichfalls nicht bei dieser Orgie. Der gestohlene Knabe weinte und schrie. Ein anderer dicker Bursche von vier Jahren saß mit herabhängenden Beinen auf einer zu hohen Bank hinter einem Tische, der ihm bis ans Kinn reichte, und sprach kein Wort. Ein dritter knetete emsig mit dem Finger den schmelzenden Talg, welcher von einem Lichte auf den Tisch herabtropfte. Ein Kleiner schließlich kauerte im Schmutz, fast ganz von einem Kessel verdeckt, an dem er mit einem Steine schabte und einen Ton hervorbrachte, um einen Stradivarius in Ohnmacht fallen zu lassen.

      Ein Faß stand neben dem Feuer, und ein Bettler saß auf demselben. Es war der König auf seinem Throne.

      Die drei, welche Gringoire festhielten, führten ihn vor dieses Faß, und augenblickliche Stille trat in der wüsten Versammlung ein; nur das Kind am Kessel spielte weiter.

      Gringoire wagte weder zu athmen, noch die Augen aufzuschlagen.

      »Hombre, quita tu sombrero!« sagte einer der drei Strolche, welche ihn hielten; und bevor er verstanden hatte, was er sagen wollte, hatte ihm der andere schon den Hut vom Kopfe gerissen. Freilich war der Hut nur eine miserable Krempe, aber immer noch gut genug gegen Sonnenbrand und Regen. Gringoire seufzte.

      Jetzt richtete der König von der Höhe seines Fasses das Wort an ihn.

      »Wer ist dieser Halunke?«

      Gringoire erschrak. Diese Worte, wiewohl im drohenden Tone ausgesprochen, erinnerten ihn an eine andere Stimme, welche ja heute Morgen seinem Schauspiele den ersten Schlag dadurch versetzt hatte, daß sie mit näselndem Tone in die Zuhörerschaft hineinrief: »Ein Almosen, ich bitte Euch!« Er hob den Kopf. Es war in der That Clopin Trouillefou.

      Clopin Trouillefou, mit seinen königlichen Insignien bekleidet, hatte keinen Lumpen mehr oder weniger an sich. Die Wunde am Arme war schon verschwunden. In der Hand hielt er eine jener Riemenpeitschen aus weißem Leder, wie sie damals die Straßenpolizisten gebrauchten, um die Menge in Ordnung zu halten, und die man »neunschwänzige Katzen« nannte. Auf dem Kopfe trug er eine Art gereiften, oben geschlossenen Kopfputz; aber es war schwer zu erkennen, ob es einen Fallhut oder eine Königskrone vorstellen sollte, so sehr gleichen sich ja die beiden Gegenstände.

      Indessen hatte Gringoire, ohne zu wissen warum, wieder einige Hoffnung geschöpft, als er im Könige des Wunderhofes seinen verwünschten Bettler aus dem großen Saale erkannte.

      »Meister ...« stotterte er. »Gnädiger Herr ... Sire ... Wie soll ich Euch nennen?« sprach er endlich, als er auf dem Höhepunkte seiner Gefühlssteigerung angelangt war und nicht vorwärts noch rückwärts mehr wußte.

      »Gnädiger Herr, Seine Majestät oder Kamerad, nenne mich, wie du willst. Aber beeile dich! Was hast du zu deiner Vertheidigung zu sagen?«

      Zu deiner Vertheidigung? dachte Gringoire, das gefällt mir nicht. Stotternd entgegnete er: »Ich bin derjenige, welcher heute Morgen ...«

      »Bei des Teufels Klauen!« unterbrach ihn Clopin, »deinen Namen, Halunke, und nichts weiter! Höre. Du stehst vor drei mächtigen Herrschern: vor mir, Clopin Trouillefou, dem Könige von Thunes, dem Nachfolger des großen Coësre, dem obersten Lehnsherrn des Königreichs Rothwälschland; vor Mathias Hungadi Spicali, dem Herzoge von Aegypten und Böhmen, dem alten Gelben, den du da mit einem Lappen um den Kopf siehst; vor Wilhelm Rousseau, dem Kaiser von Galiläa, jenem Dicken, der nicht auf uns hört, und der eine Hure liebkost. Wir sind deine Richter. Du bist in das Königreich Rothwälschland eingedrungen, ohne ein Gauner zu sein; du hast die Rechte unserer Stadt verletzt. Du mußt bestraft werden, wofern du nicht Spieler, Bettler oder Abgebrannter, das heißt im Rothwälsch ehrlicher Leute, Dieb, Bettler oder Vagabund bist. Bist du etwas Derartiges? Rechtfertige dich; nenne deine Titel!«

      »Leider!« sagte Gringoire, »habe ich nicht die Ehre. Ich bin der Verfasser ...«

      »Das genügt,« entgegnete Trouillefou, ohne ihn ausreden zu lassen. »Du sollst gehangen werden. Das ist ganz einfach, ihr Herren ehrlichen Spießbürger! Wie ihr die Unsrigen bei euch behandelt, so behandeln wir die Eurigen bei uns. Das Gesetz, welches ihr für die Landstreicher schafft, schaffen die Landstreicher für euch. Es ist eure Schuld, wenn es boshaft ist. Man muß von Zeit zu Zeit die Fratze eines ehrlichen Kerls in der Hanfcravatte sehen, das macht das Ding ehrenhaft. Wohlan, mein Freund, theile frisch deine Lumpen unter diese Fräulein. Ich lasse dich hängen, um die Landstreicher zu belustigen, und du magst ihnen deine Börse geben, damit sie auf dein Wohl trinken. Wenn du noch Alfanzereien machen willst, da unten im hölzernen Mörser steckt ein recht hübscher steinerner Herrgott, den wir in Saint Pierre-aux-Boeufs gestohlen haben. Du hast vier Minuten Zeit, um ihm deine Seele an den Kopf zu werfen.«

      Die Ansprache war fürchterlich.

      »Wohlgesprochen, bei meiner Seele! Clopin Trouillefou predigt wie der heilige Vater, der Papst,« rief der Kaiser von Galiläa und zerbrach seinen Krug, um den Tisch mit den Scherben zu stützen.

      »Gnädigste Herren Kaiser und Könige,« sprach Gringoire kaltblütig (denn ich weiß nicht, wie er die Festigkeit wiedergewonnen hatte, und er sprach entschlossen), »ihr denkt nicht daran; ich heiße Peter Gringoire, ich bin der Dichter, von dem man heute Morgen ein Schauspiel im großen Saale des Palastes aufgeführt hat.«

      »Ah! du bist's, Meister!« sagte Clopin. »Ich war dort, beim Haupte Gottes! Nun gut! Kamerad, ist das ein Grund, weil du uns heute Morgen gelangweilt hast, daß du heute Abend nicht gehangen wirst?«

      »Ich werde Mühe haben, mich aus der Schlinge zu ziehen,« dachte Gringoire. Doch machte er noch einen Versuch. »Ich sehe nicht ein,« sagte er, »warum die Dichter nicht unter die Landstreicher gerechnet werden sollen. Vagabund – war Aesop; Bettler – war Homer; Dieb – war Mercurius ...«

      Clopin unterbrach ihn: »Ich glaube, du willst uns mit deinem Gewäsch nachdenklich machen. Laß dich hängen, bei Gott! und mach' nicht so viel Umstände!«

      »Verzeihung, gnädigster Herr König von Thunes,« entgegnete Gringoire, der Schritt für Schritt um das Terrain kämpfte. »Es ist der Mühe werth ... einen Augenblick! ... Hört mich an ... ihr werdet mich nicht verdammen, ohne mich anzuhören ...«

      Seine unglückliche Rede wurde in der That von dem Lärm übertönt, der sich rings um ihn erhob. Der kleine Junge kratzte mit mehr Ungestüm, als vorher, auf dem Kessel, und zum Ueberfluß hatte ein altes Weib soeben eine Pfanne voll Schmalz auf den Dreifuß gesetzt, welches über dem Feuer mit einem Getöse prazelte, ähnlich dem Kreischen eines Kinderschwarmes, der hinter einer Maske herjagt. Währenddessen schien Clopin Trouillefou einen Augenblick mit dem Herzog von Aegypten und mit dem Kaiser von Galiläa zu berathen, welcher vollständig betrunken war. Dann rief er laut: »Ruhig jetzt!« Und weil der Kessel und die Bratpfanne nicht aufhörten, sondern ihr Duett fortsetzten, sprang er von der Tonne herab, gab dem Kessel einen Fußtritt, daß er zehn Schritte weit mit dem Knaben wegflog, ebenso einen Fußtritt der Pfanne, so daß das ganze Fett sich in das Feuer ergoß, und stieg wieder würdevoll auf seinen Thron hinauf, ohne sich um das erstickte Weinen des Kindes, noch um das Murren der Alten zu kümmern, deren Abendessen als schöne, helllodernde Flamme in die Luft verflog.

      Trouillefou gab ein Zeichen, und der Herzog, und der Kaiser, und die Erzdiebe und die Gauner stellten


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