Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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Gestalten, von nackten starken Armen, von schmutzigen, verlebten und thierischen Gesichtern. Mitten in dieser Tafelrunde von Schurkenthum ragte Clopin Trouillefou als Doge dieses Senates, als König dieser Pairschaft, als Papst dieses Conclaves theils wegen der Höhe seines Fasses, dann aber durch einen gewissen hochmüthigen, wilden und furchtbaren Ausdruck, der ihm im Auge funkelte und in seinem wilden Antlitz den thierischen Zug der Gaunerabkunft milderte. Man hätte ihn mit einem Eber unter Schweinen vergleichen mögen.

      »Höre,« sagte er zu Gringoire und streichelte das mißgestaltete Kinn mit seiner schwieligen Hand, »ich sehe nicht ein, warum du nicht gehangen werden sollst. Allerdings hat es den Anschein, als ob dir das zuwider wäre; und das ist ganz natürlich: ihr Spießbürger seid nicht daran gewöhnt. Ihr macht euch von der Sache eine hohe Vorstellung. Nun aber sind wir dir nicht übel gesinnt. Es giebt ein Mittel, dir für den Augenblick aus der Verlegenheit zu helfen. Willst du einer der Unsrigen sein?«

      Man kann sich den Eindruck denken, den dieser Vorschlag auf Gringoire machte, welcher sein Leben verloren gegeben hatte und davon abzulassen begann. Er klammerte sich mit allen Kräften wieder daran.

      »Ich will es, gewiß, gern,« sagte er.

      »Du bist bereit,« fuhr Clopin fort, »dich unter die Genossen des kleinen Dolches aufnehmen zu lassen?«

      »Des kleinen Dolches, gewiß,« antwortete Gringoire.

      »Du betrachtest dich als Glied der edlen Fechtbrüderschaft?« fuhr der König von Thunes fort.

      »Der edlen Fechtbrüderschaft.«

      »Als Unterthan des Königreichs Rothwälschland?«

      »Des Königreichs Rothwälschland.«

      »Als Landstreicher?«

      »Als Landstreicher.«

      »Im Herzen?«

      »Im Herzen.«

      »Ich muß dir bemerken,« fuhr der König fort, »daß du nichtsdestoweniger gehangen werden wirst.«

      »Teufel!« sagte der Dichter.

      »Nur,« fuhr Clopin unerschütterlich fort, »wirst du später gehangen werden, mit mehr Feierlichkeit, auf Kosten der guten Stadt Paris, an einem schönen steinernen Galgen und von ehrbaren Leuten. Das ist ein Trost.«

      »Wie Ihr meint,« antwortete Gringoire.

      »Es sind dabei noch andere Vortheile. In der Eigenschaft als Fechtbruder brauchst du dich weder um Straßenschmutz, noch Arme, noch Beleuchtung zu sorgen, wozu die Bürger von Paris doch verpflichtet sind.«

      »So sei es,« sprach der Dichter. »Ich bin einverstanden. Ich bin Landstreicher, Gauner, Fechtbruder, kleiner Dolch, alles, was Ihr nur wollt; ich war das alles schon vorher, Herr König von Thunes, denn ich bin Philosoph; et omnia in philosophia, omnes in philosopho continentur, wie Ihr wißt.«

      Der König von Thunes runzelte die Stirn.

      »Für wen hältst du mich, Freund? Was für ungarisches Judenrothwälsch krähst du uns da vor? Ich verstehe kein Hebräisch. Zum Räuber braucht man nicht Jude zu sein. Ich selbst stehle nicht mehr, darüber bin ich erhaben; ich morde. Gurgelabschneider? ja; Beutelschneider? nein!«

      Gringoire versuchte eine Entschuldigung in diese schnell gesprochenen Worte, welche der zornige König immer schneller herausstieß, einfließen zu lassen.

      »Ich bitte um Verzeihung, gnädigster Herr. Das ist kein Hebräisch, es ist Latein.«

      »Ich sage dir,« versetzte Clopin ungestüm, »daß ich kein Jude bin, und daß ich dich hängen lassen werde, Judenwanst! so wie den kleinen Schacherer aus Judäa da, der neben dir steht, und den ich hoffentlich noch eines Tages auf einen Ladentisch annageln sehe, wie ein Stück falsches Geld, so sieht er aus!«

      Indem er das sagte, zeigte er mit dem Finger auf den kleinen bärtigen, ungarischen Juden, der sich mit seinem »facitote caritatem« an Gringoire gemacht hatte, und der, ohne eine andere Sprache zu verstehen, mit Erstaunen sah, wie sich die üble Laune des Königs von Thunes über ihn ergoß.

      Endlich beruhigte sich der gestrenge Herr Clopin.

      »Halunke,« sagte er zu unserem Dichter, »du willst also ein Landstreicher sein?«

      »Zweifelsohne,« entgegnete der Dichter.

      »Das Wollen ist aber noch nicht alles,« sagte der mürrische Clopin; »der gute Wille bringt kein Fettauge mehr auf die Suppe, und genügt nur, um ins Paradies zu kommen; nun aber sind Paradies und Galgenstrick zweierlei. Um in die Diebesgilde aufgenommen zu werden, mußt du beweisen, daß du zu irgend etwas tauglich bist, und deshalb mußt du der Gliederpuppe die Taschen ausleeren.«

      »Ich will die Taschen leeren,« sagte Gringoire, »ganz wie Euch belieben wird.«

      Clopin gab ein Zeichen. Einige Gauner verließen den Halbkreis und kehrten einen Augenblick darauf zurück. Sie brachten zwei Holzpfosten herbei, die am untern Ende mit gezimmerten Schragen versehen waren, so daß sie leicht auf dem Boden festgemacht werden konnten; am obern Ende der beiden Pfosten paßten sie einen Querbalken ein, und das Ganze bildete einen recht hübschen tragbaren Galgen, den Gringoire die Genugthuung hatte, in einem Momente vor seinen Augen aufgerichtet zu sehen. Nichts fehlte daran, selbst nicht der Strick, der unter dem Querbalken anmuthig hin- und herschwankte.

      »Was soll damit werden,« fragte sich Gringoire mit einer gewissen Unruhe. Ein Schellengeklingel, das er im selbigen Augenblicke hörte, setzte seiner Beklemmung ein Ziel. Es war eine Gliederpuppe, welche die Gauner mit dem Stricke am Halse aufknüpften, eine Art Vogelscheuche, roth aufgeputzt und dermaßen mit Schellen und Glöckchen überladen, daß man dreißig castilianische Maulesel damit hätte behängen können. Diese unzähligen Glöckchen tönten eine Zeit lang beim Baumeln des Strickes, verstummten aber nach und nach und schwiegen endlich ganz, als die Gliederpuppe infolge jenes Pendelschwingungsgesetzes, welches Wasser- und Sanduhren verdrängt hat, zum Stillstand gebracht worden war.

      Jetzt bezeichnete Clopin dem Gringoire einen alten wackligen Fußschemel, der unter die Gliederpuppe gestellt war.

      »Steige da hinauf!«

      »Alle Teufel!« entgegnete Gringoire, »ich breche mir den Hals. Euer Schemel hinkt wie ein Distichon des Martial; er hat ein Hexameter- und ein Pentameterbein.«

      »Steige hinauf!« wiederholte Clopin.

      Gringoire stieg auf den Schemel; aber erst nach mehreren Balancirungen mit dem Kopfe und den Armen gelang es ihm, seinen Schwerpunkt wieder zu finden.

      »Jetzt,« fuhr der König von Thunes fort, »schlage den rechten Fuß um das linke Bein, und hebe dich auf der linken Fußspitze in die Höhe.«

      »Gnädigster Herr,« sagte Gringoire, »Ihr besteht also fest darauf, daß ich mir ein Glied breche?«

      Clopin schüttelte unmuthig den Kopf.

      »Höre, Freund, du sprichst zu viel. Vernimm in zwei Worten, worum es sich handelt. Du richtest dich auf der Fußspitze in die Höhe, wie ich dir sage; auf diese Weise wirst du der Puppe bis an die Tasche reichen; du wirst sie durchsuchen; du wirst eine Börse herausziehen, die darin ist; und wenn du alles das thust, ohne daß man den Ton eines Glöckchens hört, dann ist's gut; du wirst ein Landstreicher sein. Wir werden dann nichts weiter zu thun haben, als dich acht Tage lang tüchtig durchzuprügeln.«

      »Alle Teufel! ich werde es nicht vermögen,« sagte Gringoire. »Und wenn ich die Glöckchen erklingen mache?«

      »Dann wirst du gehangen werden. Verstehst du?«

      »Ich verstehe ganz und gar nicht,« antwortete Gringoire.

      »Höre noch einmal. Du sollst die Puppe durchsuchen und ihr die Börse nehmen; wenn eine einzige Glocke bei der Verrichtung erklingt, wirst du gehangen. Verstehst du das?«

      »Wohl, ich verstehe,« sagte Gringoire. »Und dann?«

      »Wenn es dir gelingt, die Börse wegzunehmen,


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