Trust me, Vögelchen!. Sara-Maria Lukas

Trust me, Vögelchen! - Sara-Maria Lukas


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sofort.“

      Ian räuspert sich. „Überlass mir für eine Minute dein Handy, ich speichere dir meine Nummer ein. Dann kannst du mir Bescheid geben, wenn du Feierabend hast.“

      Sie gehorcht, er tippt darauf herum und gibt es ihr dann wieder zurück. Betty hat den frischen Becher Kaffee fertig und reicht ihn über den Tresen.

      „Danke“, murmelt Annabell und läuft eilig los.

      Nachdenklich sieht Ian ihr nach. Sie muss SM-Erfahrungen haben, und die waren anscheinend nicht angenehm. Deswegen ihre übertriebene Abwehr, als er mit ihr über dieses Thema reden wollte.

      „Mach dir keine Hoffnungen“, flötet Betty, als sie wieder herauskommt. „Ich glaube, sie steht nicht auf Männer.“

      Ian hebt eine Augenbraue. „Nein?“

      „Sie flirtet nie, obwohl beim Film genug Traumtypen rumlaufen, von denen schon oft einige Interesse an ihr gezeigt haben.“

      Betty strahlt ihn an und er muss ein genervtes Stöhnen unterdrücken. Er nickt ihr zu. „Schönen Tag noch, ich gehe dann mal wieder arbeiten.“

      Während er zurück zum Set schlendert, denkt er über Annabell nach. Wer sich ein Tattoo dieser Art stechen lässt, lebt in der Regel in einer 24/7-SM-Beziehung und glaubt, dass es für immer ist. Hat sie schlimme Erfahrungen mit einem Psychopathen gemacht? Solche Arschlochtypen schleichen sich gern in ihre Kreise, um unter dem Deckmantel von BDSM Frauen auszunutzen. Wurde ihr Vertrauen missbraucht und reagiert sie deshalb so überempfindlich auf das Thema?

      Ein Erlebnis, das er als junger Mann gehabt hat, fällt ihm ein. Eine devote Frau, die er aus dem Club kannte, in dem er seine ersten BDSM-Erfahrungen gesammelt hat, hatte sich das Leben genommen. Betroffen ist er damals zur Beerdigung gegangen und anschließend mit einer Freundin der Toten ins Gespräch gekommen. Er erinnert sich an eine ihrer Aussagen, die ihn damals sehr nachdenklich gemacht hat: Das Schlimmste, was dir als devote, masochistische Frau passieren kann, ist eine miese Erfahrung. Du hast Angst, kannst keinem Mann mehr vertrauen, willst nie wieder was mit BDSM zu tun haben, aber die Gier danach bleibt, denn die Veranlagung verschwindet ja nicht. Du sehnst dich danach und kannst es doch nicht mehr haben.

      Mit einem geduldigen Partner kann eine Sub miese Erfahrungen überwinden, hat Ian damals unwillig entgegnet, doch sie hat nur geschnaubt. Welcher Dom will denn die Verantwortung für eine Sub übernehmen, die ein seelisches Problem hat? Das ist doch viel zu kompliziert und gefährlich. Sei mal ehrlich zu dir selbst. Gehst du in den Club, um eine Session als erregendes Spiel zu erleben, oder weil du heiß darauf bist, dich fürsorglich um eine psychisch gestörte Frau zu kümmern? Sie hat ironisch gelacht und hinzugefügt: Dann wärst du doch wohl eher Krankenpfleger geworden, oder?

      Seine Aufmerksamkeit kehrt in die Gegenwart zurück. Plötzlich regt sich tief in seiner Brust ein dumpfer Schmerz. Der Gedanke, dass Annabell vielleicht aufgrund mieser Erfahrungen Angst vor ihm hat, seit sie weiß, dass er auf BDSM steht, ihn aber aus Höflichkeit trotzdem mit in ihre Wohnung genommen hat, schmeckt bitter. Verdrängt sie nach schlimmen Erlebnissen ihre Neigungen? Ob ihre Zwangshandlungen damit zusammenhängen?

      Er weiß, dass es ihn nichts angeht. Er weiß, dass er sich nur für ein paar Tage in L.A. aufhält. Er weiß, dass er sich raushalten sollte, aber das ganze Wissen nützt ihm nichts, denn sein Gefühl ist anderer Meinung. Er wird die schöne Annabell dazu bringen, ihm zu erzählen, was ihr passiert ist.

      *

      Es ist ein komisches Gefühl, als Annabell ihr Handy zückt und Ians Namen antippt. Es fühlt sich vertraut an, obwohl sie sich doch gar nicht wirklich kennen.

      Er hat sie am Nachmittag beim Imbisswagen aufgefangen, als sie ins Stolpern gekommen ist. Ohne zu zögern, ohne die geringste Unsicherheit hat er sie gepackt und zuverlässig gehalten. Routiniert, als würde er öfter Frauen halten, die nach einer anstrengenden Session … Verflucht, was für blöde Gedanken.

      Hoffentlich kriegt sie ihre Hormone in den Griff, wenn sie jetzt tagelang mit ihm zusammenarbeiten muss. Sie trägt noch das Headset mit Mikro zum Telefonieren, das sie immer bei der Arbeit am Ohr klemmen hat. Als Ian sich mit seiner tiefen Stimme meldet, spürt sie das Vibrieren bis in den Bauch. „Äh … ich bin’s, äh … Annabell. Ich bin jetzt fertig.“

      „Gut. Treffen wir uns bei deinem Auto?“

      „Okay.“

      Sie läuft los. Als sie den Parkplatz erreicht, steht Ian bereits an ihr Auto gelehnt da und tippt auf seinem Smartphone herum.

      Sie steigen ein und Annabell startet den Motor. Obwohl es schon Abend ist und die Sonne nicht mehr brennt, ist der Innenraum des Autos noch aufgeheizt.

      Ian dreht den Knopf der Klimaanlage auf eisig. „Sag Bescheid, wenn es dir zu kalt wird.“

      Annabell nickt, entledigt sich ihres Headsets und verstaut es im Handschuhfach.

      „Ich soll dich von Cat grüßen. Du sollst dir von mir nicht auf der Nase herumtanzen lassen“, erzählt Ian, während sie rückwärts aus der Parklücke rangiert.

      „Aha. Wer ist Cat? Deine … äh … Partnerin?“

      „Sie heißt richtig Charlotte und ist die Sub meines Bruders Logan.“

      Annabell runzelt die Stirn, doch bevor sie etwas sagen kann, hebt er schon die Hand. „Sorry, die Gewohnheit. Seine Freundin, natürlich.“

      Er betont das Wort Freundin so übertrieben ironisch, dass Annabell schnaubt. Blödmann. Macht er sich über sie lustig? Weil sie auf das Thema BDSM so überempfindlich reagiert? Vermutlich hält er sie für total verklemmt und altmodisch. „Sie kennt mich doch gar nicht“, murmelt sie unwillig.

      „Ich habe ihr erzählt, dass du mir deine Couch zur Verfügung gestellt hast und sehr nett bist.“

      Annabell schweigt und er kratzt sich an der Stirn. „Tut mir wirklich leid, alle meine Brüder praktizieren BDSM, und darüber zu reden ist so normal für mich wie für andere Leute Gespräche über das Wetter. Aber ich bemühe mich, es nicht mehr zu tun. Versprochen.“

      Annabell schluckt. Er verarscht sie doch. Er macht sich über sie lustig.

      Sie will nicht fragen, aber das Bedürfnis, ihm zu demonstrieren, dass sie keine verklemmte Ziege ist, ist stärker. „Haben alle deine Brüder Partnerinnen, die auch ihre Subs sind?“

      „Ja, ich bin der Letzte, der sich standhaft weigert, eine feste Beziehung einzugehen.“

      „Eine derartige Beziehung ist ja auch eine große Verantwortung.“

      *

      Ian stutzt. Unauffällig mustert er sie von der Seite. Obwohl sie gerade an einer Ampel anhalten muss, sieht sie konzentriert nach vorn. Ihre Hände umklammern das Lenkrad mal wieder, als hätte sie Angst, es könnte sich selbstständig machen und das Auto unvermittelt gegen eine Mauer steuern.

      Er will unbedingt wissen, was in ihr vorgeht. „Verantwortung?“, fragt er gleichmütig. „Verantwortung bürdet man sich doch erst auf, wenn man ein Kind zeugt, oder nicht?“

      Ihre Kiefergelenke zucken. „Na ja, bei gleichberechtigten Paaren vielleicht, aber bei eurer Art der Beziehung ist es doch anders.“

      „Wie meinst du das?“

      Sie schüttelt unwillig den Kopf. „Das geht mich gar nichts an.“

      „Sorry, aber das muss ich jetzt unbedingt klarstellen. Leute, die keine Ahnung von BDSM haben, glauben, dass der dominante Partner den devoten unterdrückt, aber das ist falsch und solche Vorurteile nerven mich. Egal ob in einer Session oder in einer festen Beziehung: Es passiert grundsätzlich nur das, was für beide das Richtige ist. Wenn man es genau nimmt, ist der devote Teil sogar der wahre Boss beim BDSM, denn er bestimmt die Grenzen und kann jederzeit mit einem Wort alles beenden.“


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