Der Postillion e.V. im Rhein-Neckar-Kreis. Stefan Lenz

Der Postillion e.V. im Rhein-Neckar-Kreis - Stefan Lenz


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zugänglich gemacht. Die Geschichte der Buslinie nach Heidelberg ist in Form einer kleinen Broschüre mit vielen Bildern dokumentiert worden, die es heute noch gibt.

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       Broschüre über die Geschichte der Kraftpostlinie Wilhelmsfeld-Heidelberg

      Zwei bis drei Freizeiten bot der Postillion e. V. im Jahr an: an die Nordsee, in die Berge, in den Harz und in das Kinder- und Jugenddorf Klinge im Bauland, wo auch viele Lehrgänge stattfanden. Die Kinder ebenso wie die Betreuer*innen waren alle aus Wilhelmsfeld. Am Anfang war man, wie Janusz Korczak in den 1920er Jahren einmal gesagt hat, »reich an Illusionen und arm an Erfahrung« – und überrascht davon, was eine Masse von Kindern für Kräfte entwickeln kann. Im Lauf der Zeit kam daher immer mehr Struktur in die Freizeiten. Es war immer ein Stammteam dabei, das die Arbeit ausgewertet hat, wodurch die Freizeiten sich stetig verbesserten. Im Sinn einer lernenden Organisation gab es hierzu eigene Lehrgänge, um das Team weiterzuentwickeln und neue Betreuer*innen in die Arbeit miteinzubeziehen.

      Neben den Freizeiten gab es während des Jahres auch andere Aktivitäten. So wurde 1991 ein Ford Transit gekauft, der als Spielmobil bemalt wurde und einmal in der Woche im Ort Spiele für Kinder anbot (in der Regel alte Straßenspiele). Die Idee, die dahintersteckte, war eine Belebung des öffentlichen Straßenraums, der durch die Motorisierung zunehmend vom Auto bestimmt wurde und Kinder zurückdrängte. Wir wollten hier einen bewussten Gegenpunkt setzen.

      Die Idee des Postillion e. V. war es nicht, Nachwuchs zu gewinnen, wie dies bei den klassischen Vereinen der Fall ist, sondern es war Jugendarbeit als reiner Selbstzweck, die von jungen Menschen für andere junge Menschen angeboten wurde. Dieses Modell stellte sich vielleicht deshalb als ein Erfolgsmodell heraus.

      Der Postillion e. V. ist mit Wilhelmsfeld und auch damals der Kraftpost sehr stark verbunden gewesen. Heute ist der Verein im gesamten Rhein-Neckar-Kreis tätig. Damals war es eine lokale Initiative, die punktuell immer wieder mal im Nachbarort Heiligkreuzsteinach kleinere Angebote machte. Dies hing vor allem damit zusammen, dass Jugendliche aus Heiligkreuzsteinach das Angebot in Wilhelmsfeld gerne nutzten, da auch eine Busverbindung bestand, und dann in Heiligkreuzsteinach davon inspiriert etwas Eigenes auf die Beine stellten. Auch das Spielmobil ist teilweise in den Nachbarort gefahren, in die kleinen Ortsteile. Die Kinder waren für diese Angebote sehr dankbar.

      Klaus Farin schreibt in seinem Buch Über die Jugend und andere Krankheiten (2018): »‚Politik’ wird von Jugendlichen selten als Prozess und Chance der Gestaltung ihres eigenen Lebensalltags gesehen, sondern auf Partei- und Regierungspolitik reduziert. Auf etwas Unangenehmes oder zumindest Abstraktes, das in für sie unerreichbaren und undurchschaubaren Ebenen stattfindet. Die Privatisierung einstmalig staatlicher Dienstleistungen, wie der Post, des öffentlichen Verkehrs, von Bereichen der Polizei, von zahlreichen Universitäten und Bibliotheken und großen Teilen des Schulwesens, hat dazu geführt, dass der Staat für Jugendliche immer bedeutungsloser erscheint. Dass der Staat, um Banken zu retten, in Krisensituationen plötzlich Milliarden Euro zur Verfügung stellt und es gleichzeitig stets heißt, für die Renovierung des maroden Bildungssystems oder für lokale Jugendarbeit sei kein Geld da, hat die Distanz von Jugendlichen gegenüber der Politik weiter verstärkt.« Die Jugendarbeit des Postillion e. V. war in den Anfangsjahren stark davon geprägt, einen staatlichen öffentlichen Personennahverkehr in Form von Bahn und Bus zu unterstützen. Gleichzeitig lebte der Verein auch von der Unterstützung der Busfahrer. Doch auch diese Ära hat beim Postillion e. V. irgendwann ein Ende gefunden. Ende der 1990er Jahre war die ursprüngliche Gründergeneration in dem Alter, in dem das Modell in dieser Form nicht mehr trug. Im Jahr 1998 gab es die ersten Überlegungen, inwieweit man sich stärker in eine professionelle Kinder- und Jugendarbeit stürzen könnte. Es war die Zeit, in der Jugendarbeit in den Kommunen eine ganz neue Erwartungshaltung weckte.

       Die ersten Jugendcafés und Jugendhäuser außerhalb von Wilhelmsfeld (1999 bis 2006)

      Im Jahr 1998 stellte der Verein eine kleine Arbeitsgruppe zusammen, bestehend aus Ehrenamtlichen, die früher beim Verein tätig waren, aber auch Fachleuten aus verschiedenen Einrichtungen, so u. a. ein Mitarbeiter des Jugendamtes Mannheim.

      Diese kleine Gruppe entwickelte Ideen, wie der Postillion e. V. sich weiterentwickeln könnte. Auslöser war vielleicht auch der Zeitgeist, dass Kinder- und Jugendhilfe eine immer stärkere Beachtung in der Öffentlichkeit fand. Gleichzeitig gab es eine Überzeugung innerhalb des Vereins, dass das, was bis dahin gemacht worden war, gut war. Eine der entwickelten Ideen war, das Modell Wilhelmsfeld auf andere Kommunen zu übertragen. Allerdings nur gegen eine Aufwandsentschädigung, da das ehrenamtlich sonst sehr schwer machbar gewesen wäre. So stark war die Personaldecke an Ehrenamtlichen innerhalb des Vereins nicht. So ist auch das erste »bezahlte Jugendcafé« entstanden. Wir schlugen Gemeinden vor, für 500 Euro monatlich ein bis zwei Mal ein Jugendcafé anzubieten bzw. junge Erwachsene zu schulen, die dann das Ganze ehrenamtlich voranbringen. Die Gemeinde Mauer war die erste Kommune, die diese Idee gut fand. So entstand neben dem Jugendcafé in Wilhelmsfeld das erste »bezahlte Jugendcafé« in Mauer, mit gemeinsamen Aktionen und Schulungen von Ehrenamtlichen. Der sozialräumliche Ansatz war von Anfang an ein Baustein der Arbeit. So rief der Postillion e. V. unvermittelt mit der Eröffnung des Jugendcafés in Mauer die ersten »AGs Jugendhilfe« (wie wir es damals nannten) ins Leben. Diese bestanden aus allen Menschen, die in der Kommune etwas mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatten, vor allem der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamts, Jugendgerichtshilfe, Schulen und die örtliche Polizei.

      Alle diese sollten in die Arbeit integriert werden, um im Sinn der Jugendlichen eine Verbesserung ihrer Lebenssituation im jeweiligen Ort zu erreichen. Diese Modelle wurden dann auch in alle anderen Gemeinden übertragen, in denen der Postillion e. V. in der Jugendarbeit tätig geworden ist. Es war eine Aufbruchszeit, die nur dadurch möglich war, dass in der Gesellschaft Jugend immer wieder im Fokus stand und eine Generation in den Gemeinderäten saß, die sich mehrheitlich eine Unterstützung für Jugendliche wünschte. Tatsächlich waren die AGs Jugendhilfe ein Motor bei der gesamten Arbeit. Die Polizei, die sehr offen war für diese Konzepte, aber auch der Allgemeine Sozialdienst des Jugendamts trugen wesentlich dazu bei, dass sich die Idee verbreitet hat.

      Bürgermeister Erich Mick fragte uns für die Gemeinde Mauer an, ob wir einmal die Woche in einem Klassenzimmer einen Jugendtreff anbieten könnten. Ziel war es, ehrenamtlich tätige junge Erwachsene im Ort zu gewinnen und auszubilden, damit die Offene Jugendarbeit künftig ehrenamtlich durchgeführt werden konnte. Kurz danach entstand das Jugendcafé in Bammental in einem alten Haus in der Nähe des Schwimmbads, das an zwei Nachmittagen in der Woche geöffnet hatte. Der damalige Bürgermeister von Bammental, Gerhard Vogel, setzte sich sehr für die Idee ein. Das Jugendcafé wurde zunächst von einer Anerkennungspraktikantin, die zuvor ein Praktikum beim Postillion e. V. absolviert hatte, aufgebaut. Im gleichen Jahr gelang es uns, in Spechbach in einem kleinen Schwedenhaus ein Jugendcafé mit einem Öffnungstag zu eröffnen. Bürgermeister Guntram Zimmermann, gerade neu ins Amt gekommen, wollte etwas für Jugendliche ins Leben rufen. Alle drei Projekte wurden von den jeweiligen Gemeinden finanziert, was den Verein zu einer Strukturveränderung veranlasste. Noch waren keine hauptamtlichen Vorstände eingestellt. Der Vorstand leitete den Verein zu dieser Zeit noch ehrenamtlich. Der damalige Vorsitzende Stefan Lenz bekam im Jahr 2001 einen halben Geschäftsführervertrag, nachdem die Stadt Eppelheim ihr Jugendhaus an den Postillion e. V. übertragen hatte. Gestaltet wurde die Arbeit in Eppelheim im Wesentlichen durch den Hauptamtsleiter Reinhard Röckle.

      Im Jahr 2002 kamen weitere Einrichtungen in Plankstadt und Brühl dazu. In dieser Zeit hat sich der Verein geändert. Die alten ehrenamtlichen Strukturen mussten aufgebrochen werden. Dies war nicht immer leicht. Teilweise gab es noch gemeinsame Ausflüge, Schulungen und Weihnachtsfeiern mit Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. Letztlich hat sich jedoch die hauptamtliche Struktur durchgesetzt. Es war ein Kennzeichen des Postillion e. V., dass durch das schnelle Wachstum die Strukturen immer wieder angepasst werden mussten. Irgendwann war auch kein Platz mehr für ehrenamtliche Strukturen.

      Im Jahr 2002 kamen die Sozialpädagogischen


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