Gewalt durch Gruppen. Detlef Averdiek-Gröner

Gewalt durch Gruppen - Detlef Averdiek-Gröner


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zu folgern, dass ein signifikanter Anteil der überprüften Personen in der Vergangenheit aus strafprozessualen Gründen Kontakt mit der Polizei hatte.

      Es bestehen in vielen Fällen Zweifel daran, dass die kontrollierten Personen mit ihren tatsächlichen Personalien und Staatsangehörigkeiten in den Systemen von Polizei, Ausländer- und Einwohnermeldeämtern erfasst sind. Die Zweifel werden durch den hohen Anteil der Asylbewerber begründet, für die im AZR kein Ausweisdokument hinterlegt ist, die also offensichtlich bei ihrer Asylantragstellung keine Ausweisdokumente vorgelegt haben. Weiterhin ergeben sie sich aus dem Anteil an Alias-Personalien, den Ausführungen in arabischer Sprache in dem Freitextfeld des Besucherfragebogens und letztlich auch den Eindrücken der Sprach- und Kulturmittler im Einsatzgeschehen. Diese Beobachtungen stehen im Widerspruch dazu, dass gemäß den Ermittlungsergebnissen ein vergleichsweise geringer Anteil von Personen algerischer, marokkanischer und tunesischer Staatsangehörigkeit ist. Aufgrund polizeilicher Erfahrungen und auch der Erfahrungen der Ausländerämter ist davon auszugehen, dass Personen gegenüber den Behörden falsche Personalien und Staatsangehörigkeiten angegeben haben, um insbesondere ihre Chancen im Asylverfahren zu verbessern. Da der weitere Verlauf des Asylverfahrens und die Überprüfung der Herkunft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier nicht bekannt sind, kann diese Annahme nicht weiter verifiziert werden.

      Resümierend seien im Folgenden die für die polizeiliche Lagebeurteilung und -bewältigung wichtigen Ursachen für das von den Einsatzkräften, aber auch von neutralen Beobachtern wahrgenommene aggressive Verhalten zusammengefasst.

      Ein großes Problem besteht darin, dass die jungen Männer den Umgang mit Alkohol nicht gelernt haben. Hinzu kommen eine hierzulande hohe und preisgünstige Verfügbarkeit von Alkohol sowie vermutlich der Konsum von Drogen aus ihrem Kulturkreis, insbesondere von Cannabis. Die AG Silvester geht auch davon aus, dass im Fragebogen ein geringerer Alkoholkonsum angegeben wurde, als tatsächlich vor Ort stattfand. Die enthemmende und aggressionssteigernde Wirkung von Alkohol und Drogen, ggf. verstärkt durch gruppendynamische Prozesse, erzeugt bekanntermaßen ein erhebliches Aggressionspotenzial. Dies ist jedoch eine für die Adoleszenz nicht untypische Wirkung und keine kulturell spezifische Erscheinung.

      Auffällig ist die von den Befragten angegebene hohe Kontrolldichte schon auf der Anreise, welche nach Meinung des IKG bereits eine deutliche Erhöhung der Grundaggressivität zur Folge hatte, falls sie als diskriminierend wahrgenommen wurde.

      Daneben lässt sich ein Eskalationspotenzial aus einer Fehlinterpretation der für Westeuropäer ungewohnt expressiven nonverbalen Kommunikation ableiten.

      Von Bedeutung sind ebenfalls die Hinweise zu den besonderen räumlichen Eigenschaften des Bahnhofsvorplatzes (Stichwort „Arenacharakter“) unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zum Phänomen „intergroup dynamics“, die die Experten des IKG als wichtigen Faktor für einen Aggressionsaufbau bewerten.

      Hinsichtlich der polizeilichen Taktik ist, gestützt auf Expertenwissen und polizeiliche Erfahrungen zu konstatieren, dass sichtbare polizeiliche Präsenz und Ansprechbarkeit, eine niedrige Einschreitschwelle und hoher Kontrolldruck bei polizeilich relevantem Verhalten größerer Personengruppen erfolgskritisch sind. Die befragten Experten weisen darauf hin, dass auch kleinen kriminellen Gruppen kein „rechtsfreier Raum überlassen“ werden darf, um zu verhindern, dass sich die anonyme Tatbegehung Einzelner zu einem Massenphänomen entwickelt. Die verstärkende Wirkung des Ausbleibens polizeilicher Aktionen gegen Störer spielt in diesem Kontext ebenfalls eine Rolle.

      Silvester hat im nordafrikanischen und nahöstlichen Raum keine besondere Bedeutung, wird aber in Europa als Partyanlass wahrgenommen. Die Teilhabe am sozialen Leben ist den Besuchern wichtig. Die befragten Besucher halten Köln für eine attraktive und sympathische Stadt, die für viele einfach zu erreichen und auch nach Bewertung der Experten weltweit als multikulturelle Partystadt mit einer offenen Gesellschaft bekannt ist. Daher ist auch in Zukunft bei entsprechenden Anlässen wie Silvester mit Anreisen nach Köln in erheblichem Umfang zu rechnen.

       1.2.2.5Symposium „Silvester 2017“

      Das PP Köln hat aufgrund des erheblichen Medieninteresses an den Ergebnissen der AG Silvester sowie offener Fragen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Silvestereinsatz am 21.9.2017 ein Symposium unter dem Motto „Zurück schauen. Nach vorne denken“ ausgerichtet. Das PP Köln hat besonderen Wert darauf gelegt, einerseits ein fachlich breites Publikum einzuladen und andererseits Experten die Gelegenheit zu eröffnen, Analysen vorzustellen und Empfehlungen auszusprechen.

      Neben den eingeladenen Medienvertretern nahmen über 300 Personen aus Politik, Wissenschaft, Stadtgesellschaft und Aufsichts- und Polizeibehörden sowie zahlreiche Angehörige des PP Köln an dem Symposium teil. Auch Mitglieder von NGOs waren vertreten.

      Ziele der Veranstaltung waren,

      •die Öffentlichkeit und Medien über die Ergebnisse der AG Silvester zu informieren,

      •externe Expertise einzubeziehen und

      •allen Verantwortlichen für die öffentliche Sicherheit Impulse für die Vorbereitung auf das bevorstehende Silvester zu geben.

      Die Inhalte der Vorträge sind vom PP Köln auf seiner Internetseite bereitgestellt worden.9

       1.2.3Schlussfolgerungen für die Einsatzvorbereitung Silvester 2017

      Die Kölner Polizei hat die Erkenntnisse in die Einsatzvorbereitungen einbezogen. Auf Basis der Hinweise der AG Silvester und der Vorträge der Experten wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket erstellt. Auch wenn der Vorwurf des Racial Profilings nach Aussage der Experten keinen Bestand hatte, da die Auswahl von Personen, die polizeilichen Kontrollmaßnahmen unterzogen wurden, nicht willkürlich nur aufgrund des Aussehens erfolgte, sondern aus Erkenntnissen des Vorjahres, wurde das polizeiliche Konzept verändert.

      Neben der intensiven und guten Zusammenarbeit mit der Stadt Köln und der Zusammenarbeit mit sozialen Gruppen und Verbänden sowie der Einrichtung und Kontrolle einer böllerfreien Schutzzone Dom durch die Stadt Köln waren es insbesondere die Erkenntnisse der Gewaltforscher, die in den Einsatz einflossen. Prof. Dr. Zick von der Universität Bielefeld hob den „Arena-Charakter“ der Örtlichkeit hervor. Die Kontrollsituation auf dem kesselförmigen Bahnhofsvorplatz sollte verändert werden.

      Die Aussagen aller Experten, sowohl aus dem Gutachten von Prof. Egg (Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses), aber auch von den Experten der AG Silvester, deckten sich in einem Punkt: Die Gewalt aus den Gruppen entstand spontan, weil sich situativ in der überhitzen Stimmung und unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen eine Tatgelegenheitsstruktur ergab. Kann diese sowohl durch Änderung der Raumsituation als auch der Kontrollsituation entschärft werden und lässt sich zudem ein guter Raumschutz durch Kräfte vor Ort gewährleisten, so dürften sich die Ereignisse der Silvesternacht 2015 nicht wiederholen. Die Besucher sollten also grundsätzlich ohne personenbezogene Kontrollen in die Stadt gehen können, lediglich auffällig aggressive und stark alkoholisierte Gruppen sollten bereits vorher kontrolliert werden. Gleichzeitig sollten aber die Kräfte, welche im Einsatzraum präsent waren, mit einer niedrigen und konsequenten Einschreitschwelle gegen Störer vorgehen, um an keiner Stelle den Eindruck eines rechtsfreien Raumes aufkommen zu lassen.

      Um das neue Einsatzkonzept zu stützen, hat die Polizei Köln zusammen mit der Stadt Köln die Kampagne „Respekt“ entwickelt. Unter Leitung der Stadt Köln wurde eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, an der nicht nur unterschiedliche Ämter, sondern auch Flüchtlingsverbände, Medien und Hilfsorganisationen beteiligt waren. Kern einer Kommunikationskampagne war das Thema „Respekt“, in der eingängige, auch ohne deutsche Sprachkenntnisse verständliche Botschaften über die sozialen Medien verbreitet wurden:

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      Zudem wurden diese Botschaften


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