Faszination und Wunder der Technik. Werner Dupont
Vesikel, ein. In diese werden die carbonathaltigen und von Eiweißmolekülen umhüllten Vorverbindungen eingeschleust. Das Auskristallisieren der Nanopartikel erfolgt wie in der Chemietechnik durch Impfen mit nanokleinen Kristallkeimen. Nach diesem Prinzip entstehen Kalkstrukturen aus verschiedenen carbonathaltigen Materialien wie z. B. Calcit oder dem Calciumcarbonat Aragonit. Eine weitere Finesse der Organismen besteht in der Herstellung von unstrukturierten calciumhaltigen Verbindungen als Vorläuferverbindungen. Die Natur entwickelte zudem einen Mechanismus zur Umhüllung der Nanopartikel mit wasserabweisenden Proteinen und Zusätzen von Magnesium- und Phosphat-Ionen. Amorphe Phasen müssen außerdem vor Wasser geschützt bleiben. Das Kristallisieren in einkristalline Kalkstrukturen beginnt in den Vesikeln, wozu die Impfkeime der späteren Struktur entsprechend angeordnet werden. Der am Beispiel der Muschelschalen offenbarte Erfindungsreichtum der Natur lässt sich auch im Falle von Seeigeln beobachten. Sie stellt also sozusagen insgesamt eine Bauanleitung für nanotechnischen Erfindergeist dar.
Nano- und Mikrostrukturen ermöglichen auch eine außerordentliche Farbenpracht für industrielle Produkte nach dem Vorbild von Schmetterlingen. Die Ursachen liegen in Interferenzeffekten der strukturierten Oberflächen und Materialien. Bei den Oberflächen, die die schillernden Farben oder changierenden Farbspiele auslösen, handelt es sich um zweidimensionale kristalline Strukturen, die eine regelmäßige Gitterstruktur bilden. Abhängig vom Betrachtungswinkel entsteht dabei ein unterschiedlicher Farbeindruck. Anteile des auftreffenden Lichts werden von unterschiedlichen Strukturen der Oberfläche reflektiert. Der geringe Unterschied in der zurückgelegten Wegstrecke der reflektierten Strahlen verursacht eine Überlagerung der elektromagnetischen Wellen, die sich je nach Wegunterschied auslöschen oder verstärken können. Da das Licht aus Wellen verschiedener Frequenzen besteht, werden verschiedene Wellenlängen unterschiedlich verschoben. So kann beispielsweise das blaue Licht verstärkt werden, wohingegen das rote Licht verschluckt wird. Technisch werden derartige Strukturen unter anderem für Effektpigmente in der Kosmetik oder bei Autolacken genutzt. Je nach Betrachtungswinkel und Dicke der Pigmentschichten entstehen wechselnde Farbeffekte beim Betrachter. Der Effekt der Lichtinterferenz an strukturierten Oberflächen kann technisch nachempfunden werden durch dünne Metalloxidschichten auf Trägerpartikeln aus Siliziumdioxid, die ebenfalls zu Lichtinterferenzen führen und einen richtungsabhängigen irisierenden Farbeindruck entstehen lassen.
Der Lichtsammeleffekt bei den Augen nachtaktiver Motten ist das biologische Vorbild für die Antireflexionseigenschaften transparenter Oberflächen. Auch hier spielt die Nano- und Mikrostrukturtechnik die entscheidende Rolle. Durch die facettenartige Miko- beziehungsweise Nano-struktur des Mottenauges wird der Brechungsindex zwischen umgebender Luft und der Linsenoberfläche fließend angepasst, sodass Lichtbrechung und Lichtreflektion vermieden werden. Das einfallende Licht gelangt weitgehend vollständig in das Mottenauge und wird somit möglichst effizient genutzt. Technisch wird der Mottenaugeneffekt zum Beispiel zur Entspiegelung von Displays oder Solarzellen eingesetzt. Dabei wird das Ziel verfolgt, die entspiegelten Strukturen möglichst kostengünstig und mit hoher mechanischer Stabilität herzustellen. Entspiegelte Gläser lassen sich beispielsweise durch Sol-Gel-Beschichtungsverfahren erzeugen, bei denen sich durch ein Tauchverfahren auf dem Glassubstrat eine nanoporöse Antireflexschicht aufbringen lässt, die die Lichtreflexion auf ca. zwei Prozent reduziert. Mittlerweile sind auch Verfahren entwickelt worden, mit denen sich Antireflexstrukturen auf Kunststoffsubtraten kostengünstig herstellen lassen. Dabei werden die gewünschten Strukturen durch ein Beschichtungsverfahren in einer Gussform erzeugt und mit einer speziellen Spritzgusstechnik in einem einzigen Prozessschritt auf entspiegelte Kunststoffscheiben übertragen.
Bionische Faserverbundwerkstoffe entfalten ihre Eigenschaften aus dem Nachempfinden von Schachtelhamen und Pfahlrohren, wie man sie in botanischen Gärten findet. Deren Erforschung führte zum technischen Pflanzenhalm, einem strukturoptimierten bionischen Faserverbundmaterial mit Gradientenaufbau. Es zeichnet sich durch hohe Steifigkeit mit sehr guter Schwingungsdämpfung und einem gutmütigen Bruchverhalten aus. Diese pflanzlichen Faserverbundgewebe sind mit geringstem Material- und Energieaufwand aufgebaut, erzielen aber erstaunliche mechanische Leistungen. So ist zum Beispiel der Winterschachtelhalm aus äußerem und innerem Druckzylinder und verbindenden, abstandshaltenden Stegen aufgebaut. Dieser Sandwichaufbau mit hoher spezifischer Biegesteifigkeit und Knickstabilität verhindert Verbeulen und Knicken der dünnen Halmstruktur.
Ein weiteres interessantes Vorbild ist das Pfahlrohr, das durch den Wind angeregte Schwingungen über einen graduellen Steifigkeitsübergang zwischen Fasern und Grundgewebematrix hervorragend dämpft. Außerdem weist das Pfahlrohr ein gutmütiges, zähes Bruchverhalten auf, das im starken Gegensatz zum spröden Bruchverhalten technischer Faserverbundwerkstoffe steht. Biologen und Ingenieure kombinierten die pflanzlichen Vorbilder des ultraleichten Sandwichaufbaus des Winterschachtelhalms und der Schwingungsdämpfung des Pfahlrohrs und entwickelten daraus den technischen Pflanzenhalm. Dieser kann mittels einer speziellen Technik, der sogenannten Pultrusionstechnik hergestellt werden, wobei der Steifigkeitsgradient zwischen Fasern und Matrix mittels auf die Fasern aufgebrachter Nanopartikel erreicht wird. Die Einsatzbereiche des technischen Pflanzenhalms sind vielfältig und vor allem überall dort zu sehen, wo druck- und biegebelastete Verbundprofile eingesetzt werden. Hierzu zählen die Luft- und Raumfahrttechnik, der Fahrzeugbau, Sportgeräte und das Bauwesen. Zusätzlich können die Nebenkanäle des technischen Pflanzenhalms zum Transportieren von Flüssigkeiten oder zum Einlagern von vorgespannten stabförmigen Festigkeitsträgern genutzt werden.
Zukünftige Faserverbundtechnik könnte zudem auf der künstlichen Herstellung von Spinnenseide aus Seidenproteinen beruhen, deren Erzeugung bereits gelang. Spinnenseide ist hochfest, dehnfähig, leicht und wasserfest. Ein Faserverbundwerkstoff aus Spinnenseidenfaserbündeln oder aus natürlichen, besonders leichten Glasfasern nach dem Vorbild des Glasschwamms könnten eine Applikation sein. Dabei sind die Fasern beschichtet mit einem festen, zähen, wasserabweisenden Haftvermittler nach dem Vorbild des Klebstoffs der Seepocken, kombiniert mit einer Matrix aus Biopolymeren. Die einzelnen Bauteile sind fest und doch leicht austauschbar, zusammengefügt mit Haftstrukturen ähnlich denen der Füße von Geckos.
Erfolgsgeschichten entstehen oftmals zufällig, wie das folgende Beispiel im Zusammenwirken von Leichtbauwerkstoffen, Prothetik und Leistungssport eindrucksvoll unterstreicht. Hauptakteur ist dabei ein oberschenkelamputierter Behindertensportler. Der junge Mann spielte sehr erfolgreich Fußball und befand sich seinerzeit in Verhandlungen mit einem Profiverein. Wenige Tage nach Beginn der Vertragsverhandlungen erlitt er einen schweren Sportunfall, infolgedessen ihm das linke Bein oberhalb des Knies amputiert werden musste. Das bedeutete, dass er, um seiner Leidenschaft für „alles, was mit Sport zu tun hat“ weiterhin nachgehen zu können, eine Prothese benutzen musste. Der Behindertensportler hat sich im Behindertensport zunächst auf die Weitsprungdisziplin festgelegt und später noch die Disziplin Sprint hinzugenommen.
Während die meisten Menschen mit körperlichen Behinderungen Standardprothesen für den alltäglichen Gebrauch verwenden können, ist der Markt für Spezialanfertigungen im sportlichen Bereich sehr eingeschränkt. Dabei erscheinen für die von Athleten verwendeten Standardprothesen die möglichen Optimierungspotenziale bei Weitem nicht ausgeschöpft. So könnten für den Bereich des Leistungssports die Standardprothesen insbesondere unter dem Aspekt der Gewichtsreduzierung optimiert werden und angemessener an die in sportlichen Wettkämpfen auftretenden Belastungen ausgelegt werden. Bei der Verwendung der Standardprothesen hatte der Behindertensportler mehre Probleme mit der Standfestigkeit der gesamten Prothese. So ist vor allem der Verbindungswinkel zwischen dem künstlichen Kniegelenk und dem Fußmodul beim Weitsprung oft kaputtgegangen. Dies war zwar ein technisches Problem, doch, was noch wichtiger ist, darüber hinaus wurde eine psychologische Barriere ausgelöst. Wenn er trainierte, machte er sich stets Sorgen, dass sein künstliches Bein nicht halten könnte, und er wusste nie, wie weit er sich und die Prothese beim Sprung belasten konnte.
Beiträge im deutschen Fernsehen, speziell die Sendung Aktion Mensch lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Situation von behinderten Athleten. Im Vordergrund dieser Berichte stand der erwähnte oberschenkelamputierte Athlet, der für die Paralympics 2004 in Athen trainierte. Die Berichte veranlassten die Europäische Weltraumorganisation ESA und mich mit meinem Team als der von der ESA beauftragte Technologievermittler zu Überlegungen, ob die Anwendung von Raumfahrttechnologien