Oceanside Affairs. Alexandra B. Schopnie

Oceanside Affairs - Alexandra B. Schopnie


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würde sie sich damit nicht mehr beschäftigen sondern schlafen, sich auf ihren Job konzentrieren und sich nicht nach Hollywood zu einem Schauspieler einer Fernsehserie träumen. Es gab Grenzen, die man besser nicht übertrat, wenn man sein echtes Leben noch auf die Reihe bekommen wollte.

      *

      Noch zehn. Neun. Acht. Sieben… Chase Anderson zählte gedanklich hinunter bis null und ließ dann die Arme sinken. Er spürte die Nachwirkung der Übung an der inneren Seite seiner Oberarme und anhand des fast schmerzhaften Ziehens in den Brustmuskeln. Mehrere Teile seines Körpers meldeten Erschöpfung an und Chase war dankbar, dass er das Training jetzt guten Gewissens beenden konnte. Das weiße Handtuch sog den Schweiß von seiner Stirn, als er sich damit über das Gesicht fuhr.

      Beim Aufstehen fühlte er den hartnäckigen Rest einer leichten Zerrung im rechten Unterschenkel, die er sich vorletzte Woche beim Dreh auf einem Hügelkamm zugezogen hatte, die Prellung seines Arms von einer Kampfszene und die Schürfwunde am Knie, die er sich bei einem Sturz während eines Sprints eingehandelt hatte. Er trank einen Schluck kaltes Wasser aus einer silbernen Trinkflasche, die das Logo des Senders trug, dessen Serie das Haus finanzierte, in dem er seit vier Jahren lebte.

      Die Rolle, die man ihm vor vier Jahren angeboten hatte, lebte von abenteuerlichen Szenen und waghalsigen Aktionen. Außerdem war es unabdingbar, dass der Detective eines Küstenorts auch in Badehosen eine herausragende Figur machte, und so fügte sich Chase seitdem einem straffen Trainingsplan. Einmal die Woche hatte Chase einen Termin bei einem Physiotherapeuten, der mit ihm sein Trainingsprogramm besprach, prüfte, ob sein Körper Zeichen von Überbelastung zeigte und der ihn, falls notwendig, auf bestimmte Stunts oder Szenen vorbereitete. An den meisten Tagen machte es ihm Spaß, doch manchmal, wenn die Muskeln zu übersäuern schienen und die Drehtage viel Präsenz forderten, sehnte auch der sportlichste Mensch sich mal nach seiner Couch.

      Und genau dahin würde er jetzt gehen, dachte Chase bei sich, als er seinen privaten Fitnessraum im Keller seines Bungalows hinter sich ließ.

      Vermutlich nagte auch noch das Quartalsgespräch von heute Morgen an ihm, in welchem man ihm mitgeteilt hatte, dass die Zuschauerzahlen von Oceanside Murders seit der aktuell laufenden Staffel sanken und es zur Debatte stand, die Serie nach dem Abschluss des gerade begonnen Drehs der fünften Staffel abzusetzen. Sie konnten offenbar nicht mit den Dauerbrennern der Primetime mithalten.

      Halbherzig schmiss er das Handtuch auf die Couch im Wohnzimmer und ließ sich hinterherfallen, die Beine lang ausgestreckt. Er griff zu der Wundsalbe, die immer auf dem Couchtisch lag, und verteilte die weiße Creme auf dem geschundenen Knie. Wenn er irgendwann mal kein Actionheld mehr sein würde, brachten ihn zu viele Narben wohlmöglich um eine Rolle. Sein Kopf fiel zurück. Er fühlte die weichende Wärme unter seiner Haut, die Müdigkeit seiner Beine. So sehr er seine Arbeit auch mochte, er war einfach geschafft.

      Der Fernseher füllte den Raum mit Hintergrundrauschen, das die Stille übertönte. Chase griff nach seinem Handy. Eine Nachricht seiner Schwester Susie, eine Terminerinnerung für morgen – sämtliche Benachrichtigung weiterer sozialer Medien waren ausgeschaltet. Dennoch schaute er einmal bei Twitter vorbei. Die App mit dem kleinen, blauen Vogel war das einzig noch verbliebene Medium, dessen beruflichen Kanal er selbst bediente.

      Eher lustlos scrollte Chase durch seine Timeline und verlor sich in Meinungen von Fans und Kritikern, die unter dem Hashtag #OceansideMurders etwas gepostet hatten. Meistens sparte er sich eigene Reaktionen auf Fanmeinungen. Fans waren sehr sensible Wesen und reagierten nicht immer so wie erhofft, wenn man in Interaktion mit ihnen trat. Aber es war erst halb acht und er war zu kaputt, um noch viel mit diesem Abend anzufangen.

      Chase wusste, dass manche Kollegen sogar feste Stundenkontingente für die Netzwerke hatten, aber das war einfach nicht sein Ding, auch wenn ihm bewusst war, dass Interaktionen mit den Fans ihn in seiner Außenwirkung nahbarer machten. Schauspieler mit Rollen wie seiner kämpften häufig mit Vorurteilen. Zu zeigen, dass man ein ganz normaler Mensch war, half dagegen.

      Sein Blick blieb an einem Post hängen, in dem sein Po erwähnt wurde. Chase rieb sich die Stirn, die Wärme wich langsam einer kriechenden Kälte – einem Gemisch aus herunterfahrenden Vitalfunktionen und Müdigkeit. Mehr oder weniger wahllos klickte er auf das kleine Herzsymbol, um seinen Like zu geben, und dann auf die Kommentarfunktion. Er schrieb etwas, das er für einigermaßen charmant hielt, und fragte nach irgendwas, was mit der Serie zu tun hatte. „Content erzeugen“ nannte sich das, eine der wenigen Strategien von Social Media Marketing, die er ansatzweise verstand: Wenn du willst, dass die Leute deine Serie gucken, dann bring sie dazu, sich darüber zu unterhalten.

      Abgesehen von seinen beruflichen Sorgen hatte er kalte Füße. Chase griff nach der grauen Wolldecke, während er auf das Profil des Fans klickte, dessen Beitrag er gerade geliket hatte. Es war eine Frau, was auf die meisten seiner Fans zutraf. Ihre letzten Tweets drehten sich um die Serie.

      Und dann las er: „Ein Fan zu sein, bedeutet, das Herz dem Unbekannten zu öffnen. Es bedeutet Treue und Loyalität dem Fremden gegenüber und den gezielten Einsatz der Fantasie, um die Fremde zu überbrücken.“

      Ob es das war, was seine Fans taten: Ihm sein Herz öffnen? Wofür? Für die Idee eines erfundenen Detectives? Für einen Hauch des Salzwassers in der Luft Kaliforniens, für einen zu stolzen Mann mit einer Waffe?

      Chase klickte aus einem inneren Impuls heraus auf „Folgen“ und warf das Handy beiseite.

       2

      Lea Comwell hatte knapp schulterlanges blondes Haar, mit Strähnchen und Highlights gesäumt, das sie meist offen oder in einem unordentlichen hohen Zopf trug. Ihr Markenzeichen waren die goldenen Kreolen, die an vielen Ohren billig aussehen mochten, doch bei Lea unterstrichen sie nur ihre Außenwirkung: einen aufregenden Mix aus Blumenmädchen und moderner Tresendame in einem hippen Schuppen. In Wahrheit hatte sie in Portland Bauingenieurswesen studiert und arbeitete bei einer Hochbaufirma in der Konzeption. Als Frau war sie in ihrem Beruf eine Rarität, dementsprechend viele Verehrer hatte sie.

      Maddies Kompetenzen waren auf andere Bereiche ausgerichtet: Kinder, Englisch und Sport – deshalb war sie auch Grundschullehrerin geworden und keine Ingenieurin.

      So unterschiedlich sie auch waren, als beste Freundinnen kannten sie einander so gut, dass Lea sofort sah, dass Maddie im Ausnahmezustand war, als sie sich drei Tage nach ihrem letzten gemeinsamen Serienabend auf einen Kaffee in der Stadt trafen.

      „Was auch immer es ist, spuck es sofort aus“, forderte Lea trocken.

      „Lass uns doch erst mal bestellen“, gab Maddie zurück, während sie versuchte weniger aufgeregt zu wirken, als sie es seit Tagen war. Sie fühlte sie sich, als könnte sie Bäume ausreißen. Vielleicht sogar Häuser. Oder Planeten.

      Sie bestellten süße Kaffeeträume mit allerlei verschiedenen Dingen drin, die mit Kaffee genaugenommen nicht mehr viel zu tun hatten, und setzen sich an ihren Lieblingstisch in der rechten Ecke beim Fenster.

      „Was ist denn mit dir passiert? Lotterie-Gewinn? Speed, LSD?“, neckte Lea, als sie schließlich saßen.

      „Ich muss dir was zeigen“, antwortete Maddie knapp und kramte ihr Smartphone hervor. Die Benachrichtigungen für neue Likes und Kommentare bei Twitter hatte sie inzwischen ausgestellt, um nicht wahnsinnig zu werden. Sie öffnete ihren ursprünglichen Tweet mit der Frage zu Chases Hosen und klickte auf Chase Andersons Antwort. All das, was sie Chase Anderson schreiben wollte, auf 140 Zeichen zu begrenzen, war hart gewesen. Sie drückte Lea das Handy wortlos in die Hand.

      Der Moment in dem Lea verstand, mit wem Maddie da online einen öffentlichen Dialog geführt hatte, war gleichzeitig der, in dem sie sich zurücklehnte und nun mit zusammengezogenen Augenbrauen konzentriert auf das Display starrte.

       Von @mads_v_g

      Lieber Chase, ich möchte deinem Team seine Kompetenz nicht absprechen. Wie stehst du zu deiner Po-Form und Jeans? Was ist mit Logans freiem Willen?

       Von @Chase_Anderson_for_real

      Hey @mads_v_g, Fragen zu meinem Po beantworte


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