Geschmackssache oder Warum wir kochen. Günther Henzel

Geschmackssache oder Warum wir kochen - Günther Henzel


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in der Wildnis das Entfachen eines Lagerfeuers nachzuahmen (Bezug: MCGREW; ebenda)

      40 Heiße Quellen, geothermal erwärmtes Grundwasser, gibt es besonders in vulkanischen Gebieten. Der ostafrikanische Grabenbruch (engl. Great Rift Valley im Westen Kenias) gilt als die Wiege der Menschheit. Er ist eine Landschaft vulkanischen Ursprungs mit vielen Seen, Geysiren und heißen Quellen (LEAKEY; LEWIN 1986); auch Maori, die Ureinwohner Neuseelands, nutzen die 200°–300°C heißen Quellen traditionell u. a. zum Kochen (STEIN-ABEL 2019), (STEUBER; BUCHER 2014) – mittels Spießen u. Netzen; über einer Feuerstelle waren geeignete Gefäße notwendig, die erst mit der Entdeckung der Töpferei den entscheidenden Durchbruch erhielt

      41 Offenes Feuer (direkte Flamme) ist als Garmethode für große Tierkörper ungeeignet, da äußere Bereiche verbrennen und das Innere roh bleibt; in Neuseeland werden kleine Tiere an einem Holzspieß gegrillt, der in unmittelbarer Nähe des Feuers schräg im Boden steckt (HABERLAND 1912). Diese Technik nutzt die Strahlungswärme des offenen Feuers

      42 Die Ernährungsforscherin Karen Hardy vertritt die Auffassung, dass das Kochen von Nahrung und der Zuwachs an Amylase-Genen in einer Art Co-Evolution stattgefunden haben, wodurch erhöhte Mengen Glukose für das Gehirn, insbesondere während der Entwicklung im Mutterleib, zur Verfügung standen

      43 Bis zu drei Stunden Vorarbeit (zur Beschickung der Gargruben/Kochmulden) und etwa zwischen einer und acht Stunden Garzeit wenden indigene Bergeinwohner West-Neuguineas auf, die sich heute noch steinzeitlich ernähren; a. a. O., S.136

      44 A. a. O., S. 165 ff.

      45 Wir wissen heute, dass jeder Bissen im Organismus in verschiedenen Schritten biochemisch (enzymatisch) zerlegt und umgebaut wird (Katabolismus), bevor seine Moleküle den Zellen als Energie- und Baustoffe dienen (Anabolismus). Diese enzymatische Zerlegung erfolgt schrittweise (von komplexen Molekülgruppen bis runter zu einfachen) und kann nur unter bestimmten 'Voraussetzungen' ablaufen, überwiegend unter Anwesenheit von Wasser

      46 Ungenießbares wird aussortiert, Fasern abgestreift, Teile sorgfältig gewählt und Happen fortlaufend variiert: »Zum Beispiel werden für kurze Zeit die zarten Selleriespitzen bevorzugt, dann erfolgt ein Wechsel zu Nesselblättern, danach steht Galium auf dem Programm und anschließend kehrt man zum Sellerie zurück, aber dieses Mal gilt das Interesse den wasserhaltigen, geschälten Stangenteilen«; a. a. O., S. 77

      47 A. a. O., S. 75

      48 Experimente mit Versuchstieren haben gezeigt, dass Tiere über den Geschmack von präpariertem Futter (z. B. mit weniger Kalorien) die Nahrungsmenge steuern, indem sie automatisch mehr essen, wenn sie diesen Geschmack erkennen. Bei geschmacklich verschiedenen Lösungen (A mit weniger und B mit mehr Kalorien), werden sie durch Freisetzung von Cholecystokinin (steuert das Sättigungsgefühl – wörtlich: Gallenblasenbeweger) davon abgehalten, von der Lösung mit dem Geschmack A zu trinken, nicht jedoch mit dem Geschmack B; a. a. O., S. 75 ff.

      49 U. a. die autonome Kontrolle der Glukose- und Fettdepots ('Notvorrat'), Aminosäurespiegel des Plasmas und Speicherkapazitäten für ATP; die Regeneration des ATP-Pools muss durch Energieanteile aus der Nahrung gewährleistet sein und wird durch ein spezifisches Hungergefühl geregelt. Derzeit werden weiße, braue und beige Fettzellen unterschieden – das eigentliche Fettdepot besteht nur aus weißen Zellen; braune und beige Fettzellen dienen der unmittelbaren Energieerzeugung (unter Umgehung der ATP-Bildung) (REA, P. A. et al. 2015)

      50 Ein Nahrungssuchverhalten, wie es für Allesfresser typisch ist. Diskutiert werden gegenwärtig verschiedene Transkriptionsfaktoren, die durch die Bindung eines Liganden (meist Hormone) in der Lage sind, an DNA zu binden und die Transkription eines oder mehrerer Gene zu unterdrücken oder in Gang zu setzen. Auf diese Weise kann jedes Individuum auf Nahrungsinhaltsstoffe spezifisch reagieren und vorteilhafte Komponenten durch die Ausbildung von Rezeptoren präferieren (RUSCHKE 2007)

      51 Das enterische Nervensystem (ENS) ist Teil des Nervensystems; es enthält Neurotransmitter (u. a. Serotonin, Dopamin), die auch im Gehirn freigesetzt werden, wenn uns etwas gut schmeckt; auch deshalb steht die Darmbiota im Blick aktueller Forschung; siehe auch: BLECH 2019

      52 A. a. O., S. 385, 386

      53 A. a. O., S. 388

      54 A. a. O., S. 369

      55 A. a. O., S. 327 ff.

      56 Auf der Suche nach Nahrung in der unbeschatteten Savanne überhitzte rasch der Kopf, sodass sich nur jene Individuen behaupten konnten, deren Gehirn mit einem Geflecht kleiner Venen ausgestattet war, das die Hitze aus dem Kopf transportierte – eine Art »Klimaanlage« des Gehirns (HOFFMANN 2014; S. 137)

      57 »Verbesserte Werkzeuge, Anpassungen im Sozialverhalten (Aufteilen von Aufgaben und Ressourcen innerhalb der Gruppe, verstärkte Kooperation), Entwicklung von Sammel- und Jagdstrategien« (EWE 2009)

      58 Die Mutation des Gens, das für das Protein MYH16 (myosin heavy chain) kodiert, habe sich vor rund 2,4 Millionen Jahren ereignet (gefunden in: Wikipedia)

      59 Man nimmt an, dass sich der Organismus mit sog. Orts- und Gitterzellen und auch Zeitzellen des Gehirns orientiert, mit denen er die Dauer der Wegstrecke ermittelt und erinnert; a. a. O.

      60'Prinzip der optimalen Futtersuche' (optimalforaging) oder das Optimalitätsmodell. Ein Aspekt der Ökologie, der die Nahrungsbewertung und Entscheidungsfindungen bei der Futtersuche und Nahrungsauswahl nach Kriterien einer 'Kosten-Nutzen-Rechnung' beschreibt (HARRIS 1990; S. 258 ff.)

      2 Lernfähigkeit befördert die Rohstoffbearbeitung

      Auch wenn unsere nächsten Verwandten (Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans) keine Kochtechniken entwickelt haben, so wenden sie dennoch, wie bereits betont, einfache (kognitiv weniger anspruchsvolle) Techniken zur Bearbeitung von Rohstoffen an. Es sind »Einschritt-Arbeitstechniken«, mit denen sie direkt (oft durch Wiederholung der gleichen Handlung) ein Ergebnis erreichen. Diese Techniken werden nur für den Rohstoff angewendet, für den sie ersonnen wurden – nur selten auch für die Bearbeitung anderer Objekte (EIBL-EIBESFELD 1996).61

      Aus Beobachtungen in freier Wildbahn konnte J. GOODALL (1999), (KÜHL 2016), vielfach dokumentieren, dass es vor allem bei Schimpansen unterschiedliche Formen des Werkzeuggebrauchs gibt. So kennen sie mehrere Varianten des Honig-Sammelns mittels verschiedener Zweigstrukturen, des Termiten-Angelns mit speziell für den betreffenden Hügel gefertigten Stöckchen,62 die Wasseraufnahme mit Hilfe von Blättern sowie die Verwendung von welken Blättern beim Zerkauen von Fleisch (weil sich die Muskelfasern dann mit den Zähnen offenbar besser zerkleinern lassen – sie haben dann mehr 'grip', sind weniger »glitschig«). Westafrikanische Schimpansen sollen nach neuerer Forschung bereits seit Tausenden von Jahren mit Steinwerkzeugen Nüsse knacken und im Senegal benutzen Schimpansen gewohnheitsmäßig Speere, um Beutetiere zu jagen (BOESCH 2007), (EIBL-EIBESFELD 1996). Im Primatenzentrum der Universität von Madrid zerrieb ein zahnloser Schimpanse Früchte und Gemüse an Wandflächen, um dann das Fruchtfleisch abzulecken (das wohl auch durch die Reaktion mit Luftsauerstoff besser schmeckte) (WELT 2000). Berühmt sind die Beobachtungen der Japanmakaken auf der Insel Kōjima, die Süßkartoffeln vor dem Verzehr in Wasser waschen (um den Sand zu entfernen) und sogar das Eintauchen in Salzwasser praktizieren, um auf diese Weise einen zusätzlichen Geschmackseffekt zu erreichen (s. CARPENTER 1967, wiss. Film).

      Diese wenigen ausgewählten und z. T. in Filmsequenzen dokumentierten Beispiele zeigen, dass Primaten Nahrungseigenschaften erkennen und behalten und die dafür notwendigen Veränderungen gezielt herbeiführen, sofern sie das mit einer (redundanten) Handlung erreichen können. Zu aufeinanderfolgenden, sich bedingenden Arbeitsschritten sind sie kaum fähig. Hierzu bedarf es der oben angesprochenen Denkleistung, in der die Handlungsabläufe auch in ihrer zeitlichen Abfolge vorab geplant


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