Together. Katrin Gindele

Together - Katrin Gindele


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stellte die Lampe auf dem Schrank ab und schob den Deckel vom Karton. Einige Honigpastillen kamen zum Vorschein, eine Handvoll Plätzchen lag obenauf. Gierig griff ich danach und schob sie mir allesamt in den Mund. Noch nie hatten vertrocknete Plätzchen so himmlisch geschmeckt.

      Während ich genüsslich kaute, fiel mein Blick auf die Truhe im Wohnraum, die dort stand und auf ihren Einsatz wartete.

      Mutter überließ nichts dem Zufall, das tat niemand in unserem Dorf.

      Doch die Truhe war natürlich, wie sollte es auch anders sein, verschlossen.

      Selbst die Tür, die im zweiten Stock zu unseren Zimmern führte, war versperrt, weshalb ich auch nicht an meine anderen Sachen oben in meinem Kleiderschrank herankommen würde.

      Da ich dort ohnehin nur Sommerkleider und leichte Blusen aufbewahrte, machte es für mich jedoch keinen Sinn, das Schloss an der Tür aufbrechen zu wollen.

      Die richtig interessanten Kleidungsstücke lagen in der Truhe.

      Wild entschlossen stopfte ich mir noch eine Honigpastille in den Mund, behielt ein paar für später zurück, schob den Deckel auf die Schachtel und stellte die kleine Kiste zurück in ihr Versteck. Bewaffnet mit einem Messer aus der Küche und meiner Lampe, die meinen Pfad nur spärlich ausleuchtete, machte ich mich auf den Weg in die Wohnstube.

      Dort stellte ich die Lampe auf den Kamin, kniete mich vor die Truhe und inspizierte genauestens das alte, leicht verrostete Schloss. Vorsichtig setzte ich das Messer an und drückte die Klinge in den Spalt, der für den Schlüssel bestimmt war. Nach einigen Schwierigkeiten, ich wollte schon aufgeben, klickte es plötzlich und das Schloss sprang auf.

      Erfreut jauchzte ich. Dann zuckte ich zusammen, weil ich befürchtete, ich könnte meine Eltern geweckt haben.

      Doch es blieb still im Haus.

      Eilig hob ich den Deckel an. Obenauf lagen die Sachen meines Vaters. Eine Hose, zwei paar warme Socken, sein dicker Stricküberwurf und robuste Schuhe. Darunter entdeckte ich die Garderobe meiner Mutter. Das grüne, lange Baumwollkleid, ein roter Überwurf aus Wolle, die braune Strickjacke, das Beinkleid und ihre Halbschuhe.

      Endlich ertasteten meine Hände den Stapel mit meinen Sachen. Noch immer am ganzen Leib zitternd, förderte ich meine kuschelige Strickjacke zutage und schlüpfte, kaum, dass ich sie aus der Truhe befreit hatte, hinein.

      Mein blaues langärmeliges Kleid und das wollene Beinkleid ließ ich liegen, schließlich wollte ich mich wieder in mein Bett verkriechen, sobald mir etwas wärmer wurde.

      Zur Sicherheit schlüpfte ich noch in meine weißen Halbschuhe, um meine eiskalten Füße ein wenig aufzuwärmen.

      Viel besser.

      Ganz allmählich regulierte sich meine Temperatur nach oben, was mich etwas verunsicherte.

      Konnte ich überhaupt wieder einschlafen, wenn sich mein Körper schon auf das Wachbleiben einstellte?

      Während ich gründlich darüber nachdachte, stopfte ich die übrig gebliebenen Honigpastillen in meine Jackentasche, dabei wanderten meine Augen zur Haustür.

      Ob draußen noch Schnee lag?

      Bis jetzt hatte ich noch nie echten Schnee gesehen, kannte ihn nur von Erzählungen und aus den Geschichtsbüchern in unseren Lehrräumen. Normalerweise würde ich auch niemals echten Schnee zu Gesicht bekommen.

      Normalerweise ...

      Meinen Blick streng auf die Tür gerichtet, schnappte ich mir die Kerze vom Kamin. Meine Füße bewegten sich wie von selbst zur Haustür.

      Das ist eine einmalige Chance, versuchte ich meine nagende Neugierde zu rechtfertigen und schob die Kerze auf den Esstisch. So eine Möglichkeit bekommst du nie wieder.

      Doch was ist mit den Wölfen, fuhr es mir durch den Kopf. Sie waren dort draußen irgendwo. Auf keinen Fall wollte ich sie auf mich aufmerksam machen. Womöglich, grübelte ich darüber nach, stimmte es, was man sich erzählte, und die Wölfe waren längst aus unserem Dorf verschwunden, um die nördliche Grenze zu bewachen.

      Zögerlich griff ich nach dem ersten von drei großen Riegeln an unserer Haustür. Nur einen kurzen Blick riskieren, beruhigte ich mein vor Aufregung rasendes Herz. Danach würde ich mich sofort und auf der Stelle in mein Bett verkriechen!

      Schlussendlich siegte die Neugierde über meine Angst vor dem Unbekannten. Der Gedanke, ich würde zum ersten Mal in meinem Leben echten Schnee sehen, überlagerte jegliche Panikgefühle.

      Als der letzte Riegel den Weg freigab, zitterten meine Hände unaufhörlich – diesmal jedoch nicht vor Kälte. Ich konnte es kaum erwarten die Tür zu öffnen.

      Keine Wölfe, redete ich mir ununterbrochen ein. Daran musste ich nur fest genug glauben.

      Es klickte kurz und das Türschloss gab nach.

      So leise wie möglich drückte ich die Türklinke nach unten, dabei schaute ich immer wieder hinter mich, um mich zu vergewissern, dass niemand aufwachte. Meine Finger umfassten den Holzrahmen. Mit aller Kraft schob ich die schwere Tür einen winzigen Spalt breit auf.

      Das Erste, was ich bemerkte, war die eisige, klare Luft, die mir sogleich entgegenschlug. Voller Erwartung steckte ich meinen Kopf durch den Türspalt.

      Der Anblick versetzte mich in staunen. Vergessen waren die Wölfe.

      Unsere Straße war kaum wiederzuerkennen. Es musste kurz vor Tagesanbruch sein, der Mond stand nicht mehr ganz so hoch am Himmel, weiter hinten konnte ich bereits die aufgehende Sonne erkennen.

      Das Weiß hatte sich wie eine flauschige Decke über allem ausgebreitet – es lag mindestens kniehoch. Unaufhörlich rieselten dicke Flocken vom Himmel. Es war still im Dorf, der Schnee schien sämtliche Geräusche zu verschlucken. Eine friedliche Stille, die mich tief beeindruckte.

      Meine Faszination übermannte mich endgültig.

      Vorsichtig streckte ich einen Arm durch den schmalen Türspalt und öffnete meine Hand.

      Als die erste Flocke auf meine Haut traf und ich mich vorbeugte, um sie mir genauer anzusehen, bemerkte ich die winzigen filigran geformten Eiskristalle, ehe die Schneeflocke in meiner Handfläche zu einer kleinen Pfütze zerschmolz. Ungeduldig wartete ich auf das nächste Flöckchen, das nicht sehr lange auf sich warten ließ.

      Jede wies ein anderes Muster auf. Wunderschön gearbeitete kleine Kunstwerke der Natur. Funkelnde, weiße Kristalle, so wunderschön.

      Ich konnte gar nicht genug bekommen. Meine Handfläche war inzwischen pitschnass, was mich jedoch wenig störte, genauso wenig wie die Kälte, die mit den Schneeflocken einherging. Voller Bewunderung fing ich immer wieder welche auf und betrachtete sie mit Staunen, ehe sie wenige Augenblicke später schmolzen.

      Inzwischen stand ich ganz und gar auf der Türschwelle, beide Arme nach vorn ausgestreckt, und war ganz versunken in diesen faszinierenden Anblick. Unser Dorf war wunderschön.

      Die Dächer der umliegenden Häuser lagen unter einer dicken Schneedecke. Dichter Nebel war an den Bäumen und Sträuchern festgefroren, er ließ Äste und Zweige im sanften Mondlicht funkeln wie tausend winzige Diamanten. Es wirkte alles wie ein verwunschener Ort aus einem fernen Wintermärchen.

      Voller Wehmut dachte ich darüber nach, weshalb es mir nicht vergönnt war, auch im Winter ein waches Leben zu führen.

      Wieso musste ich schlafen, während die Natur eine solche atemberaubend schöne Kulisse herbeizauberte – das war ungerecht.

      Während ich so dastand, mit dem Rücken am Türrahmen lehnend, und mich selbst bemitleidete, schaute ich gedankenverloren zum Himmel hinauf. Sonne und Mond standen nun nah nebeneinander. Ein Schauspiel von beeindruckender Schönheit, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte.

      Nicht mehr lange, überlegte ich, dann würde ein neuer Tag anbrechen.

      Wie mochte unser Dorf wohl am helllichten Tag aussehen, inmitten dieser weißen Pracht?

      Der


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