Together. Katrin Gindele

Together - Katrin Gindele


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      Oh, ich wünschte, ich könnte es sehen!

      Die Versuchung wurde immer größer.

      Just in dem Moment hörte ich gedämpft ein paar Stimmen, die langsam aber beharrlich näherkamen. Mit angehaltenem Atem lauschte in die verschneite Stille.

      War noch jemand außer mir aufgewacht?

      Neugierig geworden, machte ich einen Schritt nach vorn über die Schwelle und sah mich um. Augenblicklich schoss mein Puls nach oben.

      Das konnte niemand aus unserem Dorf sein, dessen war ich mir plötzlich sicher. Selbst wenn noch jemand außer mir aufgewacht war, so würde derjenige ganz sicher nicht bei dieser Kälte durchs Dorf laufen, sondern im Haus bleiben und versuchen sich warm zu halten.

      Das konnte nur bedeuten ...

      Mit einem Satz sprang ich ins Haus zurück, drückte die Tür ins Schloss und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Mein Herz schlug so laut, dass ich Mühe hatte richtig zu atmen.

      Das Böse war in unserem Dorf.

      Meine Gedanken überschlugen sich, während ich inständig darauf hoffte, dass sich die Stimmen, die zweifellos zu Männern gehörten, wieder von mir entfernen würden.

      Was sollte ich tun?

      Doch sie kamen näher, ich erkannte, dass es sich um mindestens zwei Männer handeln musste. Fast konnte ich verstehen, worüber sie sprachen. Dann entfernte sich plötzlich einer von ihnen, als wäre er an der nächsten Ecke abgebogen.

      »Halt, warte«, hörte ich den Zweiten etwas lauter rufen.

      »Ich glaube, dort oben in dem Haus brennt Licht.«

      Ich riss den Kopf herum und starrte die Kerze an, die noch immer auf unserem Esstisch stand. Offensichtlich konnte man den sanften Schein der Flamme von außen durch die Fensterläden erkennen, was mich nervös zusammenzucken ließ.

      Schnell hastete ich zum Esstisch, schob das Glas nach oben und pustete die Kerze aus. Dann hielt ich die Luft an und lauschte auf eine Reaktion.

      »Ich sehe nichts«, kam prompt die Antwort von seinem Kumpan. »Du siehst Gespenster. Hier ist niemand wach.«

      Erleichtert atmete ich aus. Das war knapp gewesen.

      »Ich gehe trotzdem nachsehen.« Ich hörte, wie der erste Sprecher auf mich zukam. »Das Haus ist riesig und bestimmt voller Vorräte.«

      Mir wurde flau im Magen. Mit rasendem Puls verharrte ich hinter der unverschlossenen Tür, die ich nun nicht mehr zusperren konnte, weil mich der Krach verraten würde. Warum hatte ich die Tür nicht schon vorhin verriegelt – wie hatte ich das vergessen können? Nun war es dafür zu spät. Wenn der Mann bereits unmittelbar vor unserem Haus stand, und davon musste ich ausgehen, da ich ihn nun laut und deutlich verstehen konnte, würde er es sicherlich mitbekommen, sollten die Schlösser einrasten. Das wollte ich auf keinen Fall riskieren.

      »Dieses Haus nicht«, rief ihm der andere Mann nach. »Dort wohnt die Vorsteherin. Beiße niemals die Hand, die dich füttert.«

      Seine gedämpften Schritte verstummten kurz darauf direkt vor unserer Tür und mein Herzschlag verdoppelte sich beinahe.

      »Geh du schon voraus«, rief er dem anderen Mann hinterher.

      »Ich komme gleich nach.«

      Ehrwürdiger Lichtgott, bitte nicht!

      So schnell ich konnte, rannte ich durch die Küche und spurtete zum Eckschrank, dort versteckte ich mich rechts neben dem Waschplatz. Im Haus war es stockdunkel, mit etwas Glück würde er mich in der Nische nicht sehen.

      Die Haustür wurde aufgeschoben, ganz langsam. Ich konnte spüren, dass mir alle Farbe aus dem Gesicht wich.

      »Nicht abgeschlossen«, murmelte der fremde Mann, ehe er den Kopf zur Tür hereinsteckte. Seine gedämpfte Stimme klang in höchstem Maße erstaunt.

      Zum ersten Mal in meinem Leben würde ich einen Nordmann sehen, einen jener brutalen Monster, die unser Dorf überfielen und teilweise sogar unser Vieh gleich an Ort und Stelle abschlachteten.

      Er war dabei in das Haus einzutreten. Und weil ich die Schlösser geöffnet hatte, ohne sie danach gleich wieder zu schließen, würde er damit auch keinerlei Schwierigkeiten haben. Nun gab es nichts mehr, was ihn aufhalten konnte.

      Ich war einer Ohnmacht nahe. Was hatte ich nur getan?

      Das Holz knarrte leise, als er die Haustür noch ein Stück weiter öffnete, bis er schließlich in voller Größe auf der Schwelle stand.

      Schnee wehte herein, ein Schwall eisiger Kälte erreichte mich und ließ mich frösteln. In geduckter Haltung harrte ich in meinem Versteck aus, am ganzen Leib zitternd, und hoffte inständig darauf nicht entdeckt zu werden.

      Der Mann blieb auf der Türschwelle stehen, seine aufrechte Körperhaltung wirkte angespannt wachsam. Bewaffnet mit einem Messer, das er in der rechten Hand trug, inspizierte er schweigend unsere Küche.

      Trotz meiner übermächtigen Angst riskierte ich einen kurzen Blick in seine Richtung. Ich wollte ihn im Auge behalten.

      Er war von Kopf bis Fuß in grauen Pelz eingehüllt und hatte eine Kapuze über den Kopf geschoben, sodass ich lediglich ein paar dunkle, stechende Augen erkennen konnte. Der Rest seines Gesichtes wurde von einem schwarzen Tuch verdeckt.

      Die Farbe seiner Garderobe war gut gewählt, das musste ich zugeben.

      Eine Mischung aus melierten Grautönen, durchzogen mit sehr viel Weiß und Schwarz. Dadurch wurde er in der eisigen Winterlandschaft, vor allem in den umliegenden Wäldern, beinahe unsichtbar.

      Sollte ich das hier überleben, fuhr es mir schlagartig durch den Kopf, würde ich die Erste und Einzige in unserem Dorf sein, die jemals einen echten Nordmann gesehen hatte.

      »Zeig dich«, forderte der Mann mit rauer Stimme. »Ich weiß, dass du hier bist. Komm raus.«

      Erst jetzt wurde mir bewusst, dass der dünne Lichtkegel, den die aufgehende Sonne durch die geöffnete Haustür in unsere Wohnküche schickte, direkt bis zu der Ecke reichte, in der ich kauerte. Ich hätte mich zusammenrollen können wie ein Igel und wäre dennoch von ihm gesehen worden. Meine Gedanken überschlugen sich mehrfach.

      Was sollte ich nur tun?

      Vater hätte sicherlich gewusst, was in dieser Situation richtig gewesen wäre. Doch der schlummerte nebenan friedlich, er konnte mir nicht helfen.

      Meine ganze Familie lag schlafend im Nebenzimmer, schoss mir durch den Kopf. Dem Monster hilflos ausgeliefert. Das alles nur, weil ich unbedingt diesen dämlichen Schnee hatte sehen wollen. Durch meine Schuld würde das Scheusal meine Familie abschlachten, genauso wie sie es mit unserem Vieh machten.

      Vor lauter Panik war ich kaum noch in der Lage richtig zu atmen. Ich stand kurz vor einem Schock.

      »Soll ich dich holen?«, fragte die finstere Stimme und man konnte deutlich die unterschwellige Drohung heraushören, die in seinen Worten mitschwang.

      Mein Herz sackte in meine Magengrube, ich hatte das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Wie in Zeitlupe richtete ich mich auf und kam aus meinem Versteck hervor.

      Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, das Unvermeidliche abzuwenden. Womöglich zeigte das Monster Mitleid, wenn ich ihn anflehte, mich und meine Familie in Ruhe zu lassen.

      Der Mann war gut einen Kopf größer als ich, seine dunklen Augen fixierten mich unentwegt, während ich neben dem Esstisch stehen blieb und unsicher zu ihm aufschaute.

      »Was machst du hier?«, fragte er barsch.

      Zögernd öffnete ich meine Lippen.

      »Bitte«, flehte ich. »Tu mir nichts.«

      »Warum schläfst du nicht?«

      »Ich bin aufgewacht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Aber ich weiß nicht warum.«


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