Old Hansen oder 7 Tage eines Mannes aus der Nachbarschaft. H.R. Sebastian

Old Hansen oder 7 Tage eines Mannes aus der Nachbarschaft - H.R. Sebastian


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Umzugskisten.

      Im Wohnzimmer kniete er sich auf den Fußboden und begann die Kisten zu falten. Nebenbei überlegte er, ob er alles weggeben wollte oder ein paar Sachen als Erinnerung behalten könnte. Doch Hansen wurde, durch das Rudern zwischen den Gedanken und der Konzentration, die das Falten einforderte, schnell müde. Unvermittelt legte er sich auf das Sofa, deckte sich mit einer Tagesdecke zu, schlief ein und hoffte im Schlaf, dass man ihn doch bitte vergessen möge.

      Noch immer war es Sonnabend, als Hansen munter wurde. Er schaute auf seine Armbanduhr und es war fast zwölf. Mittagessen, dachte Hansen. Er konnte nicht spüren, ob er Hunger hatte, also legte er erst einmal die Tagesdecke zusammen und platzierte sie über die rechte Sofalehne, streifte ungeschickt die letzten Falten heraus, beließ es schließlich dabei und widmete sich erneut dem Falten der Kisten.

      Die Kisten standen wie Bauklötzer auf dem Teppich und glotzten ihn an. Hansen verharrte und Erinnerungen verhinderten weitere Schritte. Hansen versteckte sich in einem warmen Kokon und verweilte einige Minuten, denn endlich hatte er Zeit für Träume und die schönen Geschichten mit seiner Frau, die größer waren, als die schlechte Trauerserie der letzten Jahre. Es war auch nur die geballte Aufmerksamkeit des persönlichen Pechs, das sie beide geschafft hatte. Pech waren sie einfach nicht gewohnt. Und schon war Hansen wieder bei den Menschen, die das Ende dieser Geschichte erst so lange hinaus geschoben hatten. Doch was sollte er tun? Sie alle umbringen? Keine schlechte Idee, aber eine schlechte Lösung.

      Ein Klingeln an der Haustür ließ den Kokon platzen und Hansen hatte sich nicht verwandelt, denn er war immer noch derselbe.

      „Hallo, Papa.“

      Hansens jüngstes Kind stand vor ihm. Auch schon pensioniert, dachte er. Es kann nicht gesund sein, dass sich Eltern und Kinder noch im hohen Alter begegnen. Aber so ist das Leben.

      Hansen konnte nicht antworten, sein Kind fiel ihm in die Arme und heulte los. Er fühlte sich nicht wohl, denn er verschwand fast vollkommen im Körper seines Kindes. Noch so ein Nachteil.

      Er klopfte seinem Kind beruhigend auf die Schultern, zog mit der anderen Hand sein Taschentuch aus der Hose und tupfte die Tränen weg. Er wusste genau wie man das machen musste, denn er hatte in den letzten Jahren viele Tränen getupft. Er fühlte sich beklommen, ja eingeklemmt. Wieder musste er sich um das Leid der anderen sorgen. Wieder geriet sein Leben in den Hintergrund. Und dabei wollte er sich gerade ein Spiegelei braten, dazu Kaffee schlürfen, Kulturradio hören und aus dem Fenster glotzen, denn er wusste schon gar nicht mehr wie das ging. Doch dazu kam es nicht, denn die Türklingel schrie erneut.

      Hansen öffnete. Kind eins und zwei standen vor ihm. Sie hatten Kuchen mitgebracht, viel Kuchen und ein verführerischeres Brot, was nur bedeuten konnte, dass es viel zu besprechen gab. Hansens gute Laune verzog sich nun endgültig.

      Seine Kinder kümmerten sich um alles. Tisch decken, Kaffee kochen, Heizung andrehen, Kuchen verteilen, einen Stift holen, aber keiner machte ihm sein Spiegelei. Hansen schwieg und hörte sich die Erklärungen zur anstehenden Bürokratie an. Mit einer Unterschrift bestätigte er wenig später seine Abschiebung ins Altersheim, sein Testament, seine Entmündigung. Was er aber ganz genau behielt, war das Datum seiner Einlieferung ins „Abendland“, so hieß sein neues Zuhause. Hansen hatte eine knappe Woche Zeit sein Bild aus der Galerie zu holen und es in die Wirklichkeit zu kopieren. Um dies so schnell wie möglich umzusetzen, tat er eben alles nötige, damit seine Kinder verschwanden. Er liebte sie, aber sie hatten gerade keine Ahnung von ihrem Vater. So wie er in bestimmten Zeiten keine Ahnung vom Leben seiner Kinder hatte.

      Diesmal täuschten sich die Kinder jedoch nicht. Auf sie wirkte ihr Vater etwas angeschlagen, genervt und trübtassig. So gönnten sie ihm seine Ruhe, im Wissen darum, dass sie alles unter Kontrolle hatten. Sie schlurften gewichtig aus dem Haus, winkten, ohne sich umzudrehen, dem alten Mann zu, stiegen in ihre Autos und fuhren ihrer Wege.

      Endlich briet das Spiegelei in der Pfanne, besser gesagt vier. Hansen hatte auf den Kuchen verzichtet, konnte jedoch notfalls auf ihn zurückgreifen, da er im Kühlschrank schlummerte. Seine Kinder wollten ihn nicht wieder mitnehmen und wiesen auf ihre Körper hin. Ja, sie waren dick geworden, was wahrscheinlich damit zu tun hatte, dass sich alle drei im selben Jahr scheiden lassen hatten und sich seitdem regelmäßig trafen, um sich gegenseitig zu betrauern.

      Manche tranken dabei Alkohol oder nahmen Drogen. Seine Kinder frönten dem Essen. Auch keine bessere Lösung, fand Hansen. Aber was sollte er machen? Seine Kinder waren über das Erwachsenenalter weit hinaus und so war er doch froh, dass er endlich alleine war.

      Der Sonnabend ging in sein letztes Drittel als Hansen endlich in der Küche am Tisch saß und die vier Spiegeleier auf jeweils eine Scheibe Brot legte. Dann schnitt er Tomaten klein und legte die Stückchen auf die Eier. Noch etwas Pfeffer, Salz und getrocknetes Schnittlauch rundeten den Geschmack ab. Zuletzt legte Hansen auf jede Stulle noch eine Scheibe Gouda und dann wanderte alles für ein paar Minuten bei 150 Grad in den Herd. Die Wartezeit nutzte er für das Ansetzen einer Tasse Kaffee. Und da Hansen seinen Kaffee immer türkisch trank, dauerte dies auch nicht lang, denn der praktische Wasserkocher verkürzte den Vorgang unheimlich. Lange hatte sich Hansen gegen so eine technische Neuerung in seinem Haushalt gewehrt, bis sein geliebter Tauchsieder fast einen Brand im Haus entfacht hätte. Erst da löste er diese Liebe auf und arrangierte sich mit der neuen Beziehung. Den Tauchsieder hatte Hansen aber behalten und ihm einen Ehrenplatz in der Garage geschenkt. Unbeeindruckt von diesen Gedanken piepte der Wasserkocher eifersüchtig dazwischen und Hansen füllte zwei Teelöffel Kaffee in seine Lieblingstasse, schüttete das brühend heiße Wasser darüber, dann einen Schluck Milch und zwei Stück Kandiszucker. Mit dem Löffel rührte er alles um und ließ ihn in der Tasse stehen. Dann stellte Hansen die Tasse auf den Küchentisch und er war stolz auf sich, weil er nicht gekleckert hatte. Nun setzte er sich an den Tisch und umschloss die Tasse mit seinen Händen, die ein bisschen ausgekühlt waren und wartete auf das Essen.

      Hansen bemerkte wie langsam die Zeit dabei verstrich. Sein Leben stürzte in einen befriedigenden Beschleunigungsentzug, was so rasant passierte, dass ihm fast schwindlig davon wurde. Also steuerte er dagegen und schaltete das Radio ein. Hansen hatte noch eines dieser alten Röhrenholzgeräte in der Küche stehen, eines der wenigen Dinge, die noch von seinen Eltern übrig geblieben waren. Das Einstellen eines Senders therapierte ihn von den Zeitanpassungsschwierigkeiten. Es knarzte und kratzte in dem Lautsprecher und ferne Wellen wehten leise Töne herbei, bis eine Welle klare Töne in seine Ohrmuschel spülte. Hansen erkannte das Stück sofort, der fröhliche Landmann, leider kam der gerade Zuhause an und die Nachrichten ergriffen das Wort. Hansen stellte leiser, Katastrophenschutz. Außerdem war das Essen fertig. Er nahm einen guten Teller aus dem Küchenbuffet seiner Großmutter und legte Silberbesteck auf den Tisch. Dann holte er die vier dampfenden, miteinander verklebten Stullen vom Ofenblech und servierte sich sein Essen. Hansen setzte sich auf den Platz seiner Frau, weil er einen besseren Blick aus dem Fenster bot. Draußen passierte der Wind gerade das Gartentor und schlug es hinter sich zu. Der Knall war selbst in Hansens Küche zu hören und der Wind schien äußerst wütend zu sein, denn er kehrte in den Garten zurück. Nun trat er die letzten Blumen nieder und ließ den Wetterhahn auf dem Geräteschuppen durchdrehen. Hansen mochte es, wenn die Natur ihre natürliche Fassung verlor und einfach mal ein Arschloch war. Seine Gedanken erlaubten ihm in solchen Worten zu denken, denn in seinem Alter durfte man nicht mehr ausfallend in Gesprächen werden. Seine Frau hatte das nie gestört, ihre Sprache kam von Herzen und sie machte sich nichts daraus, wenn die anderen Leute ihre Nase rümpften und der Ausdruck nicht stimmte. Manchmal sind Schimpfwörter genau das passende Argument, um eine Sache zu beschreiben. Hansen lachte vor sich hin und schnitt die zweite Stulle klein. Der Käse klebte widerspenstig am Besteck, vielleicht hätte Hansen doch lieber das Edelstahlbesteck benutzen sollen, dass konnte er wenigstens in die Spülmaschine stecken. Allein, Hansen störte sich nicht an diesem kleinen Umstand. Dafür verfügte er einfach über zu viel Zeit und schließlich gab es auch hierfür eine Lösung, die bereits in seinem Kopf auf Abruf stand.

      Die Stullen füllten nach und nach Hansens Magen und als das letzte Stück seinen Magen vollkommen verschlossen hatte, lehnte sich Hansen zurück und rieb sich seinen Bauch. Er wusste nicht mehr, wann er sich das letzte Mal so voll gefressen hatte. Beim Essen hatte er sich in den vergangenen Jahren stets zurückgehalten,


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