Old Hansen oder 7 Tage eines Mannes aus der Nachbarschaft. H.R. Sebastian

Old Hansen oder 7 Tage eines Mannes aus der Nachbarschaft - H.R. Sebastian


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deutlich schlanker geworden. Eigentlich lebte er in der Zeit der Krankheit viel gesünder, als alle Jahre zuvor. Mit 96 Jahren hätte er es sicherlich noch mit einem 87jährigen aufnehmen können. Und er dachte an seine Jugend, als er so oft Sport gemacht hatte. Fußball, Volleyball, Rudern, das alles bevor es mit der Verantwortung losging. Sechsundsiebzig Jahre Verantwortung. Und jetzt endlich war er sie los geworden, denn andere hatten sie nun am Hals, nämlich seine Kinder.

      Hansen war froh, dass er alle Dokumente unterschrieben hatte, damit stahl er sich aus der Bürokratie und fühlte sich einfach frei. Es gibt zwei Phasen im Leben der Freiheit, Kindheit und Alter. Das sich Kinder und Alte gut verstehen ist kein Wunder, denn sie haben frei und Fehler werden ihnen meist verziehen, da die einen vieles noch nicht und die anderen es nicht mehr wissen. Und somit drückt sie auch keine Verantwortung.

      So einfach ist es manchmal, dachte Hansen. Und der Gedanke stachelte ihn zu etwas Aktionismus an. Hansen nahm Teller, Tasse und Geschirr, brachte alles zum Spülbecken und stellte es hinein. Zunächst spülte er den Kaffeesatz so aus der Tasse, dass nichts im Becken zurückblieb. Dann stöpselte Hansen den Ausguss zu, spritzte etwas Spülmittel über Teller, Tasse, Messer und Gabel und ließ lauwarmes Wasser hinzu, es entstand ein zarter Kokosnebel und Hansen tauchte in die Karibik ab.

      Weiße Strände, heiße Temperaturen, dass mochte Hansen nicht, er war eher der pränordische Typ, ein Herr der vier Jahreszeiten und als Hansen das Radio wieder etwas lauter machte, da erklang eine Jazzvariation des Winters in einem düsteren Gegenwartskostüm, also schaltete Hansen ab. Das Radio brummte kurz weiter, aber der Protest hielt nicht lange an, keine Energie. Hansen überlegte, während es draußen langsam dunkelte, was er mit seiner Zeit anfangen konnte. Der Sonnabend war noch recht lang, zumindest für einen freien, einsamen Menschen. Für morgen, also Sonntag, hatte Hansen schon einen Plan. Angeln. Aber wo war sein Angelzeug? Der Dachboden war leer, blieben noch der Keller und der Geräteschuppen im Garten.

      Hansen entschied sich für den Schuppen und ging in den Hausflur. Er zog sich eine Strickjacke an, drapierte eine Bommelmütze auf sein Haupt und schlüpfte in zweckentfremdete Badelatschen. »Die Taschenlampe, ich brauche die Taschenlampe.«, sprach er vor sich hin und überlegte, wo er sie suchen sollte. Er kramte in der Schuhkommode und fand sie schließlich in einem seiner Winterschuhe. Zufrieden nahm er sein Schlüsselbund, steckte es in eine Hosentasche und machte sich auf die Suche nach dem Angelzeug.

      Der Geräteschuppen stand wie von Menschenhand unberührt im Garten. Hansen hatte ihn in einem Anflug von Rage in einem Baumarkt gekauft und aufstellen lassen. Das Einräumen hatte er auch noch geschafft, alles weitere viel dem gemeinsamen Warten mit seiner Frau in Wartezimmern zum Opfer. Wie viel Zeit man mit Warten verplempert, sagte sich Hansen und dachte, dass es auch nützliche Züge hatte, zum Beispiel bei Langeweile oder wenn man sich vor Entschlüssen drücken wollte. Aber das war jetzt eigentlich nicht wichtig. Hansen wollte morgen angeln gehen und falls er seine Sachen heute nicht mehr finden würde, dann hätte er schließlich noch Zeit in den Baumarkt um die Ecke zu fahren, der hatte seit neuestem auch sonnabends länger auf und eine exquisite Anglerabteilung.

      Hansen fand das praktisch im Bezug auf seine eigenen Bedürfnisse, aber die arme Belegschaft kappte dafür ihre eigenen und der finanzielle Ausgleich war nicht wirklich einer, in Hinsicht auf den Verlust an gemeinsamer Lebenszeit. Viele dachten immer noch, dass Geld trösten könnte oder beruhigen, na ja, was sollte Hansen da machen? Er nahm sich fest vor die Leute vom Baumarkt besonders nett zu grüßen, falls er diesen Umweg gehen musste. Doch noch bestand die Chance, dass er die Leute nicht zu belästigen brauchte.

      Hansen knipste die Taschenlampe an, schloss die Tür zum Geräteschuppen auf und trat hinein. Von den Gerätschaften hatte nur der Spaten im letzten Frühjahr mal den Garten besuchen dürfen. Alle anderen waren etwas verstaubt oder sogar noch originalverpackt.

      Er leuchtete sich durch den Schuppen und suchte Hinweise auf das Angelzeug. Dabei scheuchte er eine Maus auf, die den Schuppen wohl besetzt hatte. Sie verschwand in einer Ecke und brachte einen Stock zum Kippen, den sie in ihrer Eile angerempelt hatte. Der Stock traf Hansen an der Schulter. Ein Schmerz blieb aus, denn es war die Angelrute, die sich sanft biegend an Hansens Schulter anschmiegte. Hansen nahm sie und überprüfte ihre Vollständigkeit. Sehne, Schwimmer, Blinker, Haken, alles noch dran, stellte Hansen fest, was kein Wunder war, denn er hatte sie noch nie benutzt. Auch so ein Ding, das er sich kurz vor dem Gau geleistet hatte und das seit dieser Zeit verstaubte. Auf sein altes Angelzeug konnte er auch nicht zurückgreifen, denn das hatte Hansen in seiner damaligen Neuanschaffungseuphorie einfach in die Mülltonne geworfen.

      Sorgvoll putzte Hansen die Rute mit einem Ärmel ab und verließ den Schuppen.

      Es war frisch geworden und an seiner Nase hing ein Rotztropfen. Er zog ihn bis zum Gaumen zurück, indem er einmal tief schniefte und schluckte die Brühe herunter, da sein Taschentuch wohl noch immer tränennass im Flur lag.

      Die Wohnung war schön warm. Kinder zu haben, dass hat eben auch seine Vorteile, dachte Hansen und meinte es ernst. In der Küche schaltete er das Radio wieder an und es brummte vergnügt auf und spendete etwas Licht, das zwar nicht für eine Erleuchtung der Küche sorgen konnte, aber für ein schönes Bild, das Hansen liebte. Ein wenig Licht in zu viel Dunkelheit ist der erste Hoffnungstropfen, hatte Hansens Frau oft gesagt, wenn er, der Frühaufsteher, morgens als erstes sein Radio an- und es abends als letztes wieder abstellte. Er hatte eine kluge Frau geheiratet, dass machte ihn stolz und wieder erstarrte er plötzlich und schlüpfte in seinen Kokon, der diesmal aus Tränen gesponnen war.

      Ein Jazztriangeltrio aus San Francisco holte ihn zurück. Hansen legte die Angelrute auf den Küchentisch und drehte das Radio etwas leiser. Obwohl ihm diese Mischung aus Polka, Funk und Jazz gefiel. Seinen Geist zu beflügeln, dass vermochte sie nicht.

      Nachdem er zurück gekehrt war, setzte sich Hansen an den Tisch und besah die Angelrute. Taschenmesser, fiel ihm ein. Er brauchte sein Anglertaschenmesser. Also stand er wieder auf und ging in den Flur, denn das Messer lag immer an derselben Stelle, im Schlüsselkasten. Jedes Mal wenn Hansen das Haus verließ, nahm er das Messer mit, eine Gewohnheit die ihn seit seinen Kindestagen begleitete. Manche fanden es lächerlich, er dachte wiederum, Frauen haben eine Handtasche, ich habe mein Taschenmesser.

      Hansen ging also in den Flur und holte sein Taschenmesser, dass er aber niemals mit ins Krankenhaus genommen hatte, wegen des Aberglaubens, ein Messer zu viel im Krankenhaus bringt sich selbst in Verdacht oder so ähnlich. Man konnte an solche Weisheiten glauben, was Hansen eigentlich nicht tat, aber wenn einem erstmal ein Mysteriumsserum in den Kopf geimpft wurde, dann ist es eben da, genau wie das Gespenst im Kohlenkeller, dass ihm immer hinter her gerannt war, als er als Junge die Kohlen in die Stube hoch holen musste. Und sowieso existiert das meiste nur im Kopf, dies hatte Hansen schon längst erkannt.

      Er kehrte in die Küche zurück. Aus dem Radio dudelte nun getragene Klassik, live aus einem Opernhaus in Europa. Hansen setzte sich wieder an den Tisch und nahm erneut die Angelrute. Er betrachtete sie und entfernte als erstes den Blinker. Seiner Erfahrung nach brachten die Dinger nicht viel, er setzte auf gekochtes Eiweiß mit Kartoffeln.

      So würde auch der Sonntag beginnen, nämlich mit Eier kochen. Hansen würde früh um Vier aufstehen und eine Packung Eier, in Hansens Fall eine Sechserpackung, öffnen und sie eine Viertelstunde hart kochen lassen. Dann mussten die Eier eine halbe Stunde ruhen und abkühlen. In dieser Zeit hätte Hansen genug Zeit zum Frühstücken und zur Morgentoilette, die sehr kurz ausfallen würde, weil man niemals vor dem Angeln duschte, damit man mit der Natur im Einklang des wilden Geruches stehen konnte. Außerdem war es ungesund.

      Den Blinker warf Hansen in den Müll, holte ihn aber gleich wieder heraus, weil er daraus vielleicht noch etwas basteln konnte. Ergo legte er den Blinker wieder auf den Tisch. Dann widmete er sich endgültig der Angelrute. Es war eine stinknormale, neumodische Angel ohne einen bestimmten Stil in ihrem Charakter. Nichts an ihr war besonders, also ein Gebrauchsmittel für den täglichen Bedarf. Sie würde ihre Arbeit tun und deshalb putzte Hansen nur den Staub mit einem Küchenkrepptuch weg. Die Sehne war straff auf die Rolle gezogen und der Haken fachgerecht befestigt. Hansen war sogar etwas enttäuscht darüber, dass die Angel ihm nicht mehr Aufgaben stellte. Aber da half nun alles grummeln nicht, wenigstens blieb ihm noch die Angelsachen schon mal für morgen


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