Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.. Hans-Joachim Grünitz

Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz


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Militärstreifen sowie Bahnpolizei hatten immer ein Auge auf uns. Wer das nicht ernst nahm, sah sich unter Umständen schneller in der Kaserne wieder, als geplant. Also blieben wir artig und beschmutzten unsere Uniform nicht, wie man sinnbildlich meinen könnte. Das Tragen der Uniform war in der NVA und bei den Grenztruppen für Grundwehrdienstleistende im Ausgang und bei Urlaubsfahrten grundsätzlich vorgeschrieben. Wir besaßen in der Kaserne ja auch keine Zivilkleidung mehr, aber zuhaus. Wäre es nach Dienstvorschrift gegangen, hätten wir auch dort Uniform tragen müssen. Hier ignorierten aber alle in fester Verbundenheit die Dienstvorschrift.

      Diese DV war offensichtlich von einem äußerst weltfremdem, wahrscheinlich vergreistem und verkalktem Militär-Gesetzgeber erlassen worden. Stützte sich ihre Durchsetzung doch auf das Bewußtsein der Soldaten. Dieses ließ allerdings, bis auf unbekannte Ausnahmen, die gewünschte Ausprägung vermissen und so führte mich, zu Hause angekommen, der erste Gang zum Kleiderschrank und der zweite zur Hausbar in meinem Zimmer. Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern und die sorgten sich rührend um mich und natürlich auch um die Auffüllung meiner kleinen Bar. Dafür bin ich ihnen heute noch sehr dankbar.

      Die Zeit verging viel zu schnell, immer überschattet von dem Gedanken an die Rückfahrt und die noch folgende, scheinbar unendlich lang zu dienende Zeit. Der Abschied von zu Haus nach dem ersten VKU ist mir auf Grund der deprimierenden Gedanken an die damals von mir sehr verhaßte Armee in besonders guter Erinnerung. Das hing sicherlich auch mit der besonders militärisch-straffen Dienststelle in der Ausbildungskompanie in Johanngeorgenstadt zusammen. Später, in anderen Dienstorten, war dann alles nur noch Routine. Man nahm es wie es kam und diente Zeit ab. Aber jetzt war noch nicht mal ein halbes Jahr rum und es ging unbarmherzig zurück in die Höhle des Löwen.

      Ob dieser Wehrdienst jemals zu Ende ging?

      Nachtalarm

      Kaum in der Kaserne gelandet, den militärischen Alltag wieder in vollen Zügen aufgenommen, krähte der Erpel und zwar des Nachts, zu bestschlafender Zeit. Die in allen Fluren hängenden lautstarken Alarmgeber mit »Erpelklang« ließen uns kerzengerade aus den Betten springen. Nachtalarm! Jetzt galt es alle Befehle zu erfassen und die vorgegebenen Zeiten einzuhalten. Ansonsten hätte immer wieder geübt werden müssen, bis die Normen stimmten. Jeder hatte seine Aufgabe. Nach Anlegen der Bekleidung und Ausrüstung und dem Empfang der Waffen, hatte ich die Aufgabe, zusammen mit einem Genossen Soldat, eine Ausrüstungskiste auf den Hof zu schleppen und dort anzutreten. Nachdem die Anwesenheit von Mannschaft und Material überprüft wurde, fuhren LKW heran und nahmen das Material, wie Munitionskisten, Kisten mit ABC-Bekämpfungsmitteln und sonstige unabkömmliche Gegenstände auf. Uns nahmen sie nicht auf, wir durften laufen, d.h. marschieren. Und weil es in der Nacht gewöhnlich sehr still ist, marschierten wir ohne Tritt, also zwar geordnet aber nicht im Gleichschritt, denn dieser wäre zu laut gewesen. Aber kurze Zeit darauf mußte ich innerlich lachen und muß es heut noch, wenn ich an das skurrile Szenario zurückdenke.

      Wir schlichen also aus der Garnisonsstadt hinaus und marschierten auf einer Landstraße in Richtung eines Dorfes. Zur Sicherung der Truppe liefen drei Mann voraus. Einer in der Mitte an der Spitze, die zwei anderen je auf einer Straßenseite ein Stück dahinter. Der eine von der Seitensicherung war ich. Und nun sollte ich auf verdächtige Bewegungen achten und Geräusche hören, die von einem imaginärem Feind stammen könnten, um dann Alarm zu geben. Aber alles was ich hörte, war die in der Stille der Nacht fürchterlich klappernde und schlurfende Truppe hinter mir. Göttlich, welch seltener Spaß! Und was werden wohl die Dorfbewohner gedacht haben, als die dunkle, bis an die Zähne bewaffnete Truppe des Nachts zu Friedenszeiten durch ihre Gemeinde rasselte? »Die von Georgenstadt spielen mal wieder Krieg« Oder waren sie es gewöhnt und es berührte sie nicht weiter?

      Der Spaß verging jedoch mit der Anzahl der marschierten Kilometer. Wir liefen die ganze Nacht. Als es hell wurde, kam das Unvermeidliche: Vollschutz war anzulegen. Da hatte doch der Feind tatsächlich biologische Waffen eingesetzt. Zum Glück im Hellen, denn im Dunklen trauten sich die Vorgesetzten nicht so recht »Vollschutz« zu befehlen. Die Gefahr, etwas von der Ausrüstung zu verlieren war einfach zu groß. Die Konstruktion unseres Vollschutzanzuges kam dieser Annahme sehr entgegen. Nur aus einem Teil plus zwei Stiefelüberzüge, Handschuhen und Gasmaske bestehend, war das Anlegen eine Wissenschaft und damit marschieren erst recht. Die Dinger waren so sinnig konstruiert, daß sich nach sechs Kilometern Marsch bei den meisten im Ernstfall der Tod eingestellt hätte. Das ganze Gebinde löste sich nämlich auf und man sah es durch die Maske nicht einmal. Also mußte hin und wieder etwas gesucht werden und das war im Hellen einfach leichter. Daß die Konstruktion nicht ausgereift war, beweist, daß später andere Vollschutzanzüge, bestehend aus Jacke und Hose, eingeführt wurden. Diesen Luxus habe ich aber nie genossen.

      Irgendwann kamen wir dann im Gestellungsraum an. Die Truppe sammelte sich im Wald an vorgesehener Stelle. Alle sanken erschöpft zu Boden. Kurze Pause. Danach noch ein paar Spielchen im Gelände, wie Schützenlöcher und -gräben ausheben, an gespannten Seilen über einen Wassergraben hangeln, von Baumstumpf zu Baumstumpf hopsen, über eine Wippe rennen und ähnliche, viel Freude bereitende Aktivitäten. Eine Art Sturmbahn, nur eben gefechtsnah direkt im Gelände, sicherlich mit viel Liebe aus Naturmaterialien errichtet. Wir übten fleißig, denn hierher sollte es auch später gehen zum Abschlußkomplex. Der besten Gruppe winkte ein Sonderurlaub. Und den wollte und sollte ich meiner Gruppe nicht versauen. Da ich nunmal nicht der sportlichste Typ war und dies so schnell nicht ändern konnte (oder wollte?), meine Ausbilder dies schon längst erkannt hatten, beschlossen sie, mich während des Abschlußkomplexes für andere wichtige Tätigkeiten abzustellen.

      Der entgangene Sonderurlaub

      Alle waren einverstanden, mich fragte man auch und so ging ich, als der Tag herangekommen war in den Wandzeitungskeller und meine Mitgenossen ins Gelände. Ich pinselte also an meinen Wandzeitungen rum, da kommt ein Soldat vom Nachbarzug leise herein. Dieser Zug war aber ebenfalls zum Abschlußkomplex ausgezogen und der Genosse sagt mir, er hätte sich im Keller versteckt, weil er keine Lust hat, bei der Tortur mitzumachen. Unglaublich! Ich solle ihm nach Möglichkeit etwas zu Essen besorgen. Wie im Krimi, dachte ich mir. Der Kamerad versteckte sich dann wieder in einem leeren, im Kellergang stehenden Spind. Leider wurde ich aus meinem idyllischem Keller und diesem Abenteuer, von dem ich leider nicht weiß wie es ausgegangen ist, abgezogen.

      Die Vorgesetzten glaubten wohl, mir angemessene Arbeit verschaffen zu müssen. Ich wurde also zum Bau befohlen. Zu einer kleinen Truppe, die ebenfalls abgestellt war und deren fachliche Anleitung ein Kamerad aus meiner Stube hatte, der Maurer war. Da hatte ich aber Glück, es geht eben nichts über Kameradschaft. Viel helfen konnte ich denen sowieso nicht und für einen Tag erst alles erklären lassen lohnte nicht. Der Tag war somit abgehakt und vorgesetztenfrei. Jedes Ding hat seine zwei Seiten. Die zweite Seite war, daß meine Gruppe beim Abschlußkomplex tatsächlich Beste wurde und meine Kameraden noch am gleichen Tag in den Sonderurlaub fuhren. Ohne mich, selbstverständlich. Ob sie mich wohl gelyncht hätten, wenn ich darauf bestanden hätte mitzumachen und wir dann eventuell nicht beste Gruppe geworden wären? Eigentlich hatte ich mir den Sonderurlaub auch verdient.

      Sonderurlaub, heiß begehrt und selten erreicht. Unserer Wandzeitungsredaktion versprach der Politoffizier, bei zeitlich kurzer Fertigstellung der Lehr- und Anschauungstafeln über den Klassenfeind, ebenfalls Sonderurlaub. Mit Speck fängt man Mäuse, dachte der wohl. Sonderurlaub haben wir nicht bekommen. Die Tafeln sahen aber wirklich gut aus.

      Geschossen

      Natürlich hatte ich nicht immer die Möglichkeit irgendwo abzuducken. Das wäre auch nicht gut gewesen, gäbe es doch dann wenig zu erzählen und: »Richtig gedient haben muß man schon «, so die Behauptung aller Gedienter.

      Richtig dienen, so mit allem Drum und Dran, konnten wir bei einem herrlichen Biwak in Mutter Natur mit Schießausbildung. Zu diesem Zwecke gab es erst mal eine mehrere Stunden lange Anfahrt der Kompanie auf Mannschafts-LKWs. Dies waren W50 mit Plane und 4 Bankreihen auf der Pritsche. In einer Art Reißverschlußmanier wurde aufgesessen. Dadurch paßten viele rauf auf so einen W50. Hinten an der Klappe saß meist ein Unteroffizier. Bei mir saß ein frischgebackener Offizier, ein Unterleutnant. Alles raunte: »Hier riecht´s nach frischem Brot!«


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