Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.. Hans-Joachim Grünitz
die Ladewand. Anhalten wäre unmöglich gewesen, dann wären wir nie angekommen.
Aber wir kamen an, in einem herrlichen Wald, wo wir erst mal unsere Zelte aufschlugen. Diese wurden immer von acht Mann aus deren Zeltplanen zusammengeknöpft und mittels der kombinierten Zeltbestecke aufgestellt und verspannt. Einen Zeltboden gab es nicht. Der wurde aus abgeschnittenen Nadelbaumzweigen aufgeschüttet. Je mehr, desto besser, wie sich des Nachts herausstellen sollte. Alles hatte gefechtsnah zu erfolgen. Sogar das Zähneputzen und Rasieren. Wasser gab es streng rationiert, für Zähne und Rasur nahm man Tee. Der war nicht rationiert(?). Mordsmäßige Kälte ließ uns eher aufwachen als nötig. Zum Frühstück gab es Komplekte, wie zu allen anderen Mahlzeiten während dieser drei Tage dauernden Übung. Der Begriff allein ließ uns schaudern, denn das hieß nichts anderes, als langweilige Konserven zu futtern. Dazu gehörte auch die berühmte Dreifruchtmarmelade aus der Tube. In ihrer Grundfarbe rot, strich ich sie mir auf einen Kannten Komißbrot und wollte nun das Ganze mehr oder weniger genüßlich verspeisen. Kommt der Spieß vorbei und brüllt: »Genosse Soldat, halten Sie gefälligst die Marmeladenseite nach unten!«. Ich muß wohl ziemlich fragend dreingeschaut haben. »Wegen der Tarnung, Genosse, wegen der Tarnung! Feindliche Flugzeuge könnten uns entdecken.«, so die Erklärung. Wer den, in schauspielerisch überzeugender Art vorgetragenen Witz schon kannte, lachte nun schallend. Gut, daß der Feind nicht in der Nähe war. Aber unser Hauptfeld hatte ab sofort die beste Laune, war er jetzt doch so richtig in seinem Element.
Uns verging jedoch bald der Spaß, denn es ging jetzt zum Schießen. Wir waren im ersten halben Jahr mehrmals schießen. Jedoch war das erste Mal für jeden von uns besonders aufregend, wie halt in anderen Lebenslagen auch. Und aufgeregt, wenn nicht sogar etwas ängstlich waren auch sämtliche Vorgesetzte vom Unteroffizier bis zum Hauptmann. Alle waren plötzlich unerwartet nett und umgänglich. Das muß wohl an der scharfen Munition gelegen haben, die wir naturgemäß erhalten sollten. In der Tat, es soll schon schlimme und weniger schlimme Unfälle, meist durch Unachtsamkeit oder Nichteinhalten der Dienstvorschriften, gegeben haben, nach denen in der Regel dann auch personell Köpfe rollten. Ich mußte solches zum Glück nicht erleben. Wir hatten gutes Trockentraining hinter uns und alle behielten die Nerven.
Was dann kam, war an sich überhaupt nicht furchterregend. An sich machte die Sache sogar Spaß, wenn man das Glück hatte zu treffen und die Silhouette umklappte. Aber das sagte kaum einer öffentlich. Einige, so auch ich, waren hingegen bemüht, nicht zu gut zu schießen. Wir dachten dabei bereits an einen späteren Grenzdienst. Bei guten Schießausbildungsergebnissen hätte man dort wohl auch treffen müssen. Aber es gab auch die Jäger der Schützenschnur. Die sahen die Sache anders und wollten die sogenannte Affenschaukel unbedingt an ihrer Ausgangsuniform baumeln haben. Sah ja aber auch gut aus!
Für uns zukünftige Grenzer gab es außer dem normalen Schießen auf Ringe und feste Ziele eine besonders zugeschnittene Übung. Wir liefen dabei mit gehörigem Seitenabstand vorwärts und schossen auf plötzlich auftauchende oder wegfahrende Silhouetten imaginärer Grenzverletzer. Ein zukunftsträchtiges Spielchen und weiterer Anlaß zum Grübeln. Man hatte aber Angst um uns und schickte hinter jedem Schützen einen Uffz. her. Noch viel mehr Angst herrschte später beim Nachtschießen. Hier wich man uns nicht von der Seite und behandelte uns geradezu mütterlich. Leuchtspurgeschosse zogen ihre helle Bahn durch die Nacht. Die Dunkelheit verstärkte den Schall der detonierenden Panzerfäuste und Zielattrappen krachten auseinander. LMGs spritzen ihre Garben weit über den Schießplatz. Im Mondlicht sah man aufstiebende Erdbrocken. Da waren alle doch recht froh, gelenkt und geleitet zu werden. Die Trommelfelle summten noch im Biwak. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, die Schießreihen am nächsten Tag waren weniger aufregend. Da nicht alle auf einmal ballern konnten, wurden wir auch anderweitig beschäftigt. Natürlich militärisch. Schützenlöcher nach Zeit, Bewegen im Gelände und und und.
Auch diese drei Tage vergingen. Dann ging es, wie hergekommen, zurück per LKW. Auf denen saßen nun völlig verdreckte Genossen, die sich nichts weiter wünschten als eine Dusche und Schlaf. Die Dusche gab es dann auch. Dieses Procedere wurde zugweise durchgeführt. Ein Zivilangestellter hatte die Kessel im Duschgebäude geheizt, drehte ein riesengroßes Ventilrad auf und los ging´s. Die Dusche war eine Massendusche und man mußte sich beeilen, denn der Zivilangestellte hatte strikte Anweisung, nach einer bestimmten Zeit pures Kaltwasser aufzudrehen. Und dieses kam meist überraschend. Wer dann noch eingeseift war hatte eisekaltes Pech. Nach dem Duschen gab es noch einen Wäschewechsel, in diesem Fall außerordentlich. Sonst wurde die Unterwäsche nur einmal in der Woche (!) gewechselt. Eigene Wäsche zu tragen war untersagt. Und dies wurde zumindest in der Grundausbildung strengstens durchgesetzt.
Ausgang
Gab es Ausgang im Standort, mußten die Genossen Soldaten, die das Glück hatten, am Samstag mit solchen Ehren bedacht zu werden, erst einmal vor dem Spieß antreten. Die Mutter der Kompanie schaute dann tatsächlich nach, ob auch die grenztruppeneigene lange Unterwäsche getragen wurde. Zu diesem Zwecke ließ der Spieß stichprobenartig ein Hosenbein hochziehen. Wenn es jetzt weiß blitzte, wäre alles in Ordnung gewesen. Da aber der Einfallsreichtum der Soldaten groß war, gab es welche, die hatten nur das untere Teil eines abgeschnittenen Unterhosenbeines zur Tarnung angelegt. Der Spieß jedoch, mit Bauernschläue gewappnet, kannte den Trick und wagte einen Blick unter den Hosenbund! Aber damit nicht genug, Taschentuch und Kamm sowie Nähzeug waren ebenfalls vorzuweisen. Daß die Uniform in tadellosem Zustand zu sein hatte, braucht wohl nicht betont zu werden. In Vorbereitung des Ausgangs waren daher die Bügeleisen stets belegt. Der Ausgang war natürlich für jeden Soldaten trotzdem heißbegehrt und es konnte vorkommen, wenn man bei den strengen Ausgangskontrollen des Hauptfeld durchfiel, daß auch der Ausgang ins Wasser fiel. Dies geschah mehr oder weniger je nach Laune unserer »Mutter«.
Der Ausgang selbst lief eigentlich jedesmal gleich ab. Nur die Kneipen wechselten hin und wieder.Und in Johanngeorgenstadt gab es davon einige. Nicht jede Gaststätte war jedoch für uns genehmigt. Wahrscheinlich wollte man die Touristen nicht zu sehr ärgern oder Ärger vorbeugen. Kontrolliert wurde auch hier. Und zwar von der berüchtigten Militärstreife. In weißem Koppelzeug kamen sie daher. Wenn sie an unseren Tisch traten, mußten wir aufstehen und unseren Wehrpaß zeigen. Wenn der Streife irgendwas nicht paßte, wurde man kurzerhand mitgenommen und landete in der Kommandantur. Aus welchen unerklärlichen Gründen auch immer, denn danach zu fragen wäre äußerst ungesund gewesen. Ansonsten wurde im Ausgang hauptsächlich gesoffen und mal was Anständiges gegessen. Nach erfolgreicher Kneipentour ging es dann mehr oder weniger schwankend in die Kaserne zurück, wo der Spieß schon wartete. Der mußte unbedingt verhindern, daß Alkohol in das Objekt geschmuggelt wurde. Ich hatte mir einmal einen kleinen Modellflugzeugbaukasten gekauft. Selbst den mußte ich öffnen, hätten ja Minifläschchen drin sein können. Hin und wieder gelang ein Schmuggel und dann wurde in der Stube weiter getrunken. Die Kameraden waren regelmäßig dankbar.
Es gab auch sonntags Ausgang. Der war allerdings nicht so beliebt, denn morgens hatte man wieder voll funktionstüchtig zu sein und auf die Ausgänger achteten die Vorgesetzten besonders.
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