Die Innenpolitik der Römischen Republik 264-133 v.Chr.. Boris Dreyer
Die „Verfassung“ der römischen Republik ab 287 v.Chr.
a) Überblick
264–241 v. Chr.
Erster Punischer Krieg
218–201 v. Chr.
Zweiter Punischer Krieg („Hannibalkrieg“)
218 v. Chr.
Lex Claudia de nave senatorum: Verbot von Handel in großem Stil für Mitglieder des Senats
200–197 v. Chr.
Zweiter Makedonischer Krieg („Philippkrieg“)
191–188 v. Chr.
Krieg gegen Antiochos III. „den Großen“
180 v. Chr.
Lex Villia annalis: Regelung des cursus honorum
171–168 v. Chr.
Dritter Makedonischer Krieg („Perseuskrieg“)
149 v. Chr.
Lex Calpurnia de repetundis: Einrichtung ständiger Geschworenengerichte gegen die Ausbeutung von Provinzialen durch Statthalter
149–146 v. Chr.
Dritter Punischer Krieg
146 v. Chr.
Zerstörung Karthagos und Korinths
139 v. Chr.
Lex Gabinia tabellaria: Einführung der geheimen Abstimmung in der Volksversammlung (ergänzt mehrfach bis 107 v. Chr.)
136–132 v. Chr.
Sklavenkriege auf Sizilien. Weitere bis 71 v. Chr.
133 v. Chr.
Letzter pergamenischer König vererbt sein Reich an die Römer; Ende des spanischen Krieges durch die Eroberung Numantias
b) Einführung
lex und mos
Es ist notwendig, vereinzelte und verstreute Nachrichten oft aus bekannteren, besser überlieferten Perioden zusammenzutragen, um das Zusammenspiel der zentralen Institutionen der Klassischen Republik zu erfassen. Die Römer hatten nämlich keine geschriebene Verfassung. Nicht umsonst wurde ein etabliertes Verfahren durch die Römer selbst weniger mit einem Gesetz, einer lex, begründet, wenn allgemein akzeptierte, höherwertige, allerdings informelle mores maiorum und exempla, bewährte oder auch zu vermeidende Vorbilder, zur Verfügung standen.
Verfassungsverständnis
Es empfiehlt sich, die römische Verfassung in zwei Schritten zu erfassen: Es ist bekannt, dass antike Gesellschaften eine Verfassung sind und nicht – wie nach modernem Verständnis – sich eine Verfassung geben. Mit anderen Worten, das antike, auch das römische Verständnis ist umfassender (Hölkeskamp 2004, S. 67): Schon der Akt des synoikismos (griechisch „Zusammensiedlung“, „Gründung“), der zur Konstituierung einer Gemeinde notwendig ist, ist die erste Maßnahme zur Schaffung einer Verfassung, auch im Falle Roms.
res publica
Cicero, der auf der Basis einer tief gehenden Kenntnis der griechischen gelehrten Diskussion schrieb, erklärte die Republik zur Sache des Volkes (hier populus = alle römischen Bürger), das heißt die res publica zu den res populi. Der Begriff „Republik“ zur Bezeichnung des römischen Staatswesens kam erst um 200 v. Chr. auf, als Rom sich die Hegemoniestellung im Mittelmeer erkämpfte und auf diese Weise mit der griechischen Welt in Kontakt trat. Hier kannte man natürlich schon lange die unterschiedlichsten Staatswesen und hatte sie mit Begriffen belegt. So übersetzten die Römer die Bezeichnung für ihr Staatswesen aus dem Griechischen, ta pragmata, die öffentlichen Angelegenheiten.
Polybios’ 6. Buch
Die römische Verfassung und ihre Institutionen waren einem Wandel unterworfen, zumal die kollektive Erinnerung an die nicht aufgezeichneten mores maiorum zwar verpflichtend, aber keineswegs unumstritten war, besonders je mehr man sich der Mitte des zweiten Jahrhunderts nähert. Für die Darstellung historischer Prozesse sind aber Kompromisse zu machen, wenn eine „Momentaufnahme“ der Verdeutlichung dienlich ist. Es gibt hierfür auch ein antikes Vorbild: den Historiker Polybios, der die römische Verfassung zum Zeitpunkt der größten Bedrohung durch Hannibal im 6. Buch seines großen Geschichtswerkes beleuchten wollte. Wie er konzentrieren wir uns vor allem auf das Volk, die oberen Magistrate mit Imperiumsgewalt und den Senat, und ihr tagtägliches politisches Zusammenspiel.
Institutionen und Gesellschaft
Dem schematischen Gerüst der Institutionen (vergleiche Schema S. 18) steht aber darüber hinaus die soziale Realität einer streng aristokratisch-hierarchisch-strukturierten Gesellschaft gegenüber. Diese reichte in die politische Sphäre hinein und verlieh damit bei innerem Konsens (etwa durch die Verpflichtung auf die Einhaltung der mores maiorum) dem Staat insgesamt Beharrungs- und Kohäsionskraft. Diese wäre mit dem institutionellen Gefüge allein kaum hinreichend zu erklären gewesen.
c) Polybios’ Verfassungsanalyse und Ciceros Staatsschriften
Mischverfassungstheorie
Zur Bewertung der Leistungen und Versäumnisse im erhaltenen Teil der Verfassungsanalyse des Polybios ist C. Nicolet (1974) heranzuziehen. Polybios ordnete um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts die römische Verfassung im Spektrum der möglichen und bekannten Verfassungen unter den Mischverfassungstypus ein. Darüber hinaus hat Polybios zufolge die spezifische Beschaffenheit ihrer Verfassung es den Römern ermöglicht, die größten Krisen – auch diejenige des Hannibalkrieges – zu überstehen und in nicht ganz 53 Jahren eine (auf die antike Oikumene, die Mittelmeerwelt, bezogene) Weltherrschaft zu erringen. In diesem Verfassungsgefüge nämlich balancierten sich nach Polybios das demokratische Element, durch das Volk repräsentiert, das königliche Element durch die Konsuln und das aristokratische Element aufgrund des Senates im Rahmen einer Mischverfassung ideal im Sinne eines dauerhaften Bestandes aus, weil die angesprochenen Elemente – im Unterschied zu anderen Gemeinden – natürlich über Jahrzehnte, gar Jahrhunderte zusammengewachsen seien.
Vorteil der Verfassung Roms
Die Verfassung Roms ist nach Polybios daher im Vorteil gewesen, wenn man sie mit der Verfassung Athens und Thebens, die zu sehr von der Qualität der Politiker abhängig gewesen sei, oder mit Platons Staat, der eine reine Kopfgeburt gewesen sei, oder mit Kretas Verfassungen vergleiche, die korrupt gewesen seien. Sogar die Verfassung Spartas stehe zurück, die auch eine exzellente Mischverfassung gewesen sei, aber eben künstlich (durch den sagenhaften Lykurg) geschaffen worden und allein zur Sicherung der Vorherrschaft auf der Peloponnes tauglich gewesen sei. Allein die Verfassung Karthagos, auch eine Mischverfassung wie diejenige Spartas und Roms, war nach Polybios der römischen ebenbürtig. Sie habe allerdings ihren Zenit bereits zum Zeitpunkt der Punischen Kriege überschritten, als die römische ihrem Höhepunkt zustrebte. Außerdem sei – so Polybios – das römische Wesen durchaus beständiger als dasjenige der punischen Gegner.
Seit Herodot (ca. 425 v. Chr.) machten sich die Griechen – die Sophisten, der sogenannte Pseudo-Xenophon, Platon, Aristoteles, überhaupt die Philosophenschule des Peripatos (Theophrast, Dikaiarchos von Messene) – über die bestmöglichen Verfassungen Gedanken und haben Theorien über die jeweilige „Güteklasse“ und das Werden und Vergehen von Verfassungen entwickelt. Die Mischverfassung galt als Ideal und wurde auf die verschiedensten Staatswesen angewandt.
In dieser Tradition stand Polybios, wenn er für griechische Leser die Mischverfassungstheorie auf den römischen Fall applizierte. Der Historiker hatte nach seiner Deportation im Jahre 168 v. Chr. die römischen Institutionen unter anderem durch seine Kontakte (im Scipionenkreis) und