Germanias Vermächtnis. Swen Ennullat

Germanias Vermächtnis - Swen Ennullat


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voneinander getrennt. Offiziell war Hilde mein Leben lang immer nur meine Schwester und Assistentin, obwohl manche sicherlich etwas ahnten. Grundsätzlich waren wir aber sehr vorsichtig. Wir trafen uns manchmal sogar mit Männern oder flirteten unter aller Augen mit Geschäftspartnern.

      Um uns wenigstens einmal unbeobachtet und ungezwungen bewegen zu können, fuhren wir eines Tages aus einer Laune heraus einfach Richtung Westen, weit weg von der Ostsee und dem Korsett, das uns einzwängte. Nach einhundert Kilometern fühlten wir uns relativ sicher, nicht zufällig auf einen unserer Freunde zu treffen. Wir fanden uns in Meldorf wieder und sahen uns das alte Marienkloster an. Wahrscheinlich haben wir uns sofort in die Ruhe und vor allem die Abgeschiedenheit des Ortes verliebt. Im Laufe der Jahre kamen wir immer wieder hierher. Es war nur selbstverständlich, Hilde hier zur letzten Ruhe zu betten.“

      Etwas gefiel Margot nicht an dem Dahlienstrauß, und so bückte sie sich und ordnete die Blumen neu.

      Zufrieden mit dem Ergebnis war wieder Zeit, das Gespräch mit ihrem Begleiter fortzusetzen. „Wissen Sie, Torben, an der Küste werden sie manchmal auf sogenannte Friedhöfe der Namenlosen stoßen, alte Begräbnisstätten für Menschen, die bei Sturm durch das aufgewühlte Wasser von Bord ihrer Schiffe gerissen und tot an Land gespült wurden. Wenn man die Leichen fand, setzten die Küstenbewohner sie zwar bei, ihre Namen blieben aber in der Regel für alle Zeiten unbekannt.

      Hilde hat sich manchmal mit diesen armen Seelen verglichen. Sie war von ihrer wahren Familie getrennt, ohne Hoffnung auf Rückkehr. Nach dem Tod meiner Mutter wusste außer mir niemand mehr, wie sie wirklich hieß oder woher sie stammte. Dieser Umstand bedrückte sie sehr. Nur deshalb habe ich sie hier anonym beerdigen lassen. Ich wollte nicht, dass auf ihrem Grabstein bis in alle Ewigkeit eine Lüge steht. Es reicht schon, dass sie ihren richtigen Namen in dieser Welt nicht tragen konnte.“

      Margot stöhnte auf, und Torben sah das Schimmern in ihren Augen. Sie fing sich jedoch rasch, streckte ihren Rücken durch und sagte: „Genug davon! Deshalb sind Sie nicht hier! – Also Torben, was wollen Sie wissen? Für mich ist es jetzt sowieso vorbei und ich werde vermutlich bald vor meine Schöpferin treten.“

      Torben hatten Margots Worte, als sie von seiner Tante gesprochen hatte, tiefer bewegt, als sie vielleicht vermuten würde. Ihre Trauer war – genauso wie seine eigene über den Verlust seiner Mutter – aufrichtig und in ihrer Stimme hatten Liebe und Wärme geklungen. Er fühlte sich ihr fast verbunden. Sie beide hatten Menschen geliebt, die zur selben Familie gehörten.

      Er musste sich daher regelrecht zwingen, erneut seine Fragen zu stellen. Aber nach einem kurzen Räuspern begann er endlich, zum ursprünglichen Thema zurückzukehren: „Rema war Eva Brauns Tochter und hat den Orden quasi geführt, richtig?“

      „Grundsätzlich kann ich Ihnen zustimmen, der Orden wird aber nicht von einer Einzelperson beherrscht.“

      „Gut, dann formuliere ich es anders: Sie haben damals angedeutet, dass eine der Meisterinnen alle anderen gegen mich aufgebracht hat. War das Rema?“, präzisierte Torben seine Frage.

      „Ja, das stimmt! Die meisten von uns sehen uns nicht in der Tradition von Racheengeln und bevorzugen, wie Ihnen sicherlich nicht verborgen geblieben ist, eine Form des Agierens, die keinerlei Aufsehen erregt!“

      „Also war letztendlich Rema für das Töten verantwortlich – Konrad Reiher, Michael, meine Mutter und alle anderen? Sie hat Nicole beauftragt?“

      Margot nickte.

      „Dann ist es vorbei!“, resümierte er erleichtert, wenn auch etwas ungläubig.

      Dieses Mal schüttelte die Meisterin allerdings den Kopf und sagte: „Ich bedauere, ganz das Gegenteil scheint der Fall zu sein.“

      „Wie meinen Sie das? Rema ist tot, alle anderen Mitglieder des Ordens wollten die Gewalteskalation nicht! Das haben Sie doch eben gesagt!“

      „Ich sprach nur von den Ältesten. Wobei das Wort Älteste nur die Stellung, nicht das Lebensalter meint. Aber ja, es stimmt, wir lehnen gewaltsame Lösungen grundsätzlich ab, sehen sie meist nur als letzten Ausweg. Ich habe Ihnen aber in Bad Mergentheim auch erzählt, dass etwas in Gang gesetzt wurde, dass niemand mehr aufhalten oder verhindern kann, eine Entwicklung, die durch Remas Tod nur noch beschleunigt wurde!“

      „Wie meinen Sie das?“ Torbens Beunruhigung wuchs wieder.

      „Remas Nachfolge ist bereits geregelt. Sie hatte eine Tochter, die seit Jahren auf diese Rolle vorbereitet wurde. Ihr Name ist Riva. Sie hat jetzt die Führung des Ordens übernommen. Und auch sie ist von Rache beseelt!“

      Torbens Magen verkrampfte sich. Hinter ihm klingelte ein Handy. Es gehörte Tim, der offenbar einen Anruf bekam. Torben konnte dem aber im Moment keine weitere Beachtung schenken und hakte stattdessen bei der Meisterin nach: „Also rüstet Riva, das war doch ihr Name, jetzt zu einer Art Gegenschlag? Will sie meinen Tod? Wird sie auch Julia und den Professor jagen oder die Familien unserer Freunde?“

      Margot schüttelte energisch den Kopf: „Nichts dergleichen! Sie haben es immer noch nicht verstanden! Den Orden zeichnen zwei Prinzipien aus. Das erste besteht darin, unauffällig im Hintergrund zu bleiben, im Verborgenen zu agieren. Und das zweite ist, alles für eine Herrschaftsform, ein staatliches Machtgefüge, zu tun, das unseren Interessen dient und sie gleichzeitig schützt. Bei beiden Zielen spielen Sie und Ihre Freunde keine Rolle!“

      „Soll das heißen, ich bin Ihnen egal?“ Torben war verwirrt.

      „So würde ich das nicht ausdrücken. Riva werden Sie nicht gleichgültig sein. Aber sie stellt Sie vorerst hinter andere, wichtigere Entwicklungen zurück.“

      „Oh, wie großzügig!“, bemerkte Torben sarkastisch und fragte Margot: „Und was verdrängt den Wunsch, mich tot zu sehen?“

      „Ganz einfach“, antwortete die Meisterin und taxierte fest seinen Blick, „die Aussicht auf ein neuerliches Erstarken unserer Macht, in einer Form, die keines von den jetzt lebenden Mitgliedern je gekannt hat.“

      „Was soll das nun wieder heißen?“, tadelte Torben. „Sie sprechen in Rätseln!“

      Margot zeigte ein geheimnisvolles Lächeln und antwortete: „Ich rede von der Einleitung eines politischen Umsturzes! – Da wir nach der ganzen Aufregung um Ihre Person und den Ereignissen im Leinawald in Thüringen vermutlich kein wirkliches Geheimnis mehr sind, ist es für uns an der Zeit, gemeinsam mit unseren Verbündeten für unsere Sache aktiv zu werden!“

      „Reden Sie von einer Revolution? In Deutschland?“ Torben zweifelte.

      „Ich rede von einer Verschiebung der Macht!“, antwortete Margot und ergänzte: „Wie Sie wissen, haben wir germanische Wurzeln. Deutschland gilt dadurch natürlich unser besonderes Interesse. Es geht aber über die derzeitigen exakten Staatsgrenzen hinaus.“

      „Langsam, langsam! Bevor wir zu den Staatsgrenzen kommen, bleiben wir bitte zuerst bei den Verbündeten! Wer sollen die sein?“ „Ganz einfach, Menschen und Organisationen, die ebenso wie wir im Verborgenen ihre Wunden geleckt haben und langsam wieder erstarkt sind!

      Eine dieser Gruppen haben wir ganz besonders an uns gebunden, denn sie wird mittlerweile von Rivas Zwillingsbruder, Ruben, geführt! – Sie haben richtig gehört, Rema hatte zwei Kinder, Zwillinge! Beide sind die direkten Nachkommen Adolf Hitlers! Sie sind genetisch nahezu identisch, gezeugt von einem extra dafür ausgewählten deutschen Mann und geboren von einer germanischen Priesterin! Sagt Ihnen das Lebensborn-Projekt etwas?“

      Torben schüttelte kurz den Kopf.

      „Nein? – Egal!“, Margot winkte ab. „Was würden Sie sagen, wenn diese Kinder vielleicht kurz davor stehen, wieder die Macht in Deutschland zu übernehmen?“

      „Dann würde ich sagen, wir sollten schnellstens aus der Sonne gehen! Ich glaube, Sie halluzinieren von imperialen Großreichsphantasien! Und Ihr gesamter Orden anscheinend auch!“

      Als Antwort auf seine Bemerkung schenkte ihm die Meisterin nur ein mildes Lächeln. Plötzlich verengten sich ihre Augen, und sie starrte irgendjemanden oder irgendetwas


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