Gellengold. Tim Herden

Gellengold - Tim Herden


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angenehm zu machen. Mit kleinen Schikanen piesackte er den ungeliebten Neuen. Mit der Begründung, Rieder hätte noch keine Betriebsfahrerlaubnis für Mecklenburg-Vorpommern, nahm sich Damp das Recht, allein den Dienstwagen zu benutzen. Rieder musste, wohl oder übel, per Dienstfahrrad die Insel überqueren und war dabei gleich am zweiten Abend mit Damp aneinandergeraten. Als Rieder von einer Kontrollfahrt in der Dämmerung von Neuendorf nach Vitte zurückgeradelt war, war plötzlich Damp auf Höhe der Ferienanlage »Heiderose« aus dem Gebüsch gesprungen.

      »Hauptwachtmeister Damp. Würden Sie bitte anhalten?«

      Rieder hatte gebremst und gefragt, was los sei.

      »Sie fahren ohne Licht! Das ist ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung.«

      »Na okay, dann mache ich es eben jetzt an.«

      »So einfach geht das aber nicht. Ich muss gegen Sie ein Bußgeld von zehn Euro verhängen.«

      Rieder war etwas verstört von diesem Auftritt seines Kollegen. Damp solle doch nun mal nicht übertreiben. Aber dieser hatte sich weder aus der Ruhe, noch von seinem Vorhaben abbringen lassen.

      »Auch Sie sind ein Bürger wie jeder andere und haben sich an die Verkehrsregeln zu halten. Wir sind hier nicht in Berlin, wo es vielleicht mit Ordnung und Sicherheit etwas laxer genommen wird. Also bitte, bezahlen Sie das Bußgeld sofort oder soll ich Ihnen einen Zahlungsbeleg ausstellen?«

      Rieder hatte seine Geldbörse aus der Hose gekramt, zehn Euro rausgezogen und sie Damp in die Hand geklatscht. Dann war er wieder aufs Rad gestiegen und wutentbrannt davongefahren.

      Über diesen Vorfall hatten sie zwar nie wieder ein Wort verloren, aber das zwischenmenschliche Klima im kleinen Büro der Polizeistation war seitdem auf den Gefrierpunkt gesunken. Dabei hätte Damp ganz gut etwas moralische Unterstützung gebrauchen können. Die Insulaner mochten ihn nicht, weil er keiner von ihnen war, sondern von Rügen kam. Und mit der Nachbarinsel und ihren Bewohnern verband die Hiddenseer eine regelrechte Hassliebe.

      Rieder zog es also nicht besonders ins Büro. Aber bevor er heute den Norden der Insel umrunden wollte, um die Trittsicherheit der Treppenstufen am Steilufer zu prüfen, musste er sich bei Damp wenigstens kurz melden, falls noch etwas anderes zu tun anstand. Er räumte den Frühstückstisch ab, und wie er das Geschirr in das kleine Abwaschbecken stellte, sah er den Hiddenseer Polizeiwagen inklusive Damp und Blaulicht in hohem Tempo in Richtung Neuendorf vorbeifahren. Was war da los? Damp übertrieb zwar immer mal mit seiner Einsatzbereitschaft und ließ gern den Sheriff raushängen, aber das war nicht unbedingt seine Art und auf Blaulicht hatte er bisher auch immer verzichtet. Rieder ging hinaus und pumpte noch kurz sein Rad auf. Er winkte Malte Fittkau, der gerade seinen Rasen stutzte, und schob sein Rad zum Gartentor, da klingelte sein Telefon.

      »Hallo.«

      »Hier Damp. Kommen Sie schnell zum Strandabschnitt südlich des Leuchtturms Gellen, so kurz vor der Grenze zum Nationalpark. Es ist etwas passiert.«

      »Ja was denn?«, fragte Rieder genervt zurück, aber Damp hatte schon aufgelegt.

      Schöner Mist. Bei der Sonne jetzt nach Neuendorf. Rieder setzte sein Basecap auf, um seine schüttere Haarpracht, um nicht zu sagen Glatze, vor der Sonne zu schützen. Dann schwang er sich auf sein Rad und machte sich in Richtung Neuendorf auf den Weg. Am Deich hinter Vitte überholten ihn der Krankenwagen aus Kloster, ebenfalls mit Blaulicht, und der Arzt mit seinem Jeep. Es musste also wirklich etwas passiert sein. Vielleicht war jemand ertrunken oder hatte sich verletzt beim Baden? Hinter Neuendorf wurde der Weg sandig, und da es schon Tage nicht geregnet hatte, ließ sich das Rad schwer durch den staubigen Untergrund manövrieren. Hinter dem Leuchtturm Gellen sah Rieder schon den Streifenwagen mit rotierenden Blaulichtern und den Krankenwagen am Strandübergang stehen. Er sprang vom Rad.

      Unten am Wasser standen Damp, der Arzt und die Sanitäter. Sie beugten sich über einen offenbar leblosen Körper im Sand. In einigem Abstand waren die ersten Strandgänger versammelt und beobachteten neugierig die Männer. Rieder tippte Damp auf die Schulter. »Was ist hier eigentlich los?«

      »Ein Toter am Strand!«

      »Und! Ist er ertrunken oder …«

      »Ich schätze, er ist ermordet worden. Auf seinem Rücken klafft eine breite Wunde. Könnte von einem Messer stammen.«

      Rieder blickte auf den Toten, hockte sich hin.

      »Gibt es Papiere, einen Ausweis oder so etwas?«

      »In seinen Taschen haben wir nichts gefunden.«

      Die schwarzen Haare des Mannes waren noch nass und von Sandkörnern durchsetzt. Das karierte Hemd klebte an seinem Körper. Ohne Handschuhe wollte Rieder die Leiche nicht anrühren.

      »Können Sie mal ein Paar Latexhandschuhe aus dem Polizeiwagen holen? Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die wenigen Spuren verwischen, die uns das Wasser noch gelassen hat. Alarmieren Sie die Spurensicherung von Stralsund. Die sollen so schnell wie möglich herkommen.«

      Damp schnaufte.

      »Ich bin doch nicht ihr Laufbursche …«

      Rieders Blick brachte Damp zum Schweigen. »Jetzt nicht. Wer hat die Leiche überhaupt gefunden?«

      Damp zeigte auf einen Mann in grüner Uniform. Rieder erkannte in ihm einen der Nationalparkwächter. Sein Name war Gerber. Rieder hatte schon einmal mit ihm zu tun, als er in der Heide ein totes Reh entdeckt hatte. Gerber war gekommen, um es wegzuschaffen.

      Rieder ging zu ihm hin, während Damp zum Streifenwagen eilte, so schnell es ihm sein massiger Körper erlaubte.

      »Sie haben den Mann gefunden?«

      Gerber hob etwas die Schultern, als würde er frösteln. »Ja! Er trieb da im seichten Wasser. Ich kam grade vorbei, wollte zum Sperrgebiet, die Nester am Strand kontrollieren. Da sah ich ihn liegen. Ich bin gleich hingerannt, aber der war tot. Das hab ich gleich gesehen. Ich hab ihn dann weiter hoch an Land gezogen und Damp angerufen.«

      »Haben Sie sonst noch was bemerkt?«

      »Erst dachte ich, er wäre vielleicht angetrieben worden. Vielleicht besoffen von einem Segler gefallen. Aber dann sah ich das Rad da stehen.« Rieder sah es jetzt auch. Inzwischen kam auch Damp wieder zurück. »Die Stralsunder machen sich auf den Weg. Sie werden mit dem Boot in einer Dreiviertelstunde hier vor Ort sein.« Er reichte Rieder die Handschuhe.

      Beim Überziehen meinte er: »Wir sollten den Strandabschnitt sperren, mindestens zwei Strandabgänge von hier nach Norden und Süden. Oder was meinen Sie?«

      »Ich kümmere mich mal drum«, klang Damp etwas versöhnlicher und begann die Schaulustigen vom Strand wegzutreiben. Rieder wandte sich an einen der Sanitäter. »Können Sie mir mal helfen, den Mann umzudrehen?«

      Vorsichtig legten sie den Toten auf den Bauch. Da sah auch Rieder den Riss im Hemd.

      »Doktor Müselbeck, was schätzen Sie, wie lange er schon tot ist?«

      »Ich bin zwar kein Pathologe und dann ist es immer schwer, bei einer Wasserleiche den genauen Todeszeitpunkt festzulegen, aber nach der ersten Untersuchung würde ich sagen, noch vor Mitternacht, vielleicht so gegen 22 oder 23 Uhr.«

      Rieder fiel auf, dass die rechte Hand zur Faust geballt war, aber nicht völlig geschlossen. Und es schimmerte etwas durch die Finger.

      »Was hat er da in der Hand?«

      Müselbeck versuchte die Faust zu öffnen. Etwas Goldenes wurde sichtbar. Er nahm es aus der Hand und gab es in eine kleine durchsichtige Plastiktüte, die ihm Rieder entgegenhielt.

      »Es scheint so etwas wie eine Münze zu sein.«

      »Das ist eine Münze«, meinte Müselbeck, »mein Vater hat mal solche Dinger gesammelt.«

      »Und ist die wertvoll?«

      »Schwer zu sagen, ich hab mich nicht dafür interessiert, aber alt ist die bestimmt, ziemlich alt.«

      Rieder steckte das Beweisstück in die Jackentasche und


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