Gellengold. Tim Herden

Gellengold - Tim Herden


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du? Was wolltest du hier?«

      Rieder griff nach der Münze in seiner Tasche und sah sie sich lange an. Das Metall glänzte golden in der Sonne. Auf der einen Seite war ein König zu sehen, mit einem Zepter in der Hand. Auf der Rückseite eine Art Wappen. Rieder blickte auf die Ostsee hinaus, als würde er dort Antworten auf seine Fragen finden. Doch dort rollten nur die Wellen in ihrem ewigen Rhythmus und Möwen hatten es sich auf den Buhnen bequem gemacht.

      Als Rieder am Nachmittag aufs Revier in Vitte kam, hatte Damp schon die Aussage von Gerber ausgedruckt. Auch die Fotos von dem Toten und dem Fahrrad waren angekommen. Damp hatte davon eine CD gebrannt und wollte sich gerade aufmachen, um die Bilder im Fotoladen ausdrucken zu lassen. »Ich mach gleich ein paar Kopien mehr.«

      »Das ist eine gute Idee. Gibt es denn irgendeine Vermisstenanzeige? Fehlt irgendwo ein Urlauber oder Feriengast?«

      »Fehlanzeige. Aber das muss nichts heißen, nicht jeder Gast muss sich jeden Tag bei seinem Pensionswirt melden.«

      »Vielleicht fangen wir in Neuendorf damit an, die Pensionen und Ferienanlagen abzuklappern, einschließlich der Kneipen. Wir könnten erst die Bilder abholen und dann dorthin fahren.«

      »Könnten wir, aber schauen Sie mal auf die Uhr. Für mich ist in einer Stunde Feierabend. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich bereits seit 8 Uhr im Dienst. Und Überstunden müssen genehmigt werden. Aber Sie haben erst um 10 Uhr angefangen zu arbeiten. Da hätten Sie ja noch Zeit für einen Abstecher nach Neuendorf.«

      »Dann lassen Sie mir die Autoschlüssel hier.«

      »Haben Sie eine Betriebsfahrerlaubnis?«

      »Sie wissen doch, dass …«

      »Sehen Sie. Ich kann Sie gern mit nach Neuendorf nehmen, wenn ich nach Hause fahre. Wie Sie zurückkommen, müssen Sie dann schon allein sehen, denn mit dem Hundekäfig im Kofferraum können wir Ihr Rad nicht mitnehmen.«

      Rieder riss nun endgültig der Geduldsfaden. Seine Kopfhaut unter den kurzen Stoppelhaaren schwoll rot an.

      »Passen Sie mal auf, Damp! Hören Sie auf, mich zu schikanieren und hier auf Dienst nach Vorschrift zu machen! Es kotzt mich an, wie Sie sich aufspielen.«

      In diesem Moment klopfte es, und ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete sich die Tür. Bürgermeister Durk und Kurdirektor Sadewater stürmten aufgeregt ins Zimmer.

      »Dürften wir auch mal erfahren, was hier auf der Insel passiert ist, und würden sich die Herren Polizisten herablassen, uns die näheren Umstände um den Mord in Neuendorf mitzuteilen?«, brach es wütend aus dem Bürgermeister heraus.

      Rieder war am Rande der Verzweiflung. Das entwickelte sich hier zu einem Mehrfrontenkrieg.

      »Wenn sich schon Herr Damp nicht bequemt, mich zu informieren, dann hätte ich wenigstens von Ihnen, Herr Rieder, mehr Übersicht erwartet. Sie sind hier nicht irgendwo, sondern auf einer Ferieninsel. Und ein Mord auf Hiddensee, das verbreitet Panik unter den Urlaubern. Und wie sollen wir beruhigend auf die Leute einwirken, wenn wir die Letzten sind, die etwas erfahren.«

      Rieder blickte starr vor Schreck den Bürgermeister an, fand aber dann doch schnell seine Fassung wieder. »Wir waren bis jetzt am Fundort am Gellen und haben momentan keine Unterstützung durch die Zentrale in Stralsund. Da ist es uns sicher durchgerutscht, mit Ihnen zu telefonieren«, entgegnete er dem Ortsvorsteher so ruhig es ging.

      »Aber Damp springt doch hier schon seit mindestens zwei Stunden rum. So lange steht das Polizeifahrzeug neben dem Gebäude«, polterte nun auch Sadewater los. Lars Sadewater, ein braun gebrannter blonder Endzwanziger, der eher in eine Surfschule als auf den Posten des Kurdirektors gepasst hätte, war bekannt für sein gespanntes Verhältnis zu Damp. Er nahm Damps Versuche, auf der Insel Verkehrssicherheit an Fahrrädern durchzusetzen, nicht wie die Insulaner von der humorvollen Seite, sondern sah in dem Polizisten nur einen Querulanten. Er bedrängte den Bürgermeister nicht selten mit der Forderung, doch dafür zu sorgen, dass man Damp aufs Festland versetzte. Und die Spannungen zwischen Rieder und Damp waren ihm sehr recht.

      Damp war seit dem Eintreten von Durk und Sadewater in seinem Sessel deutlich zusammengeschrumpft. Er ahnte, woher der Wind wehte. Rieder stand auf und lehnte sich an seinen Schreibtisch.

      »Herr Bürgermeister, Kollege Damp musste hier Unterlagen abrufen, die uns aus Stralsund zugesandt wurden, und gleichzeitig versuchen, die Bilder von dem Toten zu vervielfältigen, damit wir seine Identität klären können. Das braucht seine Zeit. Wir waren gerade dabei, unsere Arbeit weiter zu koordinieren und dabei wäre sicher auch einer unserer nächsten Wege zu Ihnen oder zu Herrn Sadewater gewesen. Aber wie gesagt, wir sind hier momentan allein zugange. Und …«, Rieder machte eine kurze Pause, »… Mordfälle gehören hier sonst nicht zu unserer Arbeit.«

      Sadewater wollte zwar noch etwas einwenden, aber Durk hielt ihn zurück. »Sie müssen uns verstehen. Wir hatten in der Touristeninformation mehrere aufgeregte Gäste, die wissen wollten, wie gefährlich es jetzt auf der Insel sei. Und unsere Damen wussten gar nicht, von was die reden. Da sehen wir schlecht aus. Vielleicht könnten wir unsere Kommunikation in Zukunft verbessern. Dazu haben wir Sie ja auch auf die Insel geholt.«

      »Wir werden uns bemühen, aber wir stehen auch noch am Anfang. Wir wissen nicht mal, wer der Tote ist. Aber Sie können gleich mal einen Blick auf die Bilder werfen. Vielleicht kommt er Ihnen bekannt vor?«

      Rieder gab Damp einen Wink. Der lud auf seinem Computer die vorhandenen Bilder hoch. Durk und Sadewater schauten darauf, aber beide schüttelten den Kopf. Den Mann würden sie nicht kennen, meinte Durk.

      Als sie wieder allein waren, meinte Damp: »Ich bringe Sie nach Neuendorf und Sie können dann mit dem Wagen zurückfahren. Wäre nett, wenn Sie mich morgen früh abholen könnten. Wir werden dort ja mit den Befragungen weitermachen, falls Sie heute nichts rausbekommen. Ich fahre jetzt aber erst mal zum Fotoladen, um die Abzüge machen zu lassen.«

      Das war zwar noch kein Waffenstillstand, aber zumindest ein Anfang. »Okay. Ich warte dann hier auf Sie.«

      Damp verließ das Büro der Polizeistation. Rieder setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Aus seiner Jackentasche holte er die Plastiktüte mit der Münze und legte sie auf seine Schreibtischunterlage. Er schaltete seinen Computer an und versuchte unter dem Stichwort »Münze« einen Hinweis oder eine Spur zu finden. Aber Tausende Einträge konnte er so schnell nicht durchforsten. Rieder erinnerte sich an das Inselmuseum in Kloster. Vielleicht konnte man ihm dort weiterhelfen. Er steckte die Münze wieder ein.

      Damp kam zurück, blieb aber gleich in der Tür stehen. »Lassen Sie uns losfahren. Vielleicht nehmen wir uns ein Gastgeberverzeichnis mit.«

      Rieder und Damp gingen über den Flur in die Touristeninformation und schreckten dort die drei angestellten Damen beim Plausch mit zwei Insulanerinnen auf. Die Unterhaltung erstarb sofort, als die beiden Polizisten durch die Tür traten. Rieder war sich über das Gesprächsthema im Klaren. In die eingetretene Stille hinein sagte er: »Wir brauchen ein vollständiges Gastgeberverzeichnis mit allen Vermietern auf der Insel. Aber vielleicht könnten Sie kurz einen Blick auf dieses Bild werfen. Es zeigt den Toten. Es ist sicher kein schöner Anblick, aber vielleicht hat eine von Ihnen den Mann schon einmal gesehen.«

      Damp nahm das Foto aus seiner Jacke. Die Frauen stürmten geradezu auf den riesigen Mann zu, der leicht zurückwich, und rissen ihm das Foto aus der Hand. Nacheinander schüttelten sie dann jedoch den Kopf, wie bereits zuvor der Bürgermeister und der Kurdirektor. Keine der fünf hatte den Mann auf dem Foto gesehen, jedenfalls nicht bewusst. Es seien einfach schon zu viele Touristen auf der Insel. Da könne man sich nicht mehr jedes Gesicht merken.

      Nachdem sie die Unterlagen über die Vermieter auf der Insel bekommen hatten und froh waren, mit heiler Haut aus der Touristeninformation herausgekommen zu sein, weil sie von den Frauen mit Fragen bestürmt worden waren, gingen die beiden Polizisten zu dem Einsatzwagen. Damp startete den Motor.

      »Kleine Änderung«, bemerkte Rieder. »Ich will erst mal zum Inselmuseum nach Kloster.«


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