Gellengold. Tim Herden

Gellengold - Tim Herden


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alt sein, wenn nicht noch älter, denn Rieder erinnerte sich, dass er es von seinem Bruder geerbt hatte. Und der war zwölf Jahre älter als er. Anfassen wollte es Rieder nicht, bis die Spurensicherung aufgetaucht war. Vielleicht war ja da noch etwas rauszuholen.

      Damp hatte die Strandzugänge mit Band abgesperrt und kam nun durch den Sand zurückgestapft.

      »Alles okay. Ich habe die freiwillige Feuerwehr herangeholt. Die kontrollieren jetzt die Zugänge, damit hier keiner herkommt.«

      »Gute Idee. Vielleicht nehmen wir, bis die Kollegen aus Stralsund eintreffen, die Aussage von Herrn Gerber auf.«

      »Ich hole mal den Laptop aus dem Auto.«

      Rieder riss die Augen auf. »Welchen Laptop?«

      »Na für operative Einsätze haben wir natürlich einen Laptop an Bord, für Aussagen oder Kennzeichenabgleiche.«

      »Aha.« Eigentlich wollte Rieder Damp fragen, warum er erst jetzt erfuhr, dass das Revier hier auf Hiddensee über einen Laptop verfügte, andererseits stellte er sich vor, wie viele Kennzeichen bereits auf der autofreien Insel per Laptop abgefragt worden waren.

      Während er noch den Kopf schüttelte über seinen Kollegen Damp, fragten die Sanitäter, ob sie noch gebraucht würden. Und auch Müselbeck meinte, er müsse sich eigentlich mal wieder seinen Patienten zuwenden, die in der Praxis in Vitte auf ihn warten würden.

      »Ich werde euch hier noch brauchen, auch um die Leiche abzutransportieren.«

      »Wir sind aber kein Bestattungsunternehmen. Da sollen die mal einen von Rügen rüberschicken.«

      »Wie läuft das denn, wenn hier auf der Insel sonst jemand stirbt?«

      »Dann kommt der Sarg aus Rügen und mit der Kutsche geht es in die Kapelle auf dem Friedhof in Kloster. Aber wir haben damit nichts zu tun. Und so wie der aussieht, macht der uns nur den ganzen Wagen dreckig. Die Arbeit, die Kiste wieder sauber zu kriegen …«

      Rieder merkte, wie er schlechte Laune bekam. Müselbeck zuckte bei den Worten des Sanitäters nur resigniert mit den Schultern.

      »Ihr wartet auf alle Fälle, bis die Kollegen aus Stralsund hier sind und wir entschieden haben, wohin die Leiche gebracht wird«, erwiderte Rieder leicht gereizt auf den Klagegesang der Sanitäter.

      In diesem Moment klingelte Rieders Handy.

      »Hallo, Rieder hier.«

      »Polizeiinspektion Stralsund, Moment bitte, ich verbinde Sie mit dem Leiter der Dienststelle, Herrn Bökemüller.«

      Bökemüller hatte Rieder eingestellt. Er war zunächst nicht sehr überzeugt gewesen von Rieders Bewerbung, aber dann nach einem ersten Gespräch hatte er es eigentlich ganz gut gefunden, dass Rieder zwar aus der Großstadt kam und somit die Eigenheiten der Menschen kannte, die die Ostseeküste als Touristen besuchten, ihm aber andererseits auch Rügen und Hiddensee durch eigene Urlaubsreisen nicht ganz fremd waren.

      »Hallo, Rieder!«, meldete sich Bökemüller mit seiner ruhigen und bedächtigen Stimme am Telefon, »Ihnen folgt wohl das Verbrechen von Berlin nach Hiddensee?«

      Was sollte Rieder darauf antworten?

      »Mir liegt die Meldung vom Kollegen Damp vor, dass am Strand südlich von Neuendorf eine tote Person aufgefunden wurde, wahrscheinlich das Opfer eines Gewaltverbrechens.«

      »Ja, das ist richtig. Der Mann ist offenbar erstochen worden, meint der hiesige Arzt nach einer ersten Untersuchung, wahrscheinlich letzte Nacht.«

      »Identität?«

      »Konnten wir noch nicht klären. Der Mann hatte keine Papiere bei sich. Am Strand findet sich nur noch ein Fahrrad. Wir nehmen an, dass es ihm gehört.«

      »Hm, ich habe die Kollegen der Spurensicherung zu Ihnen in Marsch gesetzt. Aber mehr Unterstützung kann ich Ihnen nicht bieten. Wie Sie wissen, laufen hier die Vorbereitungen für den Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten auf Hochtouren und Mann und Maus sind damit beschäftigt, Kanaldeckel zu kontrollieren und die Fenster an der Protokollstrecke zu versiegeln. Und auf Rügen habe ich alle Kollegen ohne Kinder in den Urlaub geschickt, damit wir dann zur Hochsaison genügend Leute zur Verfügung haben. Sie müssen also erst mal allein klarkommen. Sie haben ja auch noch Damp.«

      Rieder kannte solche Sätze aus Berlin zur Genüge. Entweder Staatsbesuch oder Loveparade, immer fehlten Kollegen, wenn es um die Überwachung von Verdächtigen ging. Hängen blieb es an den Kriminalbeamten, die aber zugleich in Aktenbergen und Bürokratie ertranken. Doch was sollte er jetzt jammern. Es war immerhin mal wieder ein Fall.

      »Okay, alles klar. Wir versuchen zunächst, die Identität des Mannes zu klären und eine Witterung aufzunehmen.«

      »Halten Sie mich auf dem Laufenden. Wenn der Zirkus hier vorbei ist, schicke ich Verstärkung. Versprochen.«

      Rieder erinnerte sich schwach, in der Zeitung gelesen zu haben, dass der Staatsbesuch erst Anfang Juli stattfinden sollte. Bis dahin waren es noch zwei volle Wochen. Er schüttelte den Kopf. Bökemüller konnte es ja nicht sehen.

      »Dann kann man es nicht ändern. Was sollen wir mit der Leiche machen?«

      »Klären Sie das mit der Spurensicherung. Aber ich würde vorschlagen, sie in die Rechtsmedizin Greifswald zu bringen. So viele Tötungsverbrechen haben wir hier oben nicht, die machen das dann immer für uns. Ich sag dort Bescheid, dass eine Lieferung in Anmarsch ist. Also bis dann und viel Glück. Sie kriegen das schon hin«, meinte Bökemüller und setzte nach einer kurzen Pause und nicht ohne einen süffisanten Unterton hinzu: »Sie sind doch ein Mann mit Erfahrung.«

      Bökemüller legte auf und Rieder steckte mit einem kurzen Seufzer das Handy in seine Jackentasche. Damp hatte inzwischen begonnen, die Aussage von Peter Gerber aufzunehmen, nachdem er zuvor die Sanitäter mehr angewiesen als gebeten hatte, den Toten mit einer Plane abzudecken. Mit einem weiteren Murren hatten sie den Auftrag erledigt.

      Rieder gesellte sich zu Damp und Gerber, die sich etwas abseits in den Sand gesetzt hatten. Der Nationalparkwächter ließ sich von dem Dorfpolizisten jedes Wort aus der Nase ziehen. Damp hämmerte mit Zweifingersuchsystem die Angaben in den Laptop. Als Rieder neben beiden stand, schaute Damp auf.

      »Herr Gerber hat den Toten vorher auch noch nie hier gesehen, obwohl er jeden Tag zweimal hier vorbeikommt.«

      Gerber hob wieder, wie zur Bestätigung, fast unscheinbar die Schultern. Erst schien es, als wollte er anfangen zu sprechen. Dann blieb er aber doch stumm.

      »Tja, da kann man wohl nichts machen«, meinte Damp, »Sie können gehen. Die Vögel werden schon auf Sie warten. Aber am Nachmittag müssten Sie im Revier vorbeikommen und Ihre Aussage unterschreiben.«

      Rieder nickte. Nachdem sich Gerber in Richtung Nationalparkbarriere aufgemacht hatte, erzählte er Damp von seinem Gespräch mit Stralsund.

      »Unterstützung können wir von da erst mal nicht erwarten. Wir sind auf uns angewiesen.«

      »Wir sind doch keine Kriminalbeamten«, wandte Damp ärgerlich ein, »ich jedenfalls nicht«, setzte er noch als kleinen Hieb gegen seinen Kollegen nach.

      »Wir sind allerdings auch nicht nur dazu da, Leute ohne Licht am Fahrrad aufzuschreiben«, konterte Rieder.

      Damp, sichtlich getroffen, brauste auf. »Was soll denn das heißen? Wollen Sie sich über mich lustig machen?«

      Rieder winkte ab, obwohl er wusste, dass er jetzt auf Damp angewiesen war, denn allein konnte er hier auf der Insel nicht viel ausrichten.

      »Ich meinte ja bloß, dass Sie als Polizist Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen sollen. Wir können damit beginnen, rauszukriegen, wer der Mann ist, wo er gewohnt hat. Das würden wir bei einem angespülten Toten auch tun. Dort kommt übrigens die Spurensicherung.«

      Auf der Ostsee näherte sich ein Schnellboot der Wasserschutzpolizei mit Blaulicht. Die Gischt schlug an den Bordwänden empor. Während Rieder durch Winken versuchte, die Männer an Bord an den Fundort der Leiche


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