Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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die Flammen der Explosion ihn gefressen hatten. Noch immer sah ich die Angst in seinem Gesicht. Die Verzweiflung. Ich bildete mir ein, den Geruch verbrannter Federn in der Nase zu haben. Das Brüllen der Flammen in den Ohren.

      Und ich … ich hatte ihm nicht helfen können.

      War zur Bewegungsunfähigkeit verdammt gewesen, während er …

      Ich würgte.

      Der Schnitt an meiner Kehle klaffte so weit auf, dass mein Kopf nach hinten baumelte, während ich wie eine leblose Puppe in Charmings Armen lag. Durch meine zerschnittene Luftröhre pfiff die kalte Luft. Mein Körper verkrampfte sich. Der blanke Horror durchzuckte mich und jagte durch mein Fleisch wie einer von Peace’ Blitzschlägen. Höchstwahrscheinlich sah ich aus wie einer dieser toten Frösche, die man mit zwei Drähten wieder zum Zappeln brachte. Meine Lippen formten einen lautlosen Schrei.

      Madox war tot.

      Mad.

      Mein Mad.

      Er war …

      »Schht. Alles in Ordnung. Beruhige dich!«, hörte ich Charming dicht an meinem Ohr flüstern. Sein warmer Atem kitzelte meine Wange. Die Stimme des Gottes drang nur langsam und verzerrt zu mir durch. Ich zitterte. Schmeckte süßes Götterblut, Tränen und dunkle Magie auf meiner Zunge. Mein Blick zuckte hektisch umher. Wo waren wir? Die Höhle! Das Tartaros-Wesen hatte das Maul immer noch weit aufgesperrt und wartete auf uns. Seine Zahnreihen leuchteten wie tote Bäume vor uns auf. Kahl und Unheil bringend wie in einem verwunschenen Märchenwald. Ich erkannte die Schemen der anderen Götter, wie sie langsam darauf zugingen. Fade. Trick. Raised und Honor, der seinerseits den schlaffen Körper von Peace trug. Peace! Mir wurde schwarz vor Augen, als ich an sein zerschossenes Gesicht dachte. In diesem Augenblick klinkte sich mein Verstand aus. Eine Leitung brannte durch und schaltete ab.

      Error.

      Stopp.

      Danke, kommt später wieder.

      Mein Körper verfiel in Schockstarre. Weigerte sich, weiter nachzudenken.

      »Schlaf ein wenig«, befahl Charming und wischte mir sanft warmes Nass von den Wangen.

      Was war …? Oh. Wann hatte ich zu weinen begonnen? Tropfen um Tropfen benetzte Charmings Arme, die mich fest an seine Brust drückten und trugen. Eventuell schnodderte ich ihn auch voll, aber das konnte ich im Augenblick nicht ändern.

      »Alles wird gut«, versprach er mir. Wir wussten beide, dass er log. Nichts würde jemals wieder gut werden. Vor allem nicht ich. In meinen Ohren summte es. Ich fühlte mich leer. So schrecklich leer und einsam. »Das war erst der Anfang«, fügte Charming leise hinzu.

      Ich wusste nicht, ob das ein beruhigendes Versprechen oder eine Unheil verkündende Drohung sein sollte. Allerdings war ich viel zu erschöpft, um mir darüber den Kopf zerbrechen zu können. Die Leere in mir erdrückte jeden weiteren Gedanken. Mein Verstand schützte sich vor sich selbst. Vor dem Wahnsinn, der mich mit Madox’ grünen Augen anstarrte und lachend an meinem Hirn kratzte.

      Madox.

      Ich schloss die Augen. Sie brannten wie Feuer. Das Gefühl in meiner Kehle war ekelhaft. Das eigene Fleisch klaffte auf, während sich die Kälte in die Öffnung zwängte. Wie bei einem filetierten Fisch, der im Todeskampf nach Luft schnappte. Ich erstickte, ohne zu sterben. Charmings Magie summte auf meiner Haut. Sein Geruch stieg mir in die Nase, süß und würzig wie Madox. Der hatte auch immer wundervoll gerochen. Nach Zuhause. Nach Zimt, Schokoladenduschgel und den Pop Tarts, die er sich heimlich reinpfiff. Reingepfiffen hatte, korrigierte mich eine hässliche Stimme in meinem Kopf. Ich würgte abermals.

      »Schlaf!«, flüsterte mir Charming ins Ohr und ich fühlte, wie der Befehl in mein Hirn kroch, sich dort einnistete und mich hinabzog. Meine Finger zuckten. Mein Atem beruhigte sich langsam, ging tiefer und gleichmäßiger. Die Lider fielen bleischwer nach unten. Alles in mir lechzte danach, wie befohlen einzuschlafen, aber es ging nicht. Etwas hielt meinen leer gefegten Geist wach, ließ mir keine Ruhe. Immer wieder sah ich die Bilder vor mir.

      Spades Lachen in meinem Ohr, als er mir das Messer an die Kehle hielt.

      Der Schuss aus Madox’ Pistole.

      Wie das dazugehörige Projektil in Peace’ Gesicht einschlug.

      Silbernes Blut.

      Die Angst und Verzweiflung in den Augen meines Bruders, als die Explosion ihn erfasste.

      Erneut setzten die Krämpfe ein. Der Schock überlagerte selbst Charmings Magie.

      »Was ist mit ihr?« Ich hörte Raiseds besorgte Stimme neben mir.

      Charming schnaufte. »Sie hat einen Schock. Ihre Magie wehrt sich gegen meine.«

      Ich röchelte. Die Seelenreste von Hades und Herakles flossen wie zäher Teer durch mich hindurch, verstopften meine Kehle und tropften schließlich mit etwas Speichel aus dem Mundwinkel. Es schmeckte bitter.

      Madox! Peace! Spade! Madox! Peace! Spade!

      »Das sieht übel aus!« Raised klang panisch.

      »Ich weiß. Wir müssen uns beeilen. Der Doc wird wissen, was zu tun ist.«

      Mir wurde heiß. Viel zu heiß. Die Magie in mir wütete in meinen Eingeweiden wie ein Tier, das an seinen Ketten riss. Der Basilisk auf meinem Handgelenk krümmte sich unruhig. Seine feinen Schuppen rieben dabei über meine Hand. Er war kurz davor, von mir abzuspringen.

      »Schnell!« Die Götter liefen hastiger. Das Klatschen ihrer Füße hallte an den Wänden der steinernen Höhle wider. Plötzlich sprang Charming. Ein Luftzug riss an meinen Haaren, strich über meine glühende Haut. Mein Magen sackte ab, als wir in den Schlund des Tartaros stürzten. Ich hörte das Zuschnappen der Zähne und roch die uralte Magie, die uns dabei einhüllte. Der Tartaros verschluckte uns erneut. Zuvor ein Gefängnis, jetzt flüchteten wir zurück wie geschlagene Ritter in ihre Bastion. Der Schmerz bohrte sich wie lange Stricknadeln in meine Eingeweide und rührte einmal fest um. Ich krümmte mich. Meine Haut spannte, schnürte sich eng um meine Knochen, die pulsierten, als würden sie jederzeit aufbrechen. Meine Flügel zuckten unkontrolliert aus dem Rücken hervor.

      Charming fluchte und seine Hände rutschten an mir ab. Ich fiel haltlos, klatschte gegen den feuchten, schleimigen Hals des Wesens. Mein rechter Flügel knirschte, als ich mich dabei überschlug. Ein paar der feinen Knochen zerbarsten unter dem heftigen Aufschlag. Als hätte man ein Radio lauter gestellt, hörte ich plötzlich die anderen Götter erschrocken aufschreien. Sie riefen meinem Namen. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Was lähmte mich? Der Schock? Charmings Magie? Meine eigene? Selbsthass?

      Was immer es war, ich fiel willenlos wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte. Schrammte den Hals hinab, stürzte immer tiefer.

      »Gefährtin!« Das war Peace’ Stimme. Weit entfernt und so panisch, dass ich das Unmögliche vollbrachte und tatsächlich die Augen aufriss. Als wäre es ein Befehl, dem ich mich nicht widersetzten konnte. Eine Sekunde sah ich den Gott als hellen Fleck mit wild peitschenden blauen Haaren am blutroten Himmel. Danach kam der Aufschlag.

      Eine gigantische Staubwolke stob auf. Ich biss mir auf die Zunge, durchtrennte sie wahrscheinlich, denn augenblicklich füllten Sturzbäche aus Blut meinen Mund. Meine Flügel zerrissen wie Papier. Bereits zweimal war ich von solch einer Höhe gestürzt. Damals, als die Götter mich in den Tartaros geworfen hatten, und als ich mit Madox vom Olymp in die Hölle gestürzt war. Die Erinnerung daran war überraschend frisch. Vor allem daran, wie es sich angefühlt hatte, als mein Körper in seine Einzelteile zerlegt worden war. Der Boden unter mir grollte, während mein Körper eine tiefe Schneise durch den sandigen Grund pflügte. Meine Knochen ächzten, hielten aber wie durch ein Wunder stand. Die Magie preschte wie ein wildes Tier durch meine Adern. Die Stärke der Göttin in mir hielt trotzig den Naturgesetzen stand.

      Das war wohl jener denkwürdige Augenblick, in dem ich bemerkte, wie sehr ich mich verändert hatte. Und das innerhalb weniger Wochen. Im Grunde ab dem Moment, als Peace in mein


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