Warum wir fotografieren. Jürgen Gulbins

Warum wir fotografieren - Jürgen Gulbins


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für passendes Wetter zu entwickeln. Beim Segment Porträtfotografie lernt man den Umgang mit dem Gegenüber – und die richtigen Regieanweisungen zu geben, hat Ideen zur geeigneten Kleidung. Beim Fotografieren von Kindern bekommt man Übung darin, diese zu motivieren oder die Geduld aufzubringen abzuwarten, bis sie sich entspannen, anfangen zu spielen und den Fotografen vergessen. All dies führt ohne Zweifel zu besseren Bildern. Und man wird als Fotografierender selbst sicherer, routinierter und entspannter, was sich auch in den Bildern niederschlagen kann.

      Trotzdem werden die meisten Fotografen eine gewisse Bandbreite an Genres abdecken – entweder parallel oder zeitlich versetzt. Das ist nützlich. Man lernt so, mit unterschiedlichen Situationen umzugehen. Ein Fotograf, dessen Schwerpunkt Reisefotografie ist, wird fast natürlich auch Street- und People-Fotografie betreiben und ebenso Porträtfotografie. Er muss dann eben lernen, Menschen anzusprechen, um – oft schneller, als es in der ›normalen‹ Porträtfotografie erforderlich ist – zu seiner Aufnahme zu kommen. Und während der Reise wird man oft auch Nachtaufnahmen machen, wenn auch zumeist mit einfacheren Mitteln, als wir es bei den Nachtaufnahmen von Péter in Kapitel 6 sehen.

      Diese Bandbreite verstärkt den Spaß an der Fotografie, kommt aber zugleich der Qualität der Bilder des bevorzugten Genres zugute.

      Warum? Einfach weil wir dabei lernen, unser Handwerkszeug besser zu kennen und zu beherrschen, sei es die Kamera, das Stativ oder künstliches und natürliches Licht mit ihren oft recht unterschiedlichen Eigenschaften. Wir schulen unser Auge, unseren ›fotografischen Blick‹, und dies angepasst an unterschiedliche Genres, wechselnde Lichtsituationen, verschiedene Ziele und Darstellungsformen.

      Magdalene ist eine Fotografin mit erstaunlicher Bandbreite. Diese hat sie sich peu à peu zugelegt. Angefangen hat sie mit einer Art Allerweltsfotografie, bei der fotografiert wurde, was vor die Kamera kam und gefiel, etwa Schmetterlinge in ihrer näheren Umgebung, ihre Katzen, Kinder und Verwandte, Landschaften auf Reisen oder Details in ihrem Dorf. Ein gutes Auge hatte sie schon damals. Sie hat in gewisser Weise diese Bandbreite beibehalten, arbeitete aber immer spezifischer und bewusster. So hat sie ein Fotobuch mit Schmetterlingen erstellt und ging dafür eine Weile – mit dem Ziel des Fotobuchs – bewusster und gezielter vor. Sie hatte bereits im Kopf, was das Ergebnis sein sollte, achtete mehr auf den Hintergrund, der bei Schmetterlingsaufnahmen in der Regel dezent und zurückhaltend sowie zumeist unscharf sein sollte. Sie achtete nun mehr darauf, dass der Schmetterling vollständig auf dem Bild und in den wesentlichen Elementen – Augen und Fühler – scharf abgebildet wird und dass am Bildrand keine ablenkenden, störenden Elemente liegen. Sie lernte ebenso, wie man Schwächen der Aufnahmen in der Nachbearbeitung korrigieren und wichtige Objekte in der Szene weiter betonen kann. Diese Technik lässt sich natürlich in fast allen Genres nutzen.

      Ein schönes Beispiel ist die Aufnahme des architektonisch recht spektakulären Hallenbads in Stuttgart-Heslach, welche die nächste Seite zeigt. Angeregt durch ein anderes Foto des Bads plante Magdalene diese Aufnahme recht aufwändig. Zunächst musste die Location begutachtet werden, um die optimale Aufnahmeposition zu finden. Dann galt es, die Genehmigung für die Aufnahme zu bekommen. Die nächsten Schritte waren die terminliche Planung sowie Absprachen mit dem Bademeister. Das Wasser sollte möglichst ruhig sein, um den optimalen Eindruck von Transparenz zu erzielen. Da eine hohe Schärfentiefe erforderlich – es wurde f/11 eingesetzt – und das Licht nicht zu stark war, wurde eine Belichtungszeit von 2,5 Sekunden gewählt. En Weitwinkelobjektiv war hierfür das richtige Werkzeug. In diesem Fall war es ein Weitwinkelzoom von Canon.

      Und die Zeit drängte bei den Aufnahmen, da der lokale Schwimmverein auf seine Trainingszeit wartete. Es musste deshalb alles gut vorbereitet und einige Probeaufnahmen bereits gemacht sein.

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      Hallenbad in Stuttgart-Heslach. Die Aufnahme erforderte einige Vorbereitung, etwa die Absprache mit dem Betreiber sowie dem Bademeister, das Warten auf eine Pause zwischen zwei Betriebsphasen – nach dem öffentlichen Schwimmen und bevor der lokale Schwimmverein seinen Übungsbetrieb aufnahm. Es galt eine sorgfältig ausgewählte Perspektive zu finden, um Symmetrie zu erzielen – sowohl horizontal als auch fast vertikal. Es waren auch Stativ und Kabelauslöser notwendig und schließlich noch die passende Belichtung. Auch ein bisschen Nachbearbeitung wurde durchgeführt. (EOS 70D, EF 16–35 mm F4 L IS USM bei 16 mm (25 mm KB-äquivalent), 2,5 s, f/11, ISO 200)

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      Eine ›Lost Places‹-Aufnahme – die Halle einer aufgegebenen Papierfabrik – mit schönem Schattenspiel, aufgenommen bei einem gemeinsamen Shooting des Fotoclubs. (EOS 70D mit EF 24–70 mm, F2,8 L II USM bei 26 mm, 1/30 s, f/5,6, ISO 200)

      Magdalene reist gerne, aber die Fahrt soll nicht zu lange dauern. Deshalb bleibt sie bei ihren Reisen weitgehend in Deutschland. Viele ihrer Touren macht sie dabei entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Ihre Bilder zeigen, dass man für gute Bilder nicht zu exotischen Orten fahren muss. Man muss nur die Augen offen halten und empfangsbereit für neue Motive sein.

      Um auch auf diesen Touren die Kamera nicht zu Hause lassen zu müssen, hat sie sich vor drei Jahren eine kleine MicroFour-Thirds-Kamera (kurz MFT) von Olympus zugelegt und das Geld für einige gute, lichtstarke Objektive ausgegeben. Hohe Lichtstärke ist dort insbesondere notwendig, um trotz des Crop-Faktors von 2 mit der Tiefenschärfe spielen zu können.

      Neben den Porträts hat Magdalene ein gutes Auge für Architektur entwickelt. Auch davon findet man, hat man einen Blick dafür, schöne Beispiele in ihrer Heimat Baden-Württemberg und im benachbarten Elsass. Die hier gezeigten Aufnahmen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus ihren Architekturaufnahmen, die oft durch das Weglassen von Unwesentlichem geprägt sind und von Jahr zu Jahr besser werden.

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      Architektur? Himmel? Spiegelung?

      Es ist eine Kombination dieser drei Komponenten. Das Blau des Himmels würde diese Komposition nur stören, weswegen Schwarzweiß gewählt wurde. Das Bild wurde mit einer APS-C-Kamera bei 24 mm und f/14 aufgenommen, um eine maximale Schärfentiefe zu erzielen.

       Sammlungen und Fotopanele

      Magdalene sammelt Bilder aus ihrem Dorf. Daraus entstanden Fotopanele mit Bildserien, die farblich zueinander passen oder sich ergänzen und zu einer Art Farbtafel werden. Jede dieser Varianten hat ihre eigenen Herausforderungen. Finden Sie einmal ansprechende Elemente/Bilder, die alle viel Blau oder alle viel Rot aufweisen oder die sowohl von der Farbe als auch vom Sujet her passend eine farbige Diagonale im Panel ergeben. Man lernt dabei das Auge zu schulen.

      Solche Ziele sind natürlich Projekte, die man nicht innerhalb weniger Tage erledigen kann. Sie erfordern Zeit, Planung, Geduld und schließlich auch Ausdauer. Ein oder gar zwei Jahre sind dafür der richtige Zeithorizont; manche dieser Sammlungen für Panele können sich über viele Jahre erstrecken. Eine Alternative zu Panelen können dann auch gedruckte Alben sein, wie eines auf Seite 185 zu sehen ist, dort mit Porträts.

      Es entsteht dabei eine Sammlung an Bildern, die man auch für andere Zwecke nutzen, mit denen man arbeiten und experimentieren kann. Serien sind für die meisten Fotografen aber Beiwerk. Man muss die Aufgabe im Hinterkopf behalten, zuweilen gezielt dafür losgehen und in anderen Fällen eine zufällig gesehene Szene erfassen und aufnehmen. Man muss die Bilder oft speziell für den Zweck der Serie bzw. eines speziellen Panels aufbereiten, etwa die Farben verstärken oder abschwächen oder so anpassen, dass sie mit benachbarten Elementen im Panel harmonieren. Man muss das einzelne Bild beschneiden, um es für das Panel oder Fotobuch von störenden Elementen zu befreien. Und man wird in dieser Zeit auch andere Aufnahmen machen, die mit der Serie nichts zu tun haben.

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