Mit Feuer vom Himmel. Ruth Zenkert
waren dort inhaftiert. Die dicken Eisenriegel lagen verrostet in der Ecke. Ich hielt es nicht aus, trotz offener Türen. Ein Weihnachtsfest, an dem ich nur noch dankbar war für die Freiheit, in der ich leben darf.
Du trägst mit dir eine Wegzehrung, das Viaticum. Welche Warnung, welche Ermutigung geben dir deine Erinnerungen?
Der Beistand aber, der Heilige Geist, … der wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
JOHANNES 14,26
Das Spiel mit dem Abschied
Wann kann ich das Kind, die Nachfolgerin, den Schützling gehen lassen?
Georg Sporschill
Wenn man tausend Kinder von der Straße holt, stehen einem natürlich einige besonders nahe. So ist es auch Robert gelungen, mein Herz zu gewinnen. Er kam zu uns, nachdem seine Eltern ihre Wohnung verloren hatten. Robert schloss die Schule mit der Matura ab, studierte Wirtschaft und erwarb einen Bachelor-Titel. Er ist begabt, spricht Deutsch und Englisch, spielt so gut Fußball, dass er sogar Profi werden wollte. Und er hat seine eigene Band auf die Beine gestellt. Mitreißend klingt es, wenn er in seiner Muttersprache Romanes singt. Robert kann Menschen gewinnen, er sieht gut aus, alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Dass ihn die Mädchen anhimmeln, versteht sich von selbst. Bei so begabten jungen Leuten stelle ich mir oft die Frage, ob sie meine Nachfolger werden könnten. Wie wunderbar wäre es, einen so talentierten, sympathischen, witzigen Menschen neben sich zu haben und ihm Leitungsaufgaben anzuvertrauen!
Nun suchen wir für unsere Musikschule in Hosman einen Leiter. Er soll die Schüler aus den bettelarmen Roma-Familien und die besten Lehrer aus dem Milieu zusammenführen und den Unterricht organisieren. Er soll einen Blick für die verletzten Seelen haben und die Ärmsten hereinholen. Ideal wäre es, wenn er die Roma-Sprache beherrschte. Eine Kombination solcher Voraussetzungen ist selten. Robert würde das alles mitbringen. Aber er hat einen anderen Weg eingeschlagen. Er hat jetzt einen Ausbildungsplatz bei einer großen österreichischen Firma und strebt eine Karriere als Manager an. Und neben der Arbeit will er noch seinen Master-Abschluss machen. So wie es aussieht, wird er das schaffen.
Natürlich kennt Robert die Hoffnungen, die ich in ihn setze. Bei unserem letzten Zusammentreffen tröstete er mich: Wir sind Freunde und bleiben Freunde, egal, was wir machen. Ich werde es dir beweisen, wenn du einmal alt und krank bist und nicht mehr gehen kannst; dann werde ich dich schleppen.
Manche unserer Schützlinge würden am liebsten direkt nach der Ausbildung bei uns arbeiten. Die Versuchung ist groß, wenn wir dringend jemanden brauchen, dem wir vertrauen. Aber ich bin überzeugt, dass sie zuerst in die Welt hinaus müssen, um sich in fremden Gewässern zu bewähren. Und wir dürfen sie nicht zurückhalten.
Jesus soll seinen Schülern den bevorstehenden Abschied erklären und dessen Sinn erschließen. Das politische Netz zieht sich zusammen und wird ihm den Tod bringen. Werden seine Schüler das verkraften, werden sie beisammen bleiben, werden sie das Werk, für das er sie geschult hat und das er ihnen übergeben muss, fortführen? Werden sie im Dunkel die Hoffnung bewahren und ihn dann empfangen, wenn er in ganz neuer Gestalt wiederkommt?
Sozialarbeit ist ein Spiel mit dem Abschied. Ähnliches gilt für Eltern und ihre Kinder, für Unternehmer und ihre Nachfolger. Der Abschied im rechten Moment ermöglicht die Rückkehr als Freund. Wann muss ich jemanden gehen lassen? Wann muss ich ihn in die Verantwortung stoßen? Wann muss Distanz sein?
Ihr habt gehört, dass ich zu euch sagte: Ich gehe fort und komme wieder zu euch.
JOHANNES 14,28a
Der Vater geht, seine Kraft kommt
Von wem wurde ich getrennt, um erwachsen zu werden? Wessen Geist gibt mir heute noch Ideen und Ansporn?
Ruth Zenkert
Ani fährt hervorragend Auto, das hat sie von ihrem Vater gelernt, der ebenfalls wunderbar fährt. Er ist stolz, dass seine beiden Kinder im richtigen Moment in der Kurve beschleunigen, dass sie einschätzen können, wann sie gerade noch überholen dürfen. Ani packt überall an. Beim Hausbau stand sie ihrem Bruder in nichts nach, auch die schweren Balken für den Dachstuhl hat sie geschleppt. Weil die Eltern in unserem Projekt mitarbeiten – der Vater fährt, die Mutter kocht und hilft im Garten –, war Ani oft dabei, um sie zu unterstützen. Nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte – keine Matura, denn sie will nicht hoch hinaus –, haben wir sie angestellt. Da sie in der Ausbildung auch Patisserie gelernt hatte, wollte ich sie im Nachbardorf in unserer Bäckerei einsetzen. Doch sie meinte, sie wolle nicht weg und bleibe lieber im Dorf. So beschäftigten wir sie in der Musikschule. Viele Kinder müssen von zu Hause abgeholt werden, damit sie pünktlich in ihre Unterrichtsstunde kommen. Ohne Uhr und ehrgeizige Mutter schaffen sie es nicht. Für Ani ist es eine leichte Aufgabe, weil sie weiß, wer wo wohnt. Während die Schüler musizieren, beschäftigt sie die wartende Kinderschar mit Spielen im Hof. Wenn die Schule beginnt, gibt es wieder die Hausaufgabenbetreuung. Die jungen Mädchen bleiben gerne bei Ani und helfen am Abend beim Saubermachen, bis sie miteinander nach Hause gehen.
Allerdings: Anis Einsatz bleibt begrenzt und phantasielos. Sie macht alles, was wir ihr sagen, auch alles, was der Vater ihr sagt, doch nicht mehr. Sie macht auch alles nicht, was er nicht will. Weil ihm der Freund nicht gefallen hat, hat der Papa ihn vor der Schule abgefangen und ihm gedroht, er solle die Finger von der Tochter lassen. Jetzt ist sie solo, und der Vater wird ihr den richtigen Partner finden. Ich warte auf den Tag, an dem Ani den Sprung hinaus schafft. Vielleicht wird das erst geschehen, wenn der Vater gegangen ist?
Als Jesus den Abschied vor sich sieht, redet er vom Gehen. Seine Freunde werden jetzt selbstständig werden. Solange er da ist, ist er der Lehrer und sie sind die Schüler. Nach der guten Ausbildung, die sie von ihm erhalten haben, werden sie in eine neue Aufgabe hineinwachsen. Nun werden sie die Lehrer, die Führungskräfte werden. Jesus stößt sie in die neue Rolle hinein. Kraft und neue Ideen erhalten sie durch den Geist, den er ihnen mitgibt. Der Umschwung vom Schüler zum Lehrer, vom Kind zum Erwachsenen braucht die Ablösung. Durch die Distanz in der Beziehung spüre ich, dass es jetzt ein neuer Geist ist, mein Geist, der aus mir selbst spricht. Der Geist wird kommen, wenn der Vater geht. »Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden«, sagt Jesus. Und ich hoffe, so wird auch Ani einmal Verantwortung übernehmen.
Von wem wurde ich getrennt, um erwachsen zu werden? Wessen Geist gibt mir heute noch Ideen und Ansporn?
Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.
JOHANNES 16,7b
Der Zeitpunkt für eigene Pläne
Wer hat mich zum Laufen gebracht? Wann ist der Funke auf mich übergesprungen? Welche Bitte habe ich heute im Herzen?
Georg Sporschill
Schon von Weitem sah ich, dass Ghiza wieder weg war. Am Tag zuvor hatten wir gemeinsam den Hof aufgeräumt. Die Mutter hatte Berge von Kleidern gewaschen, trotz des Regens hing die Wäsche kunterbunt zum Trocknen auf den Zaunpfählen. Mit Steinbrocken war ein Pfad zum kleinen Haus gelegt, damit nicht mehr der ganze Schlamm hineingetragen wurde. Drinnen hatten wir gefegt und alles vom Boden in den Kasten geordnet. Die Großen hatten mir und der Mutter geholfen, nur Ghiza ging aus und ein, verschwand, rührte keinen Finger. Ich hatte ihn gebeten, wenigstens den Müll, den wir vor dem Haus zusammengetragen hatten, mit dem Pferdewagen des Nachbarn zur Grube hinauszufahren. Er hatte es versprochen, aber der Müllhaufen lag noch da, inzwischen von den Hunden aufgewühlt und über die ganze Straße verteilt. Von Ghiza keine Spur. Wie immer räumten wir den Dreck weg, mit dem Pferd des Nachbarn. Dann tauchte Ghiza auf. Er war im Dorf gewesen. Begeistert erzählte er, dass er mit einem Freund verhandelt hatte. Er werde sich selbst ein Fohlen kaufen, damit er durch Fahrten und Pflügen bei den Bauern Geld verdienen könne. Dazu musste er nun den Stall herrichten. Das Dach war schon