Mit Feuer vom Himmel. Ruth Zenkert

Mit Feuer vom Himmel - Ruth Zenkert


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Anfang erschuf Gott Himmel und Erde«, Oben und Unten. Aus dem Hohen und Niederen soll eine Partnerschaft werden zwischen Gott und Mensch. »Der Himmel ist Himmel des HERRN, die Erde aber gab er den Menschen.« (Psalm 115,16) Ignatius von Loyola formulierte es pädagogisch: »Handle so, als ob alles von dir selbst abhinge, und wisse zugleich, dass alles von Gott abhängt.« Eine zweifache Verantwortung.

      Wir konnten Maria aus dem Elend herausholen. Genauso wichtig wie unsere Hilfe aber wird ihre Mitarbeit sein. Wenn sie ihre Eltern ehrt, eifrig lernt, sich um andere kümmert, dann wird sie es schaffen. Sie muss geerdet bleiben, sonst wird sie nicht selbstständig.

      Gott will Partner, nicht Kinder. Aus der Spannung von Himmel und Erde ergibt sich Zukunft, zumindest der nächste Schritt.

      Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.

      GENESIS 1,1

      Du bist das Licht der Welt

      Für wen kann ich das Leben heller machen, wer macht mein Leben hell?

       Ruth Zenkert

      Ein junger Mann in elegantem Anzug steht am Waldrand und spielt auf dem Horn eine Melodie aus Bizets »Carmen«. Das Sonnenlicht wirft den Schatten des Instruments auf sein weißes Hemd, sodass auch auf diesem ein Horn zu sehen ist. Catalin war ein Straßenkind. Seine Mutter stand mit vielen Kindern allein da, sie konnte ihm nichts zu essen geben und hatte nicht genug Platz. So wuchs Catalin bei uns im Kinderhaus auf. Nach dem klassischen Stück singt er nun mit Robert, seinem Freund aus dem Kinderhaus, Roma-Lieder.

      Die beiden sind nicht allein. An diesem Tag wurde in Schönbach im Waldviertel die »Via Lucis« eingeweiht. Dieser Lichtweg führt vom Ortsrand aus auf einen Hügel hinauf. Wie ein Kreuzweg hat er 14 Stationen; inhaltlich setzt er da an, wo der Kreuzweg endet. Die erste Station heißt »Auferstehung«. Oben am Hügel soll der abschließende »Pfingstkreis« dem Besucher die Kraft geben, mit den Gedanken, die ihn unterwegs erhellt haben, in die Welt hinauszugehen und guten Geist auszustrahlen. Jede Station wurde von Künstlern gestaltet und deutet ein biblisches Thema. Und jede Station ist einer sozialen Organisation gewidmet. So begleiten Waisenkinder, Arbeitslose, Straßenkinder, Kranke und ihre Helfer die Lichtweg-Gehenden. Mich hat besonders die Station »Das leere Grab« beeindruckt: Ein aufgestellter Quader, ohne Wände, auf dem Boden eine Betonplatte mit Fußabdrücken, sie lädt ein, hineinzutreten. Selbstverständlich richte ich den Blick nach oben. Dort ist ein Spiegel – ich sehe mich selbst! Und ich höre das Wort Jesu: »Du bist das Licht der Welt.«

      Am Tag der Einweihung gingen wir von Station zu Station. Eine Gruppe von Saxophonisten entführte uns mit einer zarten Melodie zu den Fragen des Herzens. Die Belastungen des Alltags schienen abzufallen, mit jedem Schritt, an jeder Station spürte ich, wie Licht in meine Seele drang. Oben angekommen, gelangten wir zum »Pfingstkreis«, einem gepflasterten Platz, in den es alle hineinzog. Hier hatten Catalin und Robert musiziert. Zwei Roma-Jugendliche, Kinder von der Straße, die den Weg aus der Dunkelheit zum Licht gegangen sind. Sie haben gekämpft, gelernt, studiert. Catalin ist Hornist geworden, Robert macht Karriere in einem österreichischen Unternehmen. Jetzt strahlen sie und arbeiten mit, damit die Welt heller wird.

      »Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.« Nachdem Gott Himmel und Erde geschaffen hat, ist seine zweite Großtat die Erschaffung des Lichts. Ihm ist wichtig, dass die Dunkelheit überwunden wird. »Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel« (Psalm 104,2): ein Bild für Gott. Mit ihm sind wir eingehüllt in den Mantel des Lichts und können es weitergeben. Die sozialen Werke, auf dem Lichtweg Station für Station, bringen Menschen, die im Dunkel sind, ans Licht. Die Welt ist hell, wo wir einander helfen, wo Flüchtlinge aufgenommen werden, wo wir Freude ausstrahlen, unsere Begabung für andere einsetzen. Wer Leben aufbaut und rettet, arbeitet als Partner Gottes mit an der Schöpfung, jeden Tag.

      Für wen kann ich das Leben heller machen, wer macht mein Leben hell?

      Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.

      GENESIS 1,3

      Energien fließen in neues Land

      Eine Aufgabe ist getan, was kommt Neues? An welcher Klippe bekommt mein Leben einen neuen Sinn?

       Ruth Zenkert

      Schwer konnte man einen Termin mit Sebastian finden, weil er ganz für seine Arbeit lebte. Aufgrund seiner unglaublichen Energie wurde alles ein Erfolg, was er anpackte. Es gelang ihm sogar irgendwie, eine gute Ehe zu führen und für seine vier Kinder ein fürsorglicher Vater zu sein. Und plötzlich war alles aus. In der Bank, wo er eine führende Position hatte, wurden Bereiche zusammengelegt, wider Erwarten wurde er wegrationalisiert. Nachdem er den Schock verkraftet hatte, begann Sebastian, die Chance zu nutzen und vieles zu tun, wozu er die letzten dreißig Jahre keine Zeit gehabt hatte. Er achtete auf seine Gesundheit, begann mit Sport und Erholung. Lesen, Theater, Kino – neue Welten taten sich ihm auf, die er nicht mehr wahrgenommen hatte. Und es begann wieder in ihm zu kribbeln. Sebastian ist ein Mensch, der gerne etwas in Bewegung setzt. Doch nun sollte es nicht für eine Firma sein, die ihn eines Tages wieder gnadenlos hinaussetzen würde. Sebastian erinnerte sich an die Freundschaft mit uns und kam auf Besuch nach Hosman. Wir redeten über die Entwicklung des jungen Werkes und über die Hürden, mit denen wir zu kämpfen hatten. Sein Kribbeln wurde stärker: Alle Erfahrung aus seinem Job konnte er hier teilen. Sebastian sah die Notwendigkeit, öfter zu kommen. Sein Wissen und seine Fähigkeiten fielen auf fruchtbaren Boden. Nicht nur organisatorische Fragen packten wir an, auch die pädagogischen und musikalischen Bereiche gewannen an Wert. Und was tat sich bei Sebastian selbst? Was hatte ihn angezogen? Er hatte Freunde gefunden. Andere, als er bisher gehabt hat, keine geschäftsorientierten Beziehungen, die nur auf Themen der Firma fokussiert waren. Jetzt fand er Menschen mit spannenden Geschichten, denen er helfen konnte, die aber auch ihm einen neuen Sinn gaben. Er war dankbar, dass er von seinem Reichtum geben konnte, und er spürte, dass er sogar noch viel mehr zurückbekam. Es entwickelte sich eine wertvolle Zusammenarbeit, zum Wohl vieler Menschen in Not.

      Sebastians Energien fließen wie der Strom, der in Eden entspringt und zuerst den Garten bewässert, den Gott den Menschen anvertraut. Der Wasserreichtum oder die Kräfte sind durch den Luxusgarten – griechisch Paradies – nicht erschöpft, sondern strömen über und weiter in alle Himmelsrichtungen. Der Strom teilt sich in vier Hauptflüsse, er vermehrt sich, um die ganze Erde zu erfüllen. Vier symbolisiert die Vollkommenheit: vier Jahreszeiten, vier Himmelsrichtungen, vier Elemente und – damals – vier Erdteile. Sebastian hat in »seinem Garten« – Beruf und Familie – alles erreicht. Der Einbruch in seiner Karriere bot für seine Energien, sein Können und seine Erfahrungen ein neues Betätigungsfeld. Seine überströmenden Kräfte kommen jetzt Menschen zugute, die nicht bezahlen können. Und er erlebt, wie trockenes Land fruchtbar wird. Manch unbetreutes Kind geht jetzt in die Schule.

      Eine Aufgabe ist getan, was kommt Neues? Wo vermehren sich meine Energien? An welcher Klippe bekommt mein Leben einen neuen Sinn?

      Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen.

      GENESIS 2,10

      Der gute Stress

      Aufträge, die belasten, und Aufträge, die glücklich machen. Was bleibt?

       Ruth Zenkert

      Rotblaue Hände kneten die Wäsche im kalten Wasser, das sich zu einer braunen Brühe verfärbt. Stanas älteste Tochter, die 14-jährige Maria, hat den Kübel in die Roma-Behausung geschleppt. Der Dorfbrunnen gibt reines Wasser und ist den ganzen Winter über nicht zugefroren. Ich soll mich in die Ecke neben die Feuerstelle setzen, um mich zu wärmen. Im düsteren Raum schlafen Jugendliche, Kinder springen herum, zwei verstecken sich unter dem bodenlangen Kleid der Mutter. Sie sagt, dass ihr Mann beim zehnten Kind weggegangen sei. Jetzt sei alles leichter, kein Trinken und kein Schlagen mehr. Es geht uns gut, meint sie und schaut froh und doch besorgt auf ihre Schar. Wo wird sie heute


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