Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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begründet.)

      Die Frau bei Baudelaire: das kostbarste Beutestück im »Triumph der Allegorie« – das Leben, welches den Tod bedeutet. Diese Qualität eignet am unabdinglichsten der Hure. Sie ist das einzige, was man ihr nicht abhandeln kann und für Baudelaire kommt es nur darauf an.

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      Den Weltlauf zu unterbrechen – das war der tiefste Wille in Baudelaire. Der Wille Josuas. Nicht so sehr der prophetische: denn er dachte an Umkehr nicht. Aus diesem Willen entsprang seine Gewalttätigkeit, seine Ungeduld und sein Zorn; aus ihm entsprangen auch die immer erneuten Versuche, die Welt ins Herz zu stoßen, oder in Schlaf zu singen. Aus diesem Willen begleitet er den Tod bei seine⁠〈n〉 Werken mit seiner Ermunterung.

      Man muß annehmen, daß die Gegenstände, die die Mitte von Baudelaires Dichtung ausmachen, einem planvollen zielstrebigen Bemühen nicht erreichbar waren: Jene entscheidend neuen Gegenstände – die große Stadt, die Masse – werden denn auch nicht als solche von ihm visiert. Nicht sie sind die Melodie, die er im Sinne hat. Vielmehr ist das der Satanismus, der Spleen und die abwegige Erotik. Die wahren Gegenstände der Fleurs du mal sind an unscheinbarer Stelle zu finden. Sie sind, um im Bilde zu bleiben, die noch niemals berührten Saiten des unerhörten Instruments, auf dem Baudelaire phantasiert.

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      Das Labyrinth ist der richtige Weg für den, der noch immer früh genug am Ziel ankommt. Dieses Ziel ist der Markt.

      Hasardspiel, Flanieren, Sammeln – Betätigungen, die gegen den spleen eingesetzt werden.

      Baudelaire zeigt, wie das Bürgertum in seinem Niedergang sich die asozialen Elemente nicht mehr integrieren kann. Wann wurde die garde nationale aufgelöst?

      Mit den neuen Herstellungsverfahren, die zu Imitationen führen, schlägt sich der Schein in den Waren nieder.

      Es gibt für die Menschen wie sie heute sind nur eine radikale Neuigkeit – und das ist immer die gleiche: der Tod.

      Erstarrte Unruhe ist auch die Formel für Baudelaires Lebensbild, das keine Entwicklung kennt.

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      Eines der Arkana, die der Prostitution erst mit der Großstadt zu⁠〈ge〉⁠fallen sind, ist die Masse. Die Prostitution eröffnet die Möglichkeit einer mythischen Kommunion mit der Masse. Die Entstehung der Masse ist aber gleichzeitig mit der der Massenproduktion. Die Prostitution scheint zugleich die Möglichkeit zu enthalten, es in einem Lebensraum auszuhalten, in dem die Objekte unseres nächsten Gebrauchs mehr und mehr Massenartikel geworden sind. In der Prostitution der großen Städte wird das Weib selber zum Massenartikel. Diese durchaus neue Signatur des großstädtischen Lebens ist es, die Baudelaires Rezeption des Dogmas von der Erbsünde ihre wirkliche Bedeutung gibt. Der älteste Begriff schien Baudelaire gerade erprobt genug, um ein durchaus neues, dekonzertierendes Phänomen zu bewältigen.

      Das Labyrinth ist die Heimat des Zögernden. Der Weg dessen, der sich scheut ans Ziel zu gelangen, wird leicht ein Labyrinth zeichnen. So tut es der Trieb in den Episoden, die seiner Befriedigung vorangehen. So tut es aber auch die Menschheit (die Klasse), die nicht wissen will, wohin es mit ihr hinausgeht.

      Wenn es die Phantasie ist, die der Erinnerung die Korrespondenzen darbringt, so ist es das Denken, das ihr die Allegorien widmet. Die Erinnerung führt beide zu einander.

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      Die magnetische Anziehung, die einige wenige Grundsituationen immer wieder auf den Dichter ausgeübt haben, gehört in den Symptomkreis der Melancholie hinein. Baudelaires Phantasie kennt stereotype Bilder. Ganz allgemein scheint er unter dem Zwang gestanden zu haben, mindestens einmal zu jedem seiner Motive zurückzukehren. Man kann das wirklich dem Zwang vergleichen, der den Verbrecher immer wieder zum Tatort zieht. Die Allegorien sind Stätten, an denen Baudelaire seinen Zerstörungstrieb büßte. Vielleicht erklärt sich so die einzig dastehende Entsprechung so vieler seiner prosaischen Stücke mit Gedichten der fleurs du mal.

      Die Denkkraft Baudelaires nach seinen philosophischen Exkursen beurteilen zu wollen (Lemaître) wäre ein großer Irrtum. Baudelaire war ein schlechter Philosoph, ein guter Theoretiker, unvergleichlich aber war er allein als Grübler. Vom Grübler hat er die Stereotypie der Motive, die Unbeirrbarkeit in der Abweisung alles Störenden, die Bereitschaft jederzeit das Bild in den Dienst des Gedankens zu stellen. Der Grübler, als geschichtlich bestimmter Typus des Denkers ist derjenige, der unter den Allegorien zu Hause ist.

      Bei Baudelaire ist die Prostitution die Hefe, die die Massen der großen Städte in seiner Phantasie aufgehen läßt.

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      Majestät der allegorischen Intention: Zerstörung des Organischen und Lebendigen – Auslöschung des Scheins. Die höchst kennzeichnende Stelle, an der Baudelaire sich über die Faszination ausspricht, die der gemalte Theaterhintergrund auf ihn ausübt, ist nachzuschlagen. Der Verzicht auf den Zauber der Ferne ist ein entscheidendes Moment in der Lyrik von Baudelaire. Er hat in der ersten Strophe von Le voyage seine souveränste Formulierung gefunden.

      Zur Auslöschung des Scheins »l’amour du mensonge«.

      Une martyre und la mort des amants – Makartinterieur und Jugendstil.

      Das Herausreißen der Dinge aus den ihnen geläufigen Zusammenhängen – das bei den Waren im Stadium ihrer Ausstellung normal ist – ist ein für Baudelaire sehr kennzeichnendes Verfahren. Es hängt mit der Zerstörung der organischen Zusammenhänge in der allegorischen Intention zusammen. Vgl une martyre Strophe 3 und 5 in den Naturmotiven oder die erste Strophe von Madrigal triste.

      Ableitung der Aura als Projektion einer gesellschaftlichen Erfahrung unter Menschen in die Natur: der Blick wird erwidert.

      Die Scheinlosigkeit und der Verfall der Aura sind identische Phänomene. Baudelaire stellt das Kunstmittel der Allegorie in ihren Dienst.

      Zum Opfergang der männlichen Sexualität gehört es, daß Baudelaire die Schwangerschaft gewissermaßen als unlautere Konkurrenz empfinden mußte.

      Die Sterne, die Baudelaire aus seiner Welt verbannt, sind es gerade, die bei Blanqui der Schauplatz der ewigen Wiederkunft werden.

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      Die gegenständliche Umwelt des Menschen nimmt immer rücksichtsloser den Ausdruck der Ware an. Gleichzeitig geht die Reklame daran, den Warencharakter der Dinge zu überblenden. Der trügerischen Verklärung der Warenwelt widersetzt sich ihre Entstellung ins Allegorische. Die Ware sucht sich selbst ins Gesicht zu sehen. Ihre Menschwerdung feiert sie in der Hure.

      Die Umfunktionierung der Allegorie in der Warenwirtschaft ist darzustellen. Es war das Unternehmen von Baudelaire, an der Ware die ihr eigentümliche Aura zur Erscheinung zu bringen. Er suchte die Ware auf heroische Weise zu humanisieren. Dieser Versuch hat sein Gegenstück in dem gleichzeitigen bürgerlichen, die Ware auf sentimentale Art zu vermenschlichen: der Ware, wie dem Menschen, ein Haus zu geben. Das versprach man sich damals von den Etuis, den Überzügen und Futteralen, mit denen der bürgerliche Hausrat der Zeit überzogen wurde.

      Die Allegorie Baudelaires trägt – im Gegensatz zur barocken – die Spuren des Ingrimms, welcher von nöten war, um in diese Welt einzubrechen, ihre harmonischen Gebilde in Trümmer zu legen.

      Das Heroische ist bei Baudelaire die erhabene, der spleen die niederträchtige Erscheinungsform


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