Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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      Die heroische Haltung von Baudelaire dürfte der Nietzsches auf das nächste verwandt sein. Wenn Baudelaire am Katholizismus festhält, so ist doch seine Erfahrung des Universums genau der Erfahrung zugeordnet, die Nietzsche in den Satz faßte: Gott ist tot.

      Die Quellen, aus denen die heroische Haltung von Baudelaire sich speist, brechen aus den tiefsten Fundamenten der gesellschaftlichen Ordnung hervor, die sich um die Jahrhundertmitte anbahnte. Sie bestehen in nichts anderm als den Erfahrungen, kraft deren Baudelaire über die einschneidenden Veränderungen der Bedingungen künstlerischer Produktion belehrt wurde. Diese Veränderungen bestanden darin, daß am Kunstwerk die Warenform, an seinem Publikum die Massenform unmittelbarer und vehementer als jemals vordem zum Ausdruck kam. Eben diese Veränderungen führten späterhin neben andern Veränderungen im Bereiche der Kunst vor allem den Untergang der lyrischen Dichtung herauf. Es macht die einmalige Signatur der Fleurs du mal, daß Baudelaire auf diese Veränderungen mit einem Gedichtbuche erwidert. Das ist zugleich das außerordentlichste Exempel heroischer Haltung, das in seinem Dasein zu finden ist.

      »L’appareil sanglant de la Destruction« – das ist der verstreute Hausrat, der – in der innersten Kammer der Dichtung von Baudelaire – zu Füßen der Hure liegt, die alle Vollmachten der barocken Allegorie geerbt hat.

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      Der Grübler, dessen Blick, aufgeschreckt, auf das Bruchstück in seiner Hand fällt, wird zum Allegoriker.

      Eine Fragestellung, die dem Schluß vorbehalten bleibt: wie ist es möglich, daß eine zumindest dem Schein nach so durch und durch »unzeitgemäße« Verhaltungsweise wie die des Allegorikers im poetischen Werk des Jahrhunderts einen allerersten Platz hat?

      Es ist in der Allegorie das Antidoton gegen den Mythos zu zeigen. Der Mythos war der bequeme Gang, den Baudelaire sich versagt hat. Ein Gedicht wie La vie antérieure, dessen Titel alle Kompromissionen nahe legt, zeigt wie weit Baudelaire vom Mythos entfernt war.

      Blanqui-Zitat »Hommes du dix-neuvième siècle« am Schluß.

      Zum Bilde der »Rettung« gehört der feste, scheinbar brutale Zugriff.

      Das dialektische Bild ist die Form des geschichtlichen Gegenstandes, der Goethes Anforderungen an einen synthetischen genügt.

      Baudelaire hat in der Haltung des Almosenempfängers eine ununterbrochene Probe auf das Exempel dieser Gesellschaft gemacht. Seine künstlich unterhaltene Abhängigkeit von der Mutter hat nicht nur ihre von der Psychoanalyse betonte sondern auch ihre gesellschaftliche Ursache.

      Für den Gedanken der ewigen Wiederkunft hat die Tatsache ihre Bedeutung, daß die Bourgeoisie der bevorstehenden Entwicklung der von ihr ins Werk gesetzten Produktionsordnung nicht mehr ins Auge zu blicken wagte. Der Gedanke Zarathustras von der ewigen Wiederkunft und die Devise des Kissenschoners »Nur ein Viertelstündchen« sind Komplemente.

      Die Mode ist die ewige Wiederkehr des Neuem – Gibt es trotzdem gerade in der Mode Motive der Rettung?

      Das Interieur der Baudelaireschen Gedichte inspiriert sich in einer Anzahl von Gedichten an der Nachtseite des bürgerlichen Interieurs. Deren Gegenbild ist das verklärte Interieur des Jugendstils. Proust hat in seinen Bemerkungen nur eben das erstere gestreift.

      Baudelaires Unlust zu Reisen macht die Herrschaft der exotischen Bilder, die seine Lyrik vielfach beherrscht, desto bemerkenswerter. In dieser Herrschaft kommt seine Melancholie zu ihrem Recht. Übrigens ist dies ein Hinweis auf die Kraft, mit der in seiner Sensibilität das auratische Element zu seinem Recht kommt. Le voyage ist eine Absage an das Reisen.

      Die Korrespondenz zwischen Antike und Moderne ist die einzige konstruktive Geschichtskonzeption bei Baudelaire. Sie schloß eine dialektische mehr aus als sie sie beinhaltet.

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      Bemerkung von Leyris, das Wort »familier« sei bei Baudelaire voller Geheimnis und Unruhe, stehe bei ihm für etwas, für das es nie vorher gestanden habe.

      Eines der versteckten Anagramme von Paris im Spleen I ist das Wort mortalité.

      Die erste Zeile von La servante au grand cœur – auf den Worten dont vous étiez jalouse liegt nicht der Ton, den man erwarten sollte. Von jaloux zieht sich die Stimme gleichsam zurück. Und diese Ebbe der Stimme ist etwas höchst Kennzeichnendes für Baudelaire.

      Bemerkung von Leyris, der Lärm von Paris sei nicht aus den mehrfachen Stellen im Wortsinn namhaft gemacht (lourds tombereaux) sondern rhythmisch in den Vers Baudelaires hineingewirkt.

      Die Stelle où tout, même l’horreur, tourne aux enchantements ist schwerlich besser zu exemplifizieren als durch die Beschreibung der Menge bei Poe.

      Bemerkung von Leyris, die fleurs du mal seien le livre de poésie le plus irréductible – man kann das wohl so verstehen, daß von der sie gründenden Erfahrung am wenigsten eingelöst sei.

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      Männliche Impotenz – Schlüsselfigur der Einsamkeit – in ihrem Zeichen vollzieht sich der Stillstand der Produktivkräfte – ein Abgrund trennt den Menschen von seinesgleichen⁠〈.〉

      Der Nebel als Trost der Einsamkeit⁠〈.〉

      Die vie antérieure eröffnet den zeitlichen Abgrund in den Dingen; die Einsamkeit tut den räumlichen vor dem Menschen auf.

      Das Tempo des Flaneurs ist mit dem Tempo der Menge, wie es bei Poe geschildert wird, zu konfrontieren. Es stellt einen Protest gegen dieses dar. Vgl die Schildkrötenmode von 1839 D 2 a, 1⁠〈.〉

      Die Langeweile im Produktionsprozeß entsteht mit seiner Beschleunigung (durch die Maschinen). Der Flaneur protestiert mit seiner ostentativen Gelassenheit gegen den Produktionsprozeß.

      Man begegnet bei Baudelaire einer Fülle von Stereotypien, wie bei den Barockdichtern.

      Typenreihe vom garde national Mayeux über Vireloque und Baudelaires Chiffonnier zu Gavroche und dem Lumpenproletarier Ratapoil.

      Eine Invektive gegen Cupido aufzufinden. Im Zusammenhang mit den Invektiven des Allegorikers gegen die Mythologie, die so genau denen der frühmittelalterlichen Kleriker entsprechen. Cupidon dürfte an der fraglichen Stelle das Beiwort joufflu haben. Sein Widerwille gegen ihn hat die gleichen Wurzeln wie sein Haß gegen Béranger.

      Baudelaires académie-Kandidatur war ein soziologisches Experiment.

      Die Lehre von der ewigen Wiederkehr als ein Traum von den bevorstehenden ungeheuren Erfindungen auf dem Gebiete der Reproduktionstechnik.

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      Wenn es ausgemacht erscheinen kann, daß die Sehnsucht des Menschen nach einem reineren, unschuldsvollern und spirituellem Dasein als es ihm gegeben ist, notwendig nach einem Unterpfande in der Natur sich umsieht, so hat sie es meist in irgendwelchen desselben Wesen⁠〈s〉 der Pflanzenwelt oder des Tierreichs gefunden. Anders bei Baudelaire. Sein Traum nach solchem Dasein weist die Gemeinschaft mit jeder irdischen Natur zurück und hängt nur den Wolken nach, im ersten Stück des spleen de Paris ist es ausgesprochen. Viele Gedichte nehmen Wolkenmotive auf. Die Entweihung der Wolken (La Béatrice) ist die furchtbarste.

      Eine verborgene Ähnlichkeit der Fleurs du mal mit Dante besteht in dem Nachdruck, mit welchem das Buch die Umrisse eines schöpferischen Daseins zeichnet. Es ist kein Gedichtbuch zu denken, in dem der Poet weniger eitel und keines, in dem er kraftvoller in Erscheinung träte. Die


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