Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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veranlaßt. Für Fichte beruhte die Möglichkeit der Anschauung des Ich auf der Möglichkeit, in der absoluten Thesis die Reflexion einzubannen und zu fixieren. Eben darum wurde die Anschauung von Schlegel verworfen. Mit Beziehung auf das Ich spricht er von der großen »Schwierigkeit, ja … Unmöglichkeit eines sicheren Ergreifens desselben in der Anschauung«,42 und er stellt »die Unrichtigkeit jeder Ansicht« fest, »wo die fixierte Selbstanschauung als Quelle der Erkenntnis aufgestellt wird«.43 »Vielleicht liegt es gerade in dem Gange, den er44 wählte, von der Selbstanschauung aus …, daß er am Ende den Realismus45 doch nicht ganz überwältigen konnte.«46 »Anschauen können wir uns nicht, das Ich verschwindet uns dabei immer. Denken können wir uns aber freilich. Wir erscheinen uns dann zu unserm Erstaunen unendlich, da wir uns doch im gewöhnlichen Leben so durchaus endlich fühlen.«47 Die Reflexion ist kein Anschauen, sondern ein absolut systematisches Denken, ein Begreifen. Dennoch ist für Schlegel selbstverständlich die Unmittelbarkeit der Erkenntnis zu retten; dazu bedarf es aber eines Bruches mit der Kantischen Lehre, nach welcher einzig und allein Anschauungen unmittelbare Erkenntnis gewähren. An ihr hielt im ganzen auch Fichte noch fest;48 für ihn ergibt sich freilich die paradoxe Konsequenz, daß im »gemeinen Bewußtsein … nur Begriffe …, keineswegs Anschauungen als solche« vorkommen; »unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung … zustande gebracht wird«.49 Dagegen Schlegel: »denken … bloß als mittelbar und nur das Anschauen als unmittelbar zu nehmen, ist ein ganz willkürliches Verfahren derjenigen Philosophen, die eine intellektuelle Anschauung aufstellen. Das eigentlich Unmittelbare ist zwar das Gefühl, es gibt aber auch doch ein unmittelbares Denken«.50

      Mit diesem unmittelbaren Denken der Reflexion dringen die Romantiker in das Absolute ein. Dort suchen und finden sie etwas ganz anderes als Fichte. Zwar ist für sie die Reflexion im Gegensatz zu Fichte eine erfüllte, aber doch, wenigstens zu der Zeit, von der unten zu handeln sein wird, keine mit dem gewöhnlichen, keine mit dem Gehalt der Wissenschaft erfüllte Methode. Was in der Wissenschaftslehre abgeleitet werden soll, das ist und bleibt das Weltbild der positiven Wissenschaften. Die Frühromantiker lösen dieses Weltbild dank ihrer Methode völlig ins Absolute auf, und in diesem suchen sie einen andern Inhalt als den der Wissenschaft. Somit ergibt sich, nachdem die Frage nach der Konstruktion des Schemas beantwortet ist, die Frage nach dessen Ausfüllung, nach der Darstellung der Methode die des Systems. Das System der Vorlesungen, der einzigen Quelle für den Zusammenhang von Schlegels philosophischen Ansichten, ist ein anderes als das der Athenäumszeit, um die es sich letzten Endes hier handelt. Dennoch bleibt, wie in der Einleitung dargelegt wurde, die Analysis der Windischmannschen Vorlesungen für das Verständnis von Schlegels Kunstphilosophie um 1800 eine notwendige Bedingung. Sie hat zu zeigen, welche erkenntnistheoretischen Momente aus der Zeit um 1800 Schlegel vier bis sechs Jahre später in ihnen zugrunde legte, um sie einzig und allein auf diese Weise der Überlieferung anzuvertrauen, und welche neuen Elemente, die für sein früheres Denken noch nicht in Betracht gekommen sein können, in ihnen hinzutraten. Überall ist der Standpunkt dieser Vorlesungen ein Kompromiß zwischen dem ideenreichen Denken des jugendlichen Schlegel und der Restaurationsphilosophie des späteren Sekretärs von Metternich, die sich ankündigt. Im Gebiet des praktischen und ästhetischen Denkens ist der frühere Gedankenkreis schon nahezu verfallen, während er im Theoretischen noch lebt. Die Scheidung des Neuen vom Alten ist unschwer zu vollziehen. – Die folgende Betrachtung des Systems der Vorlesungen hat sowohl das zu belegen, was über die methodische Bedeutung des Reflexionsbegriffs ausgeführt wurde, als auch einige für seine Jugendzeit wichtige Einzelheiten dieses Systems darzustellen, sowie endlich das Charakteristische seiner früheren Absicht gegenüber der seiner mittleren Jahre zu bezeichnen.

      Voranzustellen ist die zweite Aufgabe: Wie dachte sich Friedrich Schlegel die volle Unendlichkeit des Absoluten? In den Vorlesungen heißt es: »Es will uns keineswegs einleuchten, daß wir … unendlich sein sollen, und zugleich müssen wir uns doch gestehen, daß das Ich als der Behälter von allem durchaus nicht anders als unendlich sein könne … Wenn wir uns beim Nachdenken nicht leugnen können, daß alles in uns ist, so können wir uns das Gefühl der Beschränktheit … nicht anders erklären, als indem wir annehmen, daß wir nur ein Stück von uns selbst sind. Dies führte geradeswegs zu einem Glauben an ein Du, nicht als ein (wie im Leben) dem Ich Entgegengesetztes, Ähnliches …, sondern überhaupt als ein Gegen-Ich, und hiermit verbindet sich denn notwendig der Glaube an ein Ur-Ich«.51 Dieses Ur-Ich ist das Absolutum, der Inbegriff der unendlichen erfüllten Reflexion. Das Erfülltsein der Reflexion ist, wie schon bemerkt wurde, ein entscheidender Unterschied des Schlegelschen Reflexionsbegriffs vom Fichteschen; es ist ganz deutlich gegen Fichte gesagt: »Wo der Gedanke des Ichs nicht eins ist mit dem Begriffe der Welt, kann man sagen, daß dies reine Denken des Gedankens des Ichs nur zu einem ewigen Sich-Selbst-Abspiegeln, zu einer unendlichen Reihe von Spiegelbildern führt, die immer nur dasselbe und nichts Neues enthalten«.52. Dem gleichen frühromantischen Gedankenkreise gehört Schleiermachers treffende Formulierung des Gedankens an: »Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe; darum ist jede Reflexion unendlich«.53 Auch Novalis nahm den lebhaftesten Anteil an dieser Idee, und zwar gerade von Seiten ihres Gegensatzes zu der Fichteschen. »Du bist erwählt, gegen Fichtes Magie die aufstrebenden Selbstdenker zu schützen«,54, schreibt er schon 1797 an Friedrich Schlegel. Was er selbst neben vielem andern an Fichte auszusetzen hatte, ist in den folgenden Worten angedeutet: »Sollte Fichte in dem Satze: das Ich kann sich nicht selbst begrenzen, inkonsequent … sein? Die Möglichkeit der Selbstbegrenzung ist die Möglichkeit aller Synthesis, alles Wunders. Und ein Wunder hat die Welt angefangen«.55 Bekanntlich begrenzt sich aber bei Fichte das Ich selbst durch das Nicht-Ich – allein unbewußt (s. o. p.23). Diese Bemerkung von Novalis kann also ebenso wie die Forderung eines echten »Fichtism, ohne Anstoß, ohne Nicht-Ich in seinem Sinn«56 nur meinen, daß die Begrenzung des Ich keine unbewußte, sondern nur eine bewußte und damit relative sein dürfe. Hierin liegt in der Tat die Tendenz des frühromantischen Einwandes, wie er noch in den Windischmannschen Vorlesungen zu erkennen ist, wo es heißt: »Das Ur-Ich, das alles Umfassende im Ur-Ich ist alles; außer ihm ist nichts; wir können nichts annehmen als Ichheit. Die Beschränktheit ist nicht ein bloß matter Widerschein des Ichs, sondern ein reelles Ich; kein Nicht-Ich, sondern ein Gegen-Ich, ein Du57 – Alles ist nur ein Teil der unendlichen Ichheit«.58 Oder mit deutlicherer Beziehung auf die Reflexion: »Das Vermögen der in sich zurückgehenden Tätigkeit, die Fähigkeit, das Ich des Ichs zu sein, ist das Denken. Dies Denken hat keinen anderen Gegenstand als uns selbst«.59 Die Romantiker perhorreszieren Beschränkung durchs Unbewußte, es soll keine andere als relative Beschränkung und diese in der bewußten Reflexion selbst geben. In den Vorlesungen gibt Schlegel auch in dieser Frage eine im Verhältnis zu seinem früheren Standpunkt abgeschwächte Kompromißlösung: die Beschränkung der Reflexion erfolgt nicht in dieser selbst, ist also nicht eigentlich relativ, sondern sie wird bewirkt durch den bewußten Willen. Die »Fähigkeit, die Reflexion aufzuhalten und die Anschauung beliebig auf irgendeinen bestimmten Gegenstand zu richten«,60 nennt Schlegel Wille.

      Schlegels Begriff des Absolutums ist mit dem Vorstehenden Fichte gegenüber hinreichend bestimmt. An sich selbst würde man dieses Absolute am richtigsten als das Reflexionsmedium61 bezeichnen. Mit diesem Terminus ist das Ganze von Schlegels theoretischer Philosophie zusammenfassend zu bezeichnen und wird unter diesem Ausdruck nicht selten im folgenden noch zu zitieren sein. Es ist daher notwendig, ihn noch genauer zu erklären und zu sichern. Die Reflexion konstituiert das Absolute, und sie konstituiert es als ein Medium. Auf den stetigen gleichförmigen Zusammenhang im Absolutum oder im System, die man beide als den Zusammenhang des Wirklichen nicht in seiner Substanz (welche überall dieselbe ist), sondern in den Graden seiner deutlichen Entfaltung zu interpretieren hat (s. o. p.31 f.), hat Schlegel in seinen Darlegungen den größten Wert gelegt, wenn er auch den Ausdruck Medium selbst nicht hat. So sagt er: »der Wille … ist das Vermögen des Ichs, sich selbst62 zu vermehren oder zu vermindern bis zu einem absoluten Maximum oder Minimum; da dies frei ist, so hat es keine Grenzen«.63 Ein sehr deutliches Bild gibt er für dies Verhältnis: »Das in sich Zurückgehen, das Ich des Ichs ist das Potenzieren; das aus sich Herausgehen64 das Wurzelausziehen der Mathematik«.65 Ganz analog hat Novalis diese Bewegung im Reflexionsmedium beschrieben. In so enger


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