Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe sind … Romantische Philosophie … Wechselerhöhung und Erniedrigung«.66 Um sich über die mediale Natur des Absoluten, das er im Sinne hat, vollkommen deutlich auszusprechen, nimmt Schlegel einen Vergleich vom Lichte her: »der Gedanke des Ichs … ist … als das innere Licht aller Gedanken zu betrachten. Alle Gedanken sind nur gebrochene Farbenbilder dieses inneren Lichtes. In jedem Gedanken ist das Ich das verborgene Licht, in jedem findet man sich; man denkt immer nur sich oder das Ich, freilich nicht das gemeine, abgeleitete Sich, … sondern in seiner höheren Bedeutung«.67 Mit Begeisterung hat Novalis denselben Gedanken von der Medialität des Absoluten in seinen Schriften geradezu verkündigt. Er hat für die Einheit von Reflexion und Medialität den vorzüglichen Ausdruck »Selbstdurchdringung« geprägt und einen solchen Zustand des Geistes immer wieder vorausgesagt und gefordert. »Die Möglichkeit aller Philosophie … daß sich die Intelligenz durch Selbstberührung eine selbstgesetzmäßige Bewegung, d. i. eine eigene Form der Tätigkeit gibt«,68 also die Reflexion, ist zugleich »der Anfang einer wahrhaften Selbstdurchdringung des Geistes, die nie endigt«.69 Das »Chaos, das sich selbst durchdrang«,70 nennt er die künftige Welt. »Das erste Genie, das sich selbst durchdrang, fand hier den typischen Keim einer unermeßlichen Welt. Es machte eine Entdeckung, die die merkwürdigste in der Weltgeschichte sein mußte, denn es beginnt damit eine ganz neue Epoche der Menschheit – und auf dieser Stufe wird erst wahre Geschichte aller Art möglich, denn der Weg, der bisher zurückgelegt wurde, macht nun ein eignes, durchaus erklärbares Ganze aus.«71

      Die dargestellten theoretischen Grundanschauungen im System der Windischmannschen Vorlesungen differieren in einem entscheidenden Punkte von denjenigen Schlegels in der Athenäumszeit. Mit anderen Worten: während im Ganzen System und Methode dieses späteren Schlegelschen Denkens erkenntnistheoretische Motive seines früheren Denkens erstmalig niederlegen und aufbewahren, weichen sie in einer Beziehung doch durchaus von dem früheren Gedankenkreise ab. Die Möglichkeit dieser Abweichung bei der größten Übereinstimmung im übrigen liegt in einer bestimmten Eigentümlichkeit im Reflexionssystem selbst. Bei Fichte findet sie sich folgendermaßen charakterisiert: »Das Ich geht zurück in sich selbst, wird behauptet. Ist es denn also nicht schon vor diesem Zurückgehen und unabhängig von demselben da für sich; muß es nicht für sich schon da sein, um sich zum Ziele eines Handelns machen zu können …? … keineswegs. Erst durch diesen Akt … durch ein Handeln auf ein Handeln selbst, welchem bestimmten Handeln kein Handeln überhaupt vorhergeht, wird das Ich ursprünglich für sich selbst. Nur für den Philosophen ist es vorher da als Faktum, weil dieser die ganze Erfahrung72 schon gemacht hat«73. Windelband formuliert in seiner Darstellung von Fichtes Philosophie diesen Gedanken besonders klar: »Wenn man sonst die Tätigkeiten als etwas ansieht, was ein Sein voraussetzt, so ist für Fichte alles Sein nur ein Produkt des ursprünglichen Tuns. Die Funktion ohne ein funktionierendes Sein ist für ihn das metaphysische Urprinzip … Der denkende Geist ›ist‹ nicht erst und kommt dann hinterher durch irgendwelche Veranlassungen zum Selbstbewußtsein, sondern er kommt erst durch den unableitbaren, unerklärlichen Akt des Selbstbewußtseins zustande«.74 Wenn Friedrich Schlegel im »Gespräch über die Poesie« von 1800 das Gleiche meint75 mit den Worten, der Idealismus sei »gleichsam wie aus nichts entstanden«,76 so darf dieser Gedankengang hier mit Rücksicht auf die ganze vorangehende Darstellung in dem Satz zusammengefaßt werden, daß die Reflexion logisch das erste sei. Denn weil sie die Form des Denkens ist, ist dieses logisch ohne sie, obgleich sie auf dasselbe reflektiert, nicht möglich. Erst mit der Reflexion entspringt das Denken, auf das reflektiert wird. Darum kann man sagen, jede einfache Reflexion entspringe absolut aus einem Indifferenzpunkt. Welche metaphysische Qualität man diesem Indifferenzpunkt der Reflexion zuschreiben möchte, steht frei. An dieser Stelle weichen die beiden fraglichen Gedankenkreise Schlegels von einander ab. Die Windischmannschen Vorlesungen bestimmen diesen Mittelpunkt, das Absolute, im Anschluß an Fichte als Ich. In den Schlegelschen Schriften aus der Athenäumszeit spielt dieser Begriff eine geringe Rolle, eine geringere nicht nur als bei Fichte, sondern auch als bei Novalis. Im frühromantischen Sinne ist der Mittelpunkt der Reflexion die Kunst, nicht das Ich. Die Grundbestimmungen jenes Systems, das Schlegel in den Vorlesungen als System des absoluten Ich vorlegt, haben in seinen früheren Gedankengängen ihren Gegenstand an der Kunst. Im also verändert gedachten Absolutum wirkt eine andere Reflexion. Die romantische Kunstanschauung beruht darauf, daß im Denken des Denkens kein Ich-Bewußtsein verstanden wird. Die Ich-freie Reflexion ist eine Reflexion im Absolutum der Kunst. Der Untersuchung dieses Absolutums nach den hier dargelegten Prinzipien ist der zweite Teil gewidmet. Er behandelt die Kunstkritik als die Reflexion im Medium der Kunst. – Das Schema der Reflexion ist oben nicht an dem Begriffe des Ich, sondern an dem des Denkens klargelegt worden, weil der erste in der hier interessierenden Epoche Schlegels keine Rolle spielt. Das Denken des Denkens dagegen, als das Urschema aller Reflexion, liegt auch Schlegels Konzeption der Kritik zugrunde. Dieses hat schon Fichte in entscheidender Weise als Form bestimmt. Er selbst interpretierte diese Form als Ich, als die Urzelle des intellektualen Begriffs der Welt, Friedrich Schlegel, der Romantiker, hat sie um 1800 als ästhetische Form interpretiert, als die Urzelle der Idee der Kunst.

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      Gegenüber dem Versuch, im Begriff des Reflexionsmediums dem Denken der Frühromantiker ein methodisches Gradnetz unterzulegen, in das sich ihre Problemlösungen wie ihre systematischen Positionen überhaupt einzeichnen ließen, werden sich zwei Fragen erheben. Die erste – sie ist in skeptischem oder gar verneinend-rhetorischem Ton in der Literatur immer wieder gestellt worden – lautet, ob denn die Romantiker überhaupt systematisch gedacht oder in ihrem Denken systematische Interessen verfolgt hätten. Die zweite, warum diese systematischen Grundgedanken, ihr Dasein zugegeben, in so auffallend dunkler, ja mystifizierender Rede sich niedergelegt fänden. Angesichts der ersten Frage gilt es zunächst, genau zu bestimmen, was hier bewiesen werden soll. Dabei darf man es sich nicht so leicht machen, mit Friedrich Schlegel vom »Geist des Systems, der etwas ganz anderes ist als ein System,«77 zu sprechen, aber diese Worte führen doch auf das Entscheidende. Es soll hier in der Tat nichts bewiesen werden, was durch den geistigen Augenschein widerlegt werden müßte, wie daß Schlegel und Novalis um 1800 ein System gehabt hätten, sei es ein gemeinsames, sei es ein jeder sein eigenes. Erweislich aber gegenüber allen Anzweiflungen ist, daß ihr Denken durch systematische Tendenzen und Zusammenhänge, die allerdings in ihnen selbst nur teilweise zur Klarheit und Reife gekommen sind, bestimmt wurde; oder, um es in der exaktesten und unanfechtbarsten Form auszudrücken: daß ihr Denken sich auf systematische Gedankengänge beziehen läßt, daß es in der Tat in ein richtig gewähltes Koordinatensystem sich eintragen läßt, gleichviel, ob die Romantiker selbst dieses System vollständig angegeben haben oder nicht. Für die vorliegende, nicht pragmatisch-philosophiegeschichtliche, sondern problemgeschichtliche Aufgabe kann es durchaus bei dem Erweis dieser eingeschränkten Behauptung sein Bewenden haben. Jene systematische Beziehbarkeit erweisen, heißt aber nichts anderes, als das Recht und die Möglichkeit einer systematischen Kommentierung der frühromantischen Gedankengänge durch die Tat erweisen. Dieses Recht ist angesichts der außerordentlichen Schwierigkeiten, vor die sich die geschichtliche Auffassung der Romantik gestellt sieht, in einer kürzlich veröffentlichten Schrift (Elkuß: Zur Beurteilung der Romantik und zur Kritik ihrer Erforschung) gerade von einem Literarhistoriker verfochten worden, also vom Standpunkt einer Wissenschaft aus, die eben in dieser Frage noch sehr viel skrupulöser vorgehen muß, als diese problemgeschichtliche Untersuchung. Elkuß vertritt die Analyse der romantischen Schriften auf Grund systematisch orientierter Interpretation u. a. mit folgenden Sätzen: »Diesem78 Sachverhalt kann man sich von der Theologie her nähern, von der Religionsgeschichte, vom geltenden Recht, vom geschichtlichen Denken der Gegenwart: immer wird die Situation für die Erkenntnis … einer Gedankenbildung günstiger sein, als wenn man an ihn in einem verhängnisvollen Sinne des Wortes voraussetzungslos herantritt, den materiellen Kern der in den frühromantischen Theorien aufgeworfenen Fragen nicht mehr kontrollieren kann, kurz sie als ›Literatur‹ behandelt, in der ja oft die Formel bis zu einem gewissen Grade Selbstzweck werden kann«.79 »Eine hier80einsetzende Analyse


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