Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas Suchanek

Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King - Andreas Suchanek


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mal, hier.« Randy deutete auf den Stapel auf dem Schreibtisch.

      Danielle nahm eines der gelblichen Papiere und hob es zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe, als wäre es ein ekliges Insekt. »Ein Zeitungsausschnitt vom Herbst 1984. Es geht um diese getötete Schülerin, Marietta King.«

      Randy studierte ein Blatt Papier. »Alles hier dreht sich nur um dieses Thema.«

      »Ach du Scheiße«, entfuhr es Olivia.

      Alle Köpfe ruckten in die Höhe.

      Sie hatte einen Vorhang zur Seite gezogen. Dahinter hing ein gewaltiges Whiteboard an der Wand, an das Polaroids geklebt worden waren. Zwischen den vergilbten Fotografien gingen Striche hin und her, als hätte jemand ein riesiges Spinnennetz gewoben. In der Mitte hing das Bild eines braunhaarigen, sechzehnjährigen Mädchens, das mit traurigen Augen in das Aufnahmeobjektiv schaute.

      »Er hat versucht, den Mord aufzuklären«, begriff Mason. »Da sind Bilder von anderen Jugendlichen aus der Zeit, aber auch Erwachsenen. Und hier sind ein paar neuere. Gott sehen die schrecklich aus, hatten die damals alle solche Haare und Schnurrbärte?«

      »Schlechte Technik«, sagte Olivia. Sie studierte die Fotos mit Kennerblick. »Fotografie ist nicht seine Stärke gewesen.«

      Randy wirkte erschüttert. »Dreißig Jahre. Er hat dreißig Jahre lang nach dem Mörder gesucht. Sie muss ihm sehr wichtig gewesen sein.«

      Danielle setzte sich auf den Rand des Schreibtisches und schlug die Beine übereinander. »Vielleicht wollte er auch einfach nur einen Bestseller schreiben. Sooo erfolgreich waren seine Bücher bisher ja nicht.« Auf einen bösen Blick von Olivia fügte sie schnell hinzu: »Ich meine ja nur. Dreißig Jahre lang ’nem Mörder nachzujagen, das ist so …«

      »… bemerkenswert«, sagte Randy. »Ich wette, die ganzen Aktenschränke sind voll mit Informationen. Er hat sein Leben dieser Aufgabe gewidmet.«

      Für einen Moment herrschte Stille.

      »Traurigerweise hat er es nicht geschafft«, bemerkte Mason. »Dreißig Jahre ohne ein Ergebnis.«

      Allein der Gedanke machte ihn traurig.

      »Aber warum versteckt er all das Zeug hier unten?«, überlegte Olivia. »Ich habe bisher keinen Internet- oder Telefonanschluss gefunden.« Sie zog einige Schubladen der Aktenschränke auf. »All das sind Fotokopien, keine Dateien. Es muss ein riesiger Aufwand gewesen sein, jede Akte zu kopieren, all das zusammenzutragen.«

      »Es kann weder per Internet gestohlen werden noch gelöscht«, sagte Randy.

      Olivia runzelte die Stirn und zog ihr Handy hervor. »Stimmt. Hier gibt es definitiv kein Netz. Tolle Sicherheit. Damit ist der Ausflug in die Vergangenheit für mich erst einmal vorbei. Ich habe alle Fotos, die ich brauche, und wenn ich heftig aufs Gas drücke, wird mir der Redax auch nicht den Kopf abreißen.«

      »Du willst in die Redaktion? Jetzt?«, fragte Randy. »Aber das alles hier …«

      »Ist später auch noch da.« Olivia deutete auf ihre Kamera. »Mein Redakteur allerdings will Feierabend machen. Und vorher braucht er die Bilder. Andernfalls wird er nämlich einfach welche aus dem Archiv hervorkramen und damit fällt meine Gage weg. Sorry, wenn ich hier etwas pragmatisch bin, aber ich brauche die Kohle.«

      »Sorry, das sollte nicht beleidigend sein oder so. Ich würde es mir nur gerne noch genauer ansehen«, sagte Randy. »Ich meine, das ist doch einfach genial.« Er strahlte über das ganze Gesicht. »Ein geheimer Raum, alte Akten … Wie wär‘s: Du fährst in die Redaktion, holst uns danach hier ab und dann kümmern wir uns um Thompkins.«

      Olivia überlegte einen Moment, dann zuckte sie die Schultern. »Von mir aus.«

      »Ich komme mit dir mit«, sagte Mason. »Wenn der Dreckskerl sich bewegt, während wir auf Achse sind, will ich das sofort wissen.«

      Er warf einen fragenden Blick zu Danielle.

      »Ich bleibe hier«, erklärte sie. »Während unser Nerd hier in staubigen Unterlagen wühlt, schaue ich mir das Haus an.«

      »Von mir aus.«

      Olivia verließ den geheimen Raum mit Mason im Schlepptau.

      *

      Es dauerte nur ein paar Minuten, dann schlief Danielle auch schon tief und fest. Sie war in einen der Ohrensessel gesunken, hatte noch einmal an ihrem Handy gefummelt, dann aber aufgegeben.

      Randy musste unweigerlich lächeln, als sie leichte Grunzlaute ausstieß und zu schnarchen begann. Im Schlaf wirkte sie gar nicht mehr so zickig.

      Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung.

      Es war ungewohnt, ohne Technik zu arbeiten, sich durch altes Papier zu wühlen und nicht einfach einen Begriff in die Suchmaschine einzugeben.

      Randy versuchte, den alten Rechner einzuschalten, wartete jedoch vergeblich darauf, dass ein Cursor auf dem Monitor aufblinkte. Eine derart alte Maschine war heute kaum noch zu gebrauchen. Trotzdem interessierte es ihn, was Billy Tarnowski darauf gespeichert hatte. Vermutlich reine Textdateien. Wenn er den Charakter des Mannes richtig einschätzte, hatte er sie aber auch alle ausgedruckt. Jemand, der sich dreißig Jahre einem einzigen Ziel verschrieb, würde nicht das Risiko eingehen, auf einem Computer gespeicherte Daten zu verlieren, wenn dieser aufgrund von Altersmüdigkeit schnell und leise den Betrieb einstellte.

      Wo fange ich also an?

      Randy entschied sich für das Offensichtliche: die Dokumente auf dem Schreibtisch. Da waren Zeitungsartikel, Notizzettel, handgeschriebene Zeilen, die sich lasen wie Tagebucheinträge, und alte Polaroids. Auf das Band am unteren Ende hatte jemand mit einem schwarzen Marker Namen, Orte und Zeiten geschrieben.

      Auf einem der Bilder war die alte Schule abgebildet, in der vor dreißig Jahren der berühmte Marietta-King-Mord geschehen war. Ein Erdbeben hatte große Teile des Baus am Stadtrand zum Einsturz gebracht, die heutigen Räumlichkeiten lagen deshalb in der Nähe des Stadtzentrums.

      Es war ein seltsames Gefühl, durch die Oberfläche eines vergilbten Fotos in die Vergangenheit zu blicken. Das Bild war am Tag aufgenommen worden. Am unteren Rand waren die Köpfe von Schülern zu sehen, die auf das Schultor zustürmten, es musste gerade Mittag sein. Genau in der Mitte war ein Fenster zu sehen, hinter dem eine Silhouette zu erkennen war. Am unteren Rand hatte jemand notiert: Der Graf?

      »Was schaust du dir da an?«, erklang es plötzlich laut neben seinem rechten Ohr.

      Randy zuckte zusammen. »Das ist nicht lustig!«

      »Finde ich schon.« Danielle kicherte. »Ich geh mal nach oben. Meine Mum macht sich bestimmt langsam Sorgen. Sie mag es nicht so, wenn ich lange nichts von mir hören lasse. Vermutlich hab ich schon zehn SMS. Du kommst hier ja ganz gut alleine zurecht, Nerd.« Sie zwinkerte und tänzelte davon.

      Bevor Randy eine passende Erwiderung eingefallen war, war sie auch schon verschwunden.

      Wenigstens hatte er jetzt Ruhe.

      Er studierte weiter die Polaroids und vergaß alles um sich herum.

      *

      Danielle legte den Schalter um und beobachtete fasziniert, wie die Standuhr lautlos zurück an ihren Platz glitt. Der Mechanismus an der Rückseite der Standuhr war ein Pendant zu jenem, der in die Intarsien eingearbeitet war. Damit war es ein Leichtes, den Ausgang von beiden Seiten zu öffnen und zu schließen. Ein Blick auf ihr Handydisplay und sie atmete auf.

      Empfang.

      Nicht unbedingt viel, aber genug, um eine kurze Nachricht an ihre Mum zu schicken. Sollte die sich nämlich Sorgen machen, würde sie Dad benachrichtigen. Danielle wollte an dieser Front keine schlafenden Hunde wecken. Allein der Gedanke an eine Schimpftirade ihres alten Herrn jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

      Den Blick


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