Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Fritz Bauer

Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns - Fritz Bauer


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Zusammenhang herstellte, der von Luther zu Hitler führte, und kann doch anerkennen, dass sich der Erfolg des Nationalsozialismus nicht allein mit den äußeren Bedingungen erklären lässt. Fritz Bauer bot seinen Zuhörern und Lesern eine andere Erklärung, die Wurzeln des nationalsozialistischen Handelns reichten für ihn tiefer. Weder im Vulgärdarwinismus der nationalsozialistischen Rassenlehre noch in der kriminellen Energie der nationalsozialistischen Führung sah er etwas spezifisch Deutsches, sondern in der inneren Disposition zum Gehorsam und dem damit verbundenen Verzicht auf Kritik und Individualität. Die Geschichtswissenschaft steht solchen kollektiven Zuschreibungen heute kritisch gegenüber. Doch muss Bauers Text darum für überholt gelten? Bereits die zeitgenössischen Kritiker missverstanden Fritz Bauer gründlich, wenn sie ihm vorhielten, er würde den Nationalsozialismus als schicksalhaftes und damit historisch zwangsläufiges Phänomen betrachten. Im Gegensatz zu äußeren Faktoren, lassen sich Haltungen und Einstellungen verändern, lässt sich eine Gesellschaft durch Erziehung zum Widerspruch und durch Kritikfähigkeit gegen Ideologie und Populismus immunisieren. Davon war Fritz Bauer Zeit seines Lebens überzeugt. Auf dieser Überzeugung beruhte sein unermüdlicher Wille zur Aufklärung. Bauers Ansichten würden heute kaum mehr auf Widerstand oder auch nur Widerspruch treffen. Die Debatte um den richtigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ist gesellschaftlich weitgehend eingehegt, der gesellschaftspolitische Konsens wird nur noch vom politischen Rand her in Frage gestellt. Dies zeugt einerseits von einem fundamentalen Wandel der politischen Kultur, andererseits von einer beginnenden formelhaften Erstarrung dieser Kultur. Was Personen wie Fritz Bauer einstmals gegen politische Widerstände erstreiten mussten, stellt für viele heute nur noch ein formelhaft vorgebrachtes Bekenntnis dar. Dahinter steht am Ende vielleicht oft der gleiche bequeme Gehorsam, die Neigung sich wirtschaftliche und soziale Vorteile zu sichern, wie sie Bauer im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus kritisiert hatte. Es besteht somit kein Grund, Bauers Text lediglich als Beitrag zu einer längst abgeschlossenen gesellschaftlichen Debatte zu betrachten.

      1 Vgl. Wojak, Irmtrud: Fritz Bauer, München 2011, S. 36.

      2 Landesjugendring Rheinland-Pfalz: Information Nr. 2, 1962, Sonderausgabe, Juni 1962, in: Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK), 910 Nr.15005.

      3 Schreiben Landesjugendring Rheinland-Pfalz an Kultusministerium Rheinland-Pfalz vom 5.1.1962, in: LHAK, 910 Nr. 15005.

      4 Gutachten Professor Universität, S. 4, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      5 Gutachten Oberstudiendirektor, S. 1, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      6 Ebd. S. 3.

      7 Gutachten Studienrat, S. 2, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      8 Gutachten Oberstudiendirektor S. 3, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      9 Gutachten Professor Universität, S. 6, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      10 Gutachten Studienrat, S. 2, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      11 Gutachten Oberstudiendirektor, S. 4, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      12 Gutachten (ohne Name), S. 5, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      13 Gutachten Berufsschuldirektor, S. 1, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      14 Schreiben Kultusministerium an Landesjugendring Rheinland-Pfalz vom 2.4.1962, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      15 Schreiben Landesjugendring Rheinland-Pfalz an Kultusministerium Rheinland-Pfalz vom 23.5.1962, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      16 Schreiben Kultusministerium an Landesjugendring vom 1.6.1962, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      17 Entscheidung des Landesjugendring Rheinland-Pfalz vom 15.6.62, in Informationen Nr. 2, 1962, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      18 Ebd.

      19 Große Anfrage der Fraktion der SPD Nr. 495, betrifft Verhalten der Landesregierung gegenüber dem Landesjugendring Rheinland-Pfalz vom 18. Juni 1962, in: LHAK, 663,003 Nr.818

      20 Ebd.

      21 »Eine ausschließlich pädagogische Frage«, Stellungnahme des Kulturministeriums, in: Staatsanzeiger vom 24.6.1962, S. 4.

      22 Brief Landesjugendring Rheinland-Pfalz (Geschäftsführung) an CDU-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz (Vorsitzender), Schreiben vom 4.7.1962, LHAK, in 663,003 Nr. 818.

      23 Landesjugendring antwortet dem Kultusministerium, Stellungnahme des Landesjugendring Rheinland-Pfalz zu den Ausführungen Minister Orths im Staatsanzeiger, ohne Datum, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      24 61. Sitzung S. 1941 Spalte 1 oben (bzw. entsprechende Stelle im Abdruck der Debatte)

      25 Brief Fraktionsvorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz an Landesjugendring Rheinland-Pfalz vom 25.6.1962, in: LHAK, 663,003 Nr.818.

      26 Brief Fraktionsgeschäftsführer der CDU Rheinland-Pfalz an Landesjugendring Rheinland-Pfalz vom 11. Juli 1962, in: LHAK, 663,003 Nr. 818.

      27 Gutachten Berufsschuldirektor, S. 1, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      28 Bauer, Fritz: »Ein Jurist über Friedrich und Bismarck« [»Im Mainzer Kultusministerium gilt ein merkwürdiges Geschichtsbild. Des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer Entgegnung auf Vorwürfe des rheinland-pfälzischen Ministers Orth«], in: Frankfurter Rundschau, Nr. 162, 14.7.1962.

      29 Schreiben Landesjugendring Rheinland-Pfalz an Ministerium für Unterricht u Kultur Rheinland-Pfalz vom 5.9.1962, in: LHAK, 910 Nr.15005, vgl. auch Frankfurter Rundschau: Mainz will mit »offenem Visier« Bauers Schrift erneut diskutieren, Frankfurter Rundschau vom 11.9.1962, S. 4.

      30 Schreiben Kultusminister Orth an Landesjugendring Rheinland-Pfalz vom 14.9.1962, in LHAK, 910 Nr. 15005.

      31 So der Vorsitzende des Landesjugendrings Manfred Lambertz auf der Vollversammlung, zit. nach »Landesjugendring kritisiert Minister Orth«, Allgemeine Zeitung Mainz, Nr. 225 vom 27.9.1962.

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