Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Fritz Bauer

Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns - Fritz Bauer


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Stellungnahme zur Dr. Bauer-Broschüre, in: LHAK, 910.Nr.15005.

      33 Vgl. u.a. Bauer, Fritz: Nach den Wurzeln des Bösen fragen, in: Die Tat, 7.3.1964, Nr. 10, S. 12–19

      I.

      Die Probleme, die die Bewältigung unserer Vergangenheit aufwirft, sind, wie ich meinen möchte, in Deutschland zu selten und oft auch unzulänglich behandelt worden, wenn auch der Begriff der Vergangenheitsbewältigung zum deutschen Sprachschatz gehört. Freilich setzen viele dabei das Wort in Anführungszeichen; einige halten die Aufgabe für unlösbar, andere fordern, man solle »diese Dinge« doch endlich ruhen lassen.

      Mit der Aufzählung zeithistorischer Fakten ist es nicht getan, wie wichtig die Beschreibung des geschichtlichen Ablaufs der Ereignisse in den letzten Generationen auch ist. Die Ursachen dieser Ereignisse aber können ohne Psychologie, Psychoanalyse und Soziologie, auch Kriminologie nicht geklärt werden. Fremde Länder haben sich gründlicher mit dem Fragenkomplex beschäftigt.

      Nach dem Kriege haben es z. B. die skandinavischen Länder Norwegen und Dänemark, die von den Deutschen besetzt waren, unternommen zu untersuchen, wie es möglich war, daß während der Okkupation einzelne Norweger und Dänen zu »Quislingen«, Kollaborateuren mit der deutschen Besatzung, wurden und mit den Vorstellungen des Nationalsozialismus sympathisierten. Sie haben gefragt und wissenschaftlich zu beantworten versucht, was die sozialen, psychischen und physischen Bedingungen der Menschen waren, die trotz der demokratischen eigenen Umwelt den autoritären Parolen einer militärischen Fremdherrschaft folgten und an kriminellen Handlungen der Besatzungsmacht teilnahmen.

      In Amerika wurde während des Krieges und danach mit den Werkzeugen der Soziologie, Sozialpsychologie und Psychoanalyse der Frage nach den Entstehungsgründen nazistischen Denkens und Handelns nachgegangen. Die Ergebnisse sollen hier nicht ausgeführt werden. Aber die Fragestellung interessiert, weil wir in Deutschland dem nichts zur Seite zu stellen haben.

      Wir haben noch nicht einmal die KZ-Mörder, die kleinen Eichmanns, auf ihren Geisteszustand untersucht oder sie getestet. Wir wissen nicht, ob sie geisteskrank oder normal sind. Obwohl eine Politik der Vorbeugung ohne Kenntnis der Krankheitsherde nicht möglich ist, war in Deutschland die Angst und Scheu vor dem »Erkenne dich selbst« vorherrschend. Man hat die Fragen und damit die vielleicht unangenehmen, aber nützlichen Antworten gern mit der billigen und wenig überzeugungskräftigen Begründung beiseite geschoben, das harmlose und nichts ahnende deutsche Volk mit seinen 70 Millionen sei sozusagen über Nacht einigen abgefeimten Schurken zum Opfer gefallen und von ihnen mit List, Tücke, Propaganda und Gewalt überwältigt ­worden.

      II.

      Es gibt ein bekanntes Theaterstück, das in der ganzen Welt, auch in Deutschland, viel gespielt wird und das auf die Frage Antwort geben kann, was 1933 und später in Deutschland geschehen ist. Ich denke an das Drama »Die Nashörner« von Ionesco. In den »Nashörnern« erleben wir eine kleine, zufälligerweise französische Stadt, in der bislang das Leben so normal verlaufen ist wie in allen anderen Gegenden der Welt. Das Städtchen verwandelt sich aber schnell im Laufe des Stückes, als ob ein Virus plötzlich wirksam würde. Am Anfang erscheint ein Nashorn. Die Leute halten das zunächst für sehr absonderlich. Von Szene zu Szene werden es immer mehr Nashörner, bis am Schluß, im letzten Akt, die Einwohner der ganzen Stadt – mit einer einzigen, zudem nicht ganz unproblematischen Ausnahme – zu Nashörnern geworden sind, schreien und grölen, wie eben Nashörner brüllen. Wir erleben auf der Bühne die Entstehung einer Massenpsychose, einer Massenkrankheit.

      Man hat im In- und Ausland den Eindruck gewonnen, daß Ionesco auch an die nazistische Bewegung in Deutschland gedacht hat, und einige Witzbolde hierzulande haben erklärt, das Stück habe auf deutsch einen falschen Titel. Im Wort Nashorn sei das a überflüssig. Das Stück müßte eigentlich »Die NS-Hörner« heißen, weil es darum geht, wie aus braven Bürgern Nazis wurden.

      Der Zuschauer fragt sich, was denn eigentlich die Ursache dieser seltsamen Wandlung sei. Anfänglich scheint es, als gehe es um jenes uns allen bekannte Phänomen, daß Mode ansteckend wirkt. Ionesco selbst gibt keine klare Antwort. Man ahnt den tieferen Grund, wenn man das ganze Werk von Ionesco kennt, der ein sehr harter Kritiker unserer Zeit ist. Bei Ionesco treten fast immer die gleichen Menschen unserer Gegenwart, unseres 20. Jahrhunderts auf. Ein Amerikaner, David Riesman, hat in seinem Buch »Die einsame Masse« dargestellt, wie heutzutage Vorstellungen schnell konventionell werden. Man denke an Filmvorbilder, an Illustrierte, an Reklame und Propaganda, die erreichen, daß letztlich alle in der gleichen Richtung laufen und wie eine Herde erscheinen, die dem Hammel folgt. Niemand will eine Ausnahme machen, niemand will auffallen. Wie Riesman die »einsame Masse« in Begriffen der Soziologie zeigt, so sind in Ionescos Kunstwerken die Menschen einsam, heimatlos und im Grunde ständig gelangweilt, sie reden immer aneinander vorbei, selbst in der Familie. Ehegatten sprechen, als wenn sie sich fremd wären und zum ersten Male sähen, mögen sie auch Kinder zusammen haben. Die Menschen sind isoliert und begreifen sich nicht. Ähnlich sind auch die Menschen in jener französischen Kleinstadt der »Nashörner«. Sie sitzen beieinander in einem Café und reden, aber keiner redet zum anderen; jeder spricht einen Monolog; das Gespräch greift nicht ineinander. Aus der großen Einsamkeit des einzelnen, aus dem Fehlen eines wirklichen menschlichen Kontakts mag nach Ionesco die Krankheit eines Massenwahns kommen. Die großen Parolen scheinen die Massen aus ihrer menschlichen Einsamkeit, Langeweile und Heimatlosigkeit herauszuführen; sie glauben, die Unzulänglichkeit ihres Daseins am ehesten überwinden zu können, wenn sie sich zur Masse zusammenfinden, im Gleichschritt gehen und im gleichen Takt brüllen.

      Die Theorien der Massenpsychologie, wie sie besonders nach der Jahrhundertwende, also in der Zeit der wachsenden Konzentration der Massen in den großen Städten und in den Fabriken, aber auch der wachsenden politischen Bedeutung der Massen, formuliert wurden – z. B. von Gustave Le Bon -, zeigen zwar genau die Phänomene dieser kollektiven Krankheit, suchen dann aber nicht nach fortschrittlichen Wegen, die Menschen durch bessere soziale, politische und individuelle Bedingungen zu heilen, sondern kommen mehr oder weniger eindeutig zu der Schlußfolgerung, daß man eben die Massen von oben her in Zucht halten müsse. Die Faschisten und Nationalsozialisten haben die Erkenntnisse dieser Theoretiker der Massenpsychologie wenn nicht gekannt, so doch instinktiv erfaßt und in ihrem Sinne gehandelt.

      Sie haben verstanden, die Reaktionen bewußt hervorzurufen und so die Menschen zu manipulieren.

      III.

      Weder der Faschismus noch der Nationalsozialismus vertraten eine aus der Vernunft geborene Idee zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme. Weder Faschismus noch Nationalsozialismus haben jemals erklärt, ihre Wurzeln seien geistiger Art und kämen aus dem Verstand. Beide Bewegungen haben den größten Wert darauf gelegt, gerade nicht vom Verstand, vom Intellekt zu stammen, sondern aus ganz anderen Quellen gespeist zu werden. Sie sprachen vom Gefühl, von Instinkten, von naturhafter Ursprünglichkeit und von Urgewalt. Der Nazismus hat immer wieder auf »Blut und Boden«, Volkstum und auf den »Mythos« verwiesen, die alles andere als rational sind.

      Faschismus und Nazismus haben die Tradition einer aufklärerisch-humanistischen Bildung abgebrochen. Die meisten Autoren, die sich mit dem Problem Faschismus und Nazismus beschäftigen, zeigen denn auch, wie deren »Gedankengut« eher einer Art Romantik entlehnt ist, worunter sie allerdings nicht etwa Dichtungen über eine »mondbeglänzte Zaubernacht« verstanden wissen wollen, sondern eine Lust zur Maßlosigkeit, zum Grenzen- und Uferlosen, zum Irrationalen und zur Vernunftfeindlichkeit, eine Bewegung, bei der Dunkel und Hell, Tag und Nacht, Leben und Tod miteinander eine seltsame Verbrüderung eingehen, eine Mystik, in der Gut und Böse dicht beieinander wohnen. Es ist nicht zufällig, daß Hitlers Lieblingsoper »Die Götterdämmerung« war. Seinen Vorstellungen entsprach ein grandioser Weltuntergang und ein großes Chaos.

      Wir wissen z. B. von Hitler, insbesondere aus seinen Tischgesprächen, daß ihm am deutschen Sieg wesentlich weniger lag als seinen Mitläufern. Der Mord war ihm wichtiger; auf ihn war er fixiert. In Hannah Arendts Buch über die »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« finden wir viele Hinweise darauf,


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