Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Fritz Bauer

Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns - Fritz Bauer


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Hinsicht abträgliche Programm der »Ausmerzungen« durchzuführen. Mitten im Kriege und bei offensichtlichem Mangel an Transportmitteln wurden Millionen von Juden in die Lager verschleppt und kostspielige Vernichtungsfabriken angelegt und bedient. Auch Martin Broszat weist in seiner Schrift über Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit des Nationalsozialismus auf das Fehlen aller rationalen Beweggründe und die reine Besessenheit Hitlers und seines Kreises hin, die sich in den umfangreichen SS-­Spezialkommandos, den Transportmaterialien und den diplomatischen Anstrengungen manifestierten, noch die letzten ungarischen Juden nach Auschwitz zur fabrikmäßigen Ermordung zu fahren, zu einer Zeit, als alle militärischen Erwägungen gegen solche ­Judentransporte sprachen.

      Versteht man unter Weltanschauung den Versuch einer intellektuellen Klärung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Fakten, so war der Nationalsozialismus keine geistig-theoretische Auseinandersetzung, sondern auf der Ebene der politischen Ideen bewußt – wie Walter Hofer formuliert – »der größte und furchtbarste Aufstand des Ungeistes«. Darauf war der Nationalsozialismus eigentlich noch stolz.

      IV.

      Besteht ein Unterschied zwischen Faschismus und Nazismus?

      Unter Faschismus pflegen wir ein totalitäres System zu verstehen, das durch irgendeine Form von Führerprinzip, das Verbot, Parteien nach Belieben zu bilden, das Fehlen einer Opposition und damit die Unterdrückung freier Meinungsbildung gekennzeichnet wird. Faschismus wäre also ein System, in dem die Freiheit des politischen, sozialen und kulturellen Denkens und Handelns beseitigt ist. Was ist demgegenüber Nazismus? Im Nazismus haben wir gleichfalls das Führerprinzip, das Ein-Parteien-System, die Tötung menschlicher Freiheit. Aber der Nazismus ist mehr. Er war ein Unrecht-Staat, was bedeutet, daß der Staat selbst, seine Gesetzgebung, seine Verwaltung und Rechtsprechung ganz oder in wesentlichen Teilen kriminell geworden sind. Der Unterschied zwischen Faschismus und Nazismus zeigte sich vor allem in der Wirklichkeit Italiens und Deutschlands. In Italien gab es zweifellos einen Duce, und alle Parteien, mit Ausnahme der faschistischen, waren verboten. Es gab auch eine korporative, ständische Organisation der Wirtschaft, die auf diese Weise in das Befehlssystem des Duce eingeschaltet wurde. Mussolini beseitigte Demokratie und Parlamentarismus und ersetzte das demokratische Gepräge durch autoritäre Formen. Aber es bestehen erhebliche Zweifel, ob man den Faschismus einen Unrecht- Staat nennen kann. Es gab trotz des Bündnisses mit Hitler nie einen Antisemitismus. Gegen die Juden ist in Italien und den von ihm besetzten Gebieten nichts geschehen. Man kannte im Gegensatz zu Deutschland keinen rassischen Feind, den man systematisch tötete. Man kannte im Gegensatz zu Rußland, wo Klassenfeinde liquidiert wurden, überhaupt keine gegnerische Gruppe, die man »ausmerzen« wollte. Die Welt ist in den zwanziger Jahren zutiefst erschrocken, als kurze Zeit nach dem Marsch Mussolinis auf Rom der Duce seinen politischen Gegner, den Führer der sozialistischen Partei in Italien, Matteotti, umbringen ließ. Damals ging ein Schrei der Empörung und der Trauer durch ganz Europa, durch die ganze Welt. Die Ermordung eines politischen Gegners erschien als ein schlechthin unbegreiflicher Rückfall in das Mittelalter und in eine blutige Zeit, als Gewaltherrscher mit Dolch und Gift Politik zu machen versuchten. Aber welcher Unterschied zwischen Mussolini und Hitler! Die Welt war erschüttert, als ein Mann ermordet wurde. Es verschlug ihr die Sprache, und Furcht und Schrecken, Grauen und Entsetzen waren nicht mehr faßbar und blieben unsäglich, als Hitler nicht einen Mann, nicht einzelne, sondern Millionen fabrikmäßig morden ließ. Mussolini kannte auch keine Vernichtungslager; er hat die politischen Gegner verbannt. Lipari, eine Insel, die Sizilien vorgelagert ist, war kein trostloses Bergen-Belsen, kein ödes Auschwitz. Lipari entsprach noch der Vorstellung der alten Römer und Griechen, die ihre Gegner ins Exil schickten. Einer der Verbannten war Malaparte, der Bücher wie »Die Haut« geschrieben hat. In seinen Erzählungen von Lipari findet sich nichts von dem Grauen, das wir mit Worten wie KZ, Sonderbehandlung, SS, Gestapo verbinden. Sicher, auch Mussolini war Diktator und Tyrann, Militarist und Imperialist. Aber er führte im Stil vergangener Jahrhunderte noch einen Kolonialkrieg gegen Abessinien, und als er sich an Griechenland versuchte, hörte bereits die militärische Kraft Italiens auf. So verbrecherisch die vom Zaune gebrochenen Kriege gegen kleine Nationen waren und so sehr sie allem widersprachen, was der Völkerbund für Völkerrecht erklärt hatte, es waren noch Kriege aus dem Geiste vergangener Zeiten. Ihr Ziel war nicht jene Versklavung oder gar Vernichtung fremder Völker, die Hitler im Osten plante und begonnen hat. Gewiß, es gab Ansätze zu einem Nazismus. Bemerkenswerterweise geschahen Auswüchse besonders innerhalb der sogenannten Elite. Mussolini liebte Reden, in denen er die Gewalt verherrlichte; er predigte das gefährliche Leben, er wünschte »Dynamik«, und dies im Lande des süßen Nichtstuns. Der italienische Dichter und Schriftsteller d‘Annunzio schwärmte für schreckliche Dinge: »… Willst du kämpfen? Töten? Ströme Blutes sehen? Große Haufen Goldes? Horden gefangener Weiber? Sklaven? …«. Aber dergleichen war in Italien eine Ausnahme, und die italienischen Männer und Frauen, denen wir gerne ein hitziges Temperament zuschreiben, blieben im Grunde recht kühl. Sie waren nicht bereit, ein cäsarisches Erbe anzutreten. Sie berauschten sich vielleicht an großen Worten, aber sie mieden alle Brutalitäten. Es war viel Opernhaftes, viel Theatralisches im italienischen Faschismus.

      Es besteht gewiß kein Grund, den italienischen Faschismus zu verharmlosen. Er war im Prinzip gekennzeichnet durch die gleiche Konzentration der Gewalt, die gleiche Machtvollkommenheit einer kleinen Clique, die fähig und gewillt war, durch ihre quasimilitärischen Parteiorganisationen ein ganzes Volk zu manipulieren und notfalls zu unterdrücken; es gab die gleiche Abschaffung der Rechte des einzelnen, kurz, auch dieses System war antidemokratisch und durch die Auslöschung des Gedankens der Freiheit und Gleichheit aller politisch inhuman. Die kriminelle Wirklichkeit als Institution der Bewegung blieb leider aber Deutschland vorbehalten.

      V.

      Manche wollen hierzulande den Anschein erwecken, als habe alles zum Besten gestanden und sei in Ordnung gewesen, bis der Verbrecher Hitler und seine Spießgesellen gekommen seien und die Dinge auf den Kopf gestellt hätten. Ursache von allem Bösen sei Hitler gewesen. Es habe einige Teufel gegeben, und die hätten Geschichte gemacht, Hitler und Himmler, Göring und Goebbels, Eichmann und einige Dutzend oder Hunderte dazu.

      Mit solchen Erklärungen kann man sich aber nicht zufriedengeben; so war es auch nicht. Der Nazismus ist nicht eine Bewegung gewesen, die von Hitler und ein paar Helfershelfern geschaffen wurde und sich mit ihnen erschöpfte. Sie ist nicht mit Ihnen entstanden und auch nicht notwendig mit ihnen gestorben. Der Nazismus war eine Bewegung im deutschen Volke. Es gibt keinen »Führer« ohne Menschen, die sich führen lassen. Das Problem Nazismus ist nicht mit einer Psychologie Hitlers allein oder auch seiner nächsten Umgebung zu lösen.

      Wenn wir an das Problem Nazismus so ernsthaft, wie Heuss es mit der Forderung, unsere Vergangenheit zu bewältigen, gemeint hat, herangehen, gilt es, uns selber zu prüfen und Gerichtstag zu halten über uns.

      Der Nazismus ist nicht vom Himmel gefallen; er wurde nicht nur von Hitler verkörpert. Hitler wurde gewählt, zunächst mit 40 bis 45 Prozent und nachher mit 99 Prozent. Viele haben ja zu ihm gesagt; sie haben früh und spät »Heil Hitler« gerufen, sie haben die Hakenkreuzfahne gehißt und sind bei Aufzügen und Demonstrationen oft genug mit dabei gewesen. Sie haben den gelben Fleck an den Kleidern ihrer jüdischen Mitbürger gesehen und die Röhm-Morde, die Kristallnacht und viele andere Ausschreitungen schwerster Art mit eigenen Augen und Ohren erfahren. Sie haben erlebt, wie ihre jüdischen Nachbarn verschwanden, sahen den Abtransport der Juden, sie kannten aus den »Führerreden« und -schriften die furchtbaren Drohungen gegen dieses Volk; sie sahen und beteiligten sich daran, wie politische Gegner wegen ihrer abweichenden Meinungen und Ziele niedergeschrien und niedergemacht wurden; sie wußten von der Versklavung anderer Völker, sie benutzten die ­Fremdarbeiter.

      Gewiß waren nicht alle begeisterte Nazis. Es gab aber Begeisterte in nicht geringer Zahl. Von allen guten Geistern verlassen, ohne Anständigkeit, Menschlichkeit und Sinn für Recht und Gerechtigkeit haben sie nicht nur geschwiegen, sondern oft Grauenhaftes bejaht und getan. Es wäre falsch, darüber hinwegzusehen. Andere hatten Angst und waren feige; sie beschränkten sich darauf, Mitläufer zu sein. Andere lehnten den Nazismus innerlich ab, und glücklicherweise gab es auch einen aktiven Widerstand. Trotz allem bleibt die Tatsache bestehen, daß breite Teile der Bevölkerung


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