Beethoven. Peter Wehle
dem Stille-Post-Prinzip – sie wurden so lange hinter vorgehaltenen Händen halblaut geflüstert, bis sie durch einen Irrtum ihren Weg in eine Druckerpresse fanden. Tatsache ist, Beethoven lernte noch weit ins Erwachsenenalter außerordentlich konzentriert und daher viel, aber erfreulicherweise nicht so viel, dass er verlernt hätte, Beethoven zu sein.
DER WERK-MEISTER
Wie breit Beethoven den Begriff „lernen“ für sich definierte, kann man unter anderem an seinem großen Interesse für andere Virtuosen ermessen.
Egal ob er sich dank Domenico Dragonettis furiosem Spiel für den Kontrabass begeisterte, für Giovanni Punto eine Horn-Sonate komponierte und mit ihm musizierte, von Ignaz Schuppanzigh sich Details idealer Geigenstimmen beschreiben oder von Wenzel Krumpholz die Mandoline näherbringen ließ, der leidenschaftliche „Instrumentenversteher“ Beethoven verlor nie seine Neugier für die verschiedenen, theoretischen wie praktischen, Aspekte von Musik. Es verwundert daher nicht besonders, dass auch ein Teil jener Freunde Beethovens, die ihr Leben nicht durchgehend als Berufsmusiker verbrachten – wie Carl Amenda oder Nikolaus Zmeskall von Domanovecz – exzellente Instrumentalisten waren.
1795 war es dann endlich so weit. Nach Jahren immer größerer Erfolge als Pianist und zahlreicher Kontrapunkt-Studien „outete“ sich Beethoven höchst offiziell als Komponist. Zwar hatte er schon Jahre zuvor in Bonn komponiert, aber alle früheren Werke hatten nicht seinen Qualitätsvorstellungen entsprochen, waren es nicht wert gewesen, Opus 1 genannt zu werden. Eben diese sich selbst auferlegten, sehr hohen Wertmaßstäbe waren und sind ein Beweis, dass für Beethoven Musik an sich eine außerordentlich ernste Lebensdimension hatte. Die gewisse Lockerheit, sogar Verspieltheit, die Haydn und erst recht Mozart gerade im Umgang mit ihren eigenen Werken kannten, spielte bei Beethoven keine Rolle. Musikwerke waren Meilensteine – und diese setzte man ja auch nur dann, wenn man sicher war, sie nicht mehr verrücken zu müssen. In diesem Verhalten zeigte sich möglicherweise auch die Ambivalenz gegenüber früheren, vom Vater übernommenen Vorstellungen von unerreichbaren Qualitätsansprüchen. Auf der einen Seite war Beethoven nach wie vor stark von diesem Denkmuster geprägt, auf der anderen Seite schaffte er es 1795, diese Kopfbarriere endlich zu überwinden, sodass ihm seine Kompositionen nicht mehr von unerreichbarer und damit auch un-veröffentlichbarer Qualität zu sein scheinen mussten.
Aber auch dieser Befreiungsschlag änderte Beethovens grundsätzliche Neigung nicht, alles im Umfeld der eigenen Werke kontrollieren zu wollen.
Wie die Opus-Zahlen seiner Werke, die er – als Erster – höchstpersönlich festlegte. Zum Beispiel hatte er sein 2. Klavierkonzert Opus 19 schon vor dem 1. Klavierkonzert Opus 15 komponiert, aber da das später komponierte Werk mächtiger klang (und klingt), zog es Beethoven vor und titulierte es eben als seine Nummer 1.
Allerdings hatte dieses Zahlenspiel durchaus realistische Hintergründe. Nicht nur, dass Beethoven damit eine zutiefst persönliche Wertung seiner Werke vornahm und eine weitere, subtile und unzerstörbare, Verbindung zwischen ihm und seinen musikalischen Geschöpfen etablierte, signalisierte er damit zum Beispiel bei Verhandlungen mit Musikverlagen die neue Wertigkeit und gesellschaftliche Anerkennung eines schöpferischen Genies. Auf der anderen Seite war ein solcher Auftritt gewagt, denn Beethovens Werke galten als schwere Kost und mussten sich daher bei den an massentauglichen Salonklängen interessierten Notendruckern erst durchsetzen.
Sein Opus 1 – drei Klaviertrios.
Unter Opus 2 veröffentlichte Beethoven die ersten drei seiner insgesamt 32 Klaviersonaten, also diejenigen ersten drei, die er als zifferwürdig empfand.
Und dann – eine weitere Klavier-Lawine! Opus 5, zwei Sonaten für Klavier und Cello; Opus 6, eine Klaviersonate für vier Hände; Opus 7, eine weitere Klaviersonate; Opus 10, drei Klaviersonaten; Opus 11, ein Klaviertrio; Opus 12, drei Sonaten für Klavier und Geige; Opus 13, eine Klaviersonate; Opus 14, zwei Klaviersonaten.
Die ersten 20 Opus-Zahlen umfassen 37 Werke, davon spielt bei 24 das Klavier eine wohlklingende Hauptrolle. Ob Klavier-Solosonaten, Sonaten für Klavier und Geige oder „und Cello“ oder „und Horn“, eine vierhändige Klaviersonate, Klaviertrios, ein Klavier-Bläser-Quintett oder zwei Klavierkonzerte – die schwarzen und weißen Tasten dominieren.
Und das taten sie nicht nur zu Beginn – bei allem Wissen um sein geniales sinfonisches Werk, um Fidelio, um die Missa solemnis und um die Streichquartette, das Klavier blieb auch später Beethovens Triple-H-Instrument, sein Herz-Hirn-und-Hände-Instrument.
Des Menschen treuer Musikgefährte, der Flügel, den wir infolge seiner bürgerlichen Salonhäufigkeit als selbstverständlich nehmen, dieser Spielplatz für Beethovens motorische wie seelische Leidenschaften, Kraftkammer späterer Etüden-Artistik – er war zu Beethovens Lebzeiten wie dessen Musik … neu und aufregend.
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