Beethoven. Peter Wehle
Beethoven.
Ein Kuriosum am Rande – auch auf dem Erstdruck der Variationen für Klavier über einen Marsch von Ernst Christoph Dressler wurde Beethoven jünger gemacht, als er war. Seine elf Jahre waren offenbar eines jungen Genies unwürdig, sodass „agé de dix ans“ (also „zehn Jahre alt“) auf das Titelblatt gedruckt wurde.
Kein Wunder, denn die Zeit war wunderkindwütig. Mozart geisterte durch die Köpfe, warum sollte daher Beethoven nicht „gewiss ein zweyter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen“.
Aber Beethoven hatte weder den dafür notwendigen Manager-Vater noch die Zeit, um als Wunderkind die europäischen Herrscherhöfe abzuklappern. Was sich letztlich aber als Vorteil für Beethovens Entwicklung entpuppte, denn das 1597 zur Residenzstadt der Kölner Kurfürsten erhobene Bonn war zur Zeit seines letzten Fürstbischofs Maximilian Franz endgültig vom Geist der Aufklärung durchdrungen worden.
Nachdem der jüngste Sohn von Kaiser Franz I. Stephan und Maria Theresia, Maximilian Franz Xaver Joseph Johann Anton de Paula Wenzel von Österreich, aufgrund einer heftigen Erkrankung die ursprünglich geplante militärische Laufbahn ad acta hatte legen müssen, war er von seiner Mutter in den geistlichen Stand gedrängt worden. Nach dem üblichen Slalom zwischen verschiedenen Karriere-Etappen und den damit verbundenen Ränkespielen wurde Maximilian Franz nach dem Tod seines Vorgängers Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels am 21. April 1784 neuer Kurfürst und Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Münster. Sechs Tage später begann er von Bonn aus seine Bistümer zu regieren. Trotz seiner ursprünglichen Abneigung gegenüber einer geistlichen Laufbahn zeigte er sich schon bald als aktiver Bischof, der bei der Bevölkerung durch seine Bescheidenheit und sein offenes Ohr für deren Sorgen beliebt war. Ähnlich wie sein Bruder Kaiser Joseph II. war Maximilian Franz von der Aufklärung, deren Idealen sowie realen Umsetzungen überzeugt, wenngleich ihm manches Reformtempo zu hoch schien. Doch trotz solcher bremsender Gedanken widmete er sich massiv der Bildungspolitik, unter anderem forcierte der letzte der Bonner Kurfürsten die neue Universität in seiner Residenzstadt als aufklärerischen Gegenpol zur damals streng konservativen Universität zu Köln.
Unter „Giganten-Kollegen“ – Beethoven und Mozart
Und Ludwig van Beethoven wechselte immer mehr hin und her zwischen den neuen Ideen über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einerseits und dem engen Dienst als Hofmusikus andererseits, zwischen idealistischen Freimaurern (wie seinen Lehrern Christian Gottlob Neefe und Franz Anton Xaverius Ries) und seiner realen Galauniform, die ihn trotz ihrer Buntheit manchmal an seinen grauen Alltag erinnert haben mag: „[…] see grüne Frackrock, grüne, kurze Hoß mit Schnalle, weiße Seite oder schwarze Seide Strümpf, Schuhe mit schwarze Schlöpp, weiße Seide geblümde West mit Klapptaschen, mit Shappoe, das West mit ächte Goldene Kort umsetz, Frisirt mit Locken und Hahrzopp, Klackhud, unterem linken Arm sein Dägen an der linke seite mit einer Silberne Koppel trug.“
Zuerst aber galt es, die Mischung aus kindlichem Virtuosentum, jugendlichem Kompositions-Genie – auf die Variationen für Klavier über einen Marsch von Ernst Christoph Dressler folgten weitere Frühwerke (zum Beispiel die Kurfürsten-Sonaten von 1783) – adäquat zu positionieren. Dabei spielte wieder Neefe eine wichtige Rolle. Dank seiner wohlüberlegten Kombination aus Theorie- und Praxis-Unterricht einerseits und geschickt-lancierten PR andererseits gelang es, den kurfürstlichen Erzbischof – in mehrfacher Hinsicht – aufhorchen zu lassen. Als einer derjenigen Habsburger, die mit überdurchschnittlicher Musikalität gesegnet waren, liebte Maximilian Franz Mozart … und daher lag es nahe, das Bonner Eigenbau-Jung-Genie ein erstes Mal den Duft der weiten Welt schnuppern zu lassen. Eigentlich eine klassische Win-win-Situation – der Kurfürst konnte die Welt (und Wien war damals eine ihrer Hauptstädte) wissen lassen, welch exzellente Jahrgänge nicht nur an der Donau, sondern auch am Rhein gedeihen würden, gleichzeitig brächte Jung-Beethoven den einen oder anderen Mozart’schen Gedanken zurück, um damit die Bonner Ohren aufs Neue zu entzücken.
Doch … der Plan floppte. Zwar soll Ludwig van Beethoven im Frühling 1787 Mozart vorgespielt haben, aber als Pianist konnte der junge Bonner weder mit dem neunjährigen Johann Nepomuk Hummel (mit dem ihn Jahre später eine enge Freundschaft verbinden sollte) noch mit anderen Wiener Klavierwunderkindern aus Mozarts Umfeld mithalten. Und als Komponist hatte Beethoven noch nichts anzubieten, was Mozart beeindruckt hätte … Erst recht nicht im Frühling 1787, als Mozarts Vater starb und der nun seines Lebens-Managers Beraubte noch dazu mitten im Schaffensprozess seines Don Giovanni stand.
Und dann die private Katastrophe! Beethovens übereilte Heimreise nach Bonn, der Tod der Mutter und seiner kleinen Schwester, des Vaters endgültiges Straucheln, die Verantwortung für sich und seine jüngeren Brüder – es waren wohl seine Genialität und das Gefühl einer inneren Verpflichtung einerseits sowie seine freundschaftlichen Kontakte andererseits, die Beethoven in dieser Zeit weiter wachsen ließen.
Wachsen … und lernen. Auf der musikalischen Seite boten Operngastspiele verschiedener Theatergesellschaften Anregungen, auf der intellektuellen Ebene war es die junge Bonner Universität, die nicht nur neue, bis dahin undenkbare Weltenbilder eröffnete, sondern auch diesen Ideen entsprechende Lehrkräfte anzog. Ein berühmtes Beispiel war Eulogius Schneider, ein allzu bunter Paradiesvogel der Aufklärung, den sein Lebensweg vom Franziskanerpater über den Bonner Universitätsprofessor für Literatur und schöne Künste zum glühenden Anhänger der Französischen Revolution und – beinahe folgerichtig – unter die Guillotine führte.
Wobei – Beethoven setzte auch in diesen Jahren sein erlerntes Muster, Lernstoff nicht systematisch-konsequent, sondern in ihm gerade begegnenden „Brocken“ zu erlernen, fort. Ein Muster, das ihm in seinem ureigensten Berufsleben, erst recht als Organist und Bratschist der Bonner Hofkapelle, allerdings vollkommen fremd war.
Auch in seinem privaten Umfeld zeigte sich der rund 20-Jährige in mehrfacher Hinsicht konsequent, wobei er ein spezielles Verhalten ähnlich intensiv betrieb wie seine Beschäftigung mit der Musik.
„In den biographischen Notizen, welche Herr Ign. Ritter von Seyfried den Studien von Beethoven anhing, findet sich S. 13 folgende Stelle: ‚Beethoven war nie verheirathet und, merkwürdig genug, auch nie in einem Liebes-Verhältniß.‘ Die Wahrheit, wie mein Schwager Stephan von Breuning, wie Ferdinand Ries, wie Bernhard Romberg, wie ich sie kennen lernte, ist: Beethoven war nie ohne eine Liebe und meistens von ihr im hohen Grad ergriffen. Seine und Stephan von Breuning’s erste Liebe war Fräulein Jeanette d’Honrath aus Köln. […] Darauf folgte die liebevollste Zuneigung zu einer schönen und artigen Fräulein v. W. […] Diese Liebschaften fielen jedoch in das Uebergangs-Alter und hinterließen eben so wenig tiefe Eindrücke, als sie deren bei den Schönen erweckt hatten. In Wien war Beethoven, wenigstens so lange ich da lebte, immer in Liebesverhältnissen und hatte mitunter Eroberungen gemacht, die manchem Adonis, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer geworden wären.
Ob man auch, ohne die Liebe in ihren innersten Tiefen zu kennen, Adelaide und Fidelio und so manches Andere componiren könne, lasse ich die Kenner und die Dilettanten beurtheilen.“
Noch elf Jahre nach Beethovens Tod, 1838, konnte sich Franz Gerhard Wegeler an den Beginn des männlichen Erwachens seines Jugendfreundes präzise erinnern, wohl nicht zuletzt deshalb, weil Beethovens eigene Entflammbarkeit sowie seine besondere Begabung, Frauenseelen erglühen zu lassen, ihn lebenslang zu genialen Werken anregen sollte.
Dass Jung Beethoven aber nicht zu früh zu viel zarten Frauenspuren und anderen Verlockungen nachjagte, dafür sorgte – „auch“, möchte man meinen – seine „zweite Mutter“ Helene von Breuning.
„Noch in späteren Tagen nannte er die Glieder dieser Familie seine damaligen Schutzengel und erinnerte sich gern der vielen von der Frau des Hauses erhaltenen Zurechtweisungen. ‚Die verstand es, sagte er, die Insecten von den Blüthen abzuhalten.‘ Er meinte damit gewisse Freundschaften, welche der naturgemäßen Fortbildung seines Talents, wie auch des rechten Maßes künstlerischen Bewußtseyns bereits gefährlich zu werden begonnen und durch Lobhudelei die Eitelkeit in ihm erweckt hatten. Schon