Beethoven. Peter Wehle
und sich das nämliche Thema gewählt, worüber die Variationen in Beethovens Trio geschrieben sind: dieses empörte die Verehrer Beethoven’s und ihn selbst; er mußte nun ans Clavier, um zu phantasiren; er ging auf seine gewöhnliche, ich möchte sagen, ungezogene, Art ans Instrument, wie halb hingestoßen, nahm im Vorbeigehen die Violoncellstimme von Steibelt’s Quintett mit, legte sie (absichtlich?) verkehrt auf’s Pult und trommelte sich mit einem Finger von den ersten Tacten ein Thema heraus. – Allein nun einmal beleidigt und gereizt, phantasirte er so, daß Steibelt den Saal verließ, ehe Beethoven aufgehört hatte, nie mehr mit ihm zusammenkommen wollte, ja es sogar zur Bedingung machte, daß Beethoven nicht eingeladen werde, wenn man ihn haben wolle.“
Franz Gerhard Wegeler (1765–1848), Jugendfreund und Wegbereiter
Der schon mehrfach erwähnte „Schüler und Freund“ – und zeitweise so eine Art Sekretär Beethovens – Ferdinand Ries hatte sich in seinen (mit Wegeler verfassten) Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven zwar in dem einen oder anderen historischen Detail geirrt, aber die heftigen Emotionen dieses Ereignisses des Jahres 1800 wird er sicher präzise beschrieben haben.
Wenn Beethoven musizierte, stoben nur so die Seelenfunken – bei den meisten entzündeten sie himmlische Feuer, in Konkurrenten eine Höllenglut. Aus dieser Fähigkeit ergab sich zu Beginn seiner Wiener Zeit die aus heutiger Sicht überraschende Situation, dass der Pianist den Komponisten überdeckte, ihm den Rang ablief, wenngleich die Grenzen – selbst für das damalige, gebildete, Publikum – verschwammen. Denn zuerst interpretierte der Pianist Beethoven ein fremdes Werk, dann begann er über ein (eigenes oder fremdes) Thema zu fantasieren, um mit einem eigenen Werk zu schließen … oder umgekehrt. Aber je mehr Beethoven an Ruhm und Selbstsicherheit gewann, umso mehr entmischten sich seine Auftritte in Richtung reiner Beethoven-Konzerte – der Pianist Beethoven spielte Werke des Komponisten Beethoven, der Komponist Beethoven wiederum schrieb immer öfter maßgeschneiderte Werke für den Pianisten Beethoven.
Im Frühling 1795 war es dann so weit: Beethoven spielte nur Beethoven. Laut aufliegendem Zettel „ein neues Konzert auf dem Pianoforte gespielt von dem Meister Herrn Ludwig van Beethoven, und von seiner Erfindung“. Mit diesem „neuen Konzert“, einer der früheren Fassungen seines 2. Klavierkonzertes, „hat […] der berühmte Herr Ludwig van Beethoven […] den ungetheilten Beifall des Publikums geärndtet“, wie in der Wiener Zeitung vom 1. April 1795 zu lesen war.
Einige Monate später ging er auf Konzert-Reise, von der er seinem Bruder schrieb:
An Johann van BeethovenPrag, 19. Febr. [1796]
Lieber Bruder! Um daß Du doch wenigstens nur weißt, wo ich bin und was ich mache, muß ich Dir doch schreiben. Fürs erste geht mir’s gut, recht gut. Meine Kunst erwirbt mir Freunde und Achtung, was will ich mehr. Auch Geld werde ich diesmal ziemlich bekommen. Ich werde noch einige Wochen verweilen hier, und dann nach Dresden, Leipzig und Berlin reisen. Da werden wohl wenigstens sechs Wochen dran gehen, bis ich zurückkomme. […]“
… UND EINEM VIRTUOSEN SCHÜLER
Aber selbst diese Trias – Virtuose, Lehrer und Komponist – befriedigte Beethoven nicht in seinem Streben, Musik als Lebenssinn und Lebensinhalt zu leben. Trotz aller Erfolge empfand er sich nach wie vor als allzu Unvollendeter.
Als der Kurfürst Beethoven nach Wien gesandt hatte, um „Mozart’s Geist aus Haydens Händen“ zu empfangen, geschah das nicht, um aus einem Anfänger einen Profi zu zaubern. Natürlich hatte der junge Bonner längst seine „Meisterprüfungen“ sowohl bei seinem „Lehrherrn“ Neefe wie im Musikeralltag der Hofkapelle abgelegt. Die ursprünglich für einige Monate geplanten „Wanderjahre“ in der Haupt-, Reichs- und Residenzstadt sollten zum einen Beethovens Verfeinerung auf sehr hohem Niveau, andererseits der kurfürstlichen Ruhmessteigerung dienen. Mit einem Haydn-Schüler ließ sich durchaus renommieren.
So weit, so gut. Was aber weder der Kurfürst noch andere noble Herren bedacht hatten, war die Chemie zwischen dem bereits zum Denkmal herangereiften Genie Haydn und dem jungen Klang-Revolutionär. Ob Beethoven tatsächlich behauptet hat, dass er „einigen Unterricht bei Haydn genommen, aber nie etwas von ihm gelernt habe“, wie sich Ries in seinen Biographischen Notizen zu erinnern glaubte, sei dahingestellt. Dass er jedoch mit Haydns mangelnder Aufmerksamkeit bei der Korrektur seiner Hunderten Kontrapunkt-Übungen unzufrieden gewesen sein mag, ist nachvollziehbar. Unabhängig davon aber war Beethoven natürlich darauf bedacht, keine allzu laute Kritik am ihm ursprünglich zugedachten Lehrer zu üben, erst recht, da er sich in aller Stille von einem weiteren Kontrapunkt-Fachmann schulen ließ. Johann Schenk, eines der zahlreichen bemerkenswerten Räder, die den damals ungemein reichhaltigen Musikbetrieb am Laufen hielten, war nicht nur ein angesehener Singspiel-Komponist, sondern ein bekannter Klavier- und Kompositions-Lehrer. Als solcher erkannte er sofort die pianistische Fähigkeit und schöpferische Genialität Beethovens, den er ausgerechnet in den Räumen jenes Abbé Gelinek, der Beethoven als „Teufel“ bezeichnet hatte, kennenlernte.
„Von den Schönheiten der mannigfaltigen Motive, die er klar und mit überreicher Anmuth so lieblich zu verweben wußte, war mein Ohr zur beständigen Aufmerksamkeit gereitzt […] Nun begann er unter mancherlei Wendungen […] bis zur himmlischen Melodie hinzugleiten, jenen hohen Idealen, die man oft in seinen Werken häufig vorfindet. […] Den darauf folgenden Tag war es mein erstes diesem noch unbekannten Künstler, der seine Meisterschaft so hoch bewährte, meinen ersten Besuch zu machen. Auf seinem Schreibpulte fand ich einige Sätze von der ersten Übung des Contrapunktes vor mir liegen. Nach kurzer Übersicht gewahrte ich bei jeder Tonart (so kurzen Inhalts sie auch war) etwelche Fehler. […] Bevor ich aber meine Lehre angefangen, machte ich ihm bemerkbar, daß unser beiderseitiges Zusammenwirken stets geheim gehalten. In Beziehung dessen empfahl ich ihm, jeden Satz, den ich durch meine Hand verbessert, wieder abzuschreiben, damit bei jeder Vorzeigung, Haydn keine fremde Hand gewahren könne. […] 1792 Anfangs August habe ich bei meinem guten Louis das ehrenvolle Lehramt angetretten und bis zu Ende Mai 1793 ununterbrochen fortgesetzt, als er eben den doppelten Contrapunkt in Octav vollendet hatte und sich nach Eisenstadt begeben. Wenn Se. K. Hoheit seinen Schützling gleich zu Albrechtsbergers Leitung hingebeben hätte, so wäre sein Studium nie unterbrochen und ganz vollendet worden. […] Vielmehr gestand er mir, daß er sich zu Hr. Salieri K. K. Hofkapellmeister hinbegeben um in der Composizion im freyen Styl Unterricht zu nehmen.“
In seiner 1830 verfassten Biografie ließ Schenk anklingen, dass auch er nicht Beethovens letzter Lehrer sein sollte. Beethoven arbeitete weiter an sich … und dazu bediente er sich ebenso der Hilfe des damals berühmtesten Kontrapunkt-Lehrers Johann Georg Albrechtsberger wie Antonio Salieris, von dem er besondere Kenntnisse der Gesangskomposition zu erlernen trachtete.
„Alle drei schätzten Beethoven sehr, waren aber auch einer Meinung über sein Lernen. Jeder sagte: Beethoven sei immer so eigensinnig und selbstwollend gewesen, daß er Manches durch eigene harte Erfahrung habe lernen müssen, was er früher nie als Gegenstand eines Unterrichts habe annehmen wollen. Besonders waren Albrechtsberger und Salieri dieser Meinung; die trockenen Regeln des Erstern und die unwichtigeren des Letzteren über dramatische Compositionen (nach der ehemaligen Italienischen Schule) konnten Beethoven nicht ansprechen. […] Zum Beweise des eben Angeführten mag Folgendes dienen: Auf einem Spaziergange sprach ich ihm einmal von zwei reinen Quinten, die auffallend und schön in einem seiner ersten Violin-Quartette in C moll klingen. […] Als er nun sah, daß ich Recht hatte, sagte er: ‚Nun! Und wer hat sie denn verboten?‘ […] Darauf sagte ich: ‚Marpurg, Kirnberger, Fuchs etc. etc. alle Theoretiker!‘ – ‚Und so erlaube ich sie!‘ war seine Antwort.“
Wieder ist es Ferdinand Ries, der zwar ebenso deutlich die sture Engsichtigkeit typischer Lehrerpersönlichkeiten sowie Beethovens unbeugsames Selbstbewusstsein anspricht, aber der Tatsache zu wenig Beachtung schenkt, dass gerade Beethoven sich sein Leben lang dem Studium der Musiktheorie widmete, die „trockenen Regeln“ schätzte.
Der Schüler Beethoven war durchaus bereit, sich mit manch sehr strikter Musikauffassung interessiert und intensiv