Das Perchtenerbe. Birgit Arnold

Das Perchtenerbe - Birgit Arnold


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um den Schwarzen Tod unter ihnen zu verteilen. Wenn ich ins Dorf komme, verriegeln sie die Läden vor mir, es grenzt beinahe an ein Wunder, wenn mir einer von ihnen etwas verkauft. Niemand ist auch nur bereit, sich mit mir zu unterhalten!“ Eine kleine, noch zarte Zornesfalte steht zwischen seinen Augenbrauen.

      Sein Vater erwidert ungeduldig in strengem Ton: „Linhart, wie oft muss ich es dir noch erklären? Wir gehören einfach nicht zur Dorfgemeinschaft. Die Menschen haben Angst vor uns, Angst vor Krankheiten. Und damit haben sie ja auch nicht Unrecht. Auch wenn wir die Überreste unserer Tierkadaver pflichtbewusst sofort verbrennen, bleibt stets eine gewisse Gefahr, dass sich jemand mit Milzbrand oder anderen Krankheiten ansteckt.

      Du müsstest es selbst am besten wissen. Denk an deine Mutter, Gott hab sie selig. Nimmst du den Dörflern wirklich übel, dass sie vor dem Gestank zurückschrecken, der von unserem Hof zu ihnen hinüberweht? Er hat sich schon in unsere Kleider hineingefressen, wie Pech klebt er an unserer Haut. Wir haben uns daran gewöhnt. Aber sieh dir die Dorfbewohner an, wenn der Wind schlecht steht. Wie es sie würgt, wie sie sich die Hände vors Gesicht pressen. Gerade, dass sie sich nicht übergeben, wenn der Verwesungsgestank zu ihnen dringt. Sie haben Angst. Das kannst du ihnen nicht verdenken.“

      Aufbrausend erwidert Linhart: „Ach ja? Und wenn sie nachts an deine Türe klopfen und verzweifelt um Einlass bitten, haben sie dann auch Angst? Ich habe dir schon so oft geholfen, wenn du alleine nicht zurechtgekommen bist. Wenn jemand von einer Leiter gestürzt ist, und sein Knochen aus dem Fleisch heraussticht, wenn eine alte Frau eitrige und faulende Stellen an den Beinen hat. Und weißt du was? In diesen Nächten habe ich noch nie bemerkt, dass sich auch nur einer von ihnen Gedanken über die Krankheiten macht, die er sich hier einfangen könnte.“

      Seine Augen sprühen vor Wut.

      „Hast du keinen Stolz? Wenn sie nachts heimlich deine Hilfe in Anspruch nehmen, sollten sie dir dann nicht auch bei Tageslicht Respekt entgegenbringen? Du hast es verdient!“

      Etwas resigniert, aber doch eindringlich antwortet sein Vater: „Wir wollen dankbar sein, dass sie zu mir kommen. Sie bezahlen mich mit Werkzeug, mit Essen, mit Bier. Ohne dieses Zubrot ginge es uns bei weitem schlechter.“

      Doch Linhart lässt sich nicht beruhigen.

      „Ja, natürlich. Wir wollen dankbar sein. Wofür, Vater? Wofür? Dafür, dass du sie heimlich behandeln musst? Weil es dir verboten ist, ihnen Hilfe zu bieten? Weil dies die Aufgabe der Reichen und Gelehrten in den Städten ist? Weil Gesetze besagen, dass du gehängt wirst, wenn du dein Wissen zum Wohle der Bewohner einsetzt?“

      Mit einem lauten Schlag lässt der Vater seine Faust auf den Tisch krachen.

      „Nun reicht es aber! Geh und erledige deine Arbeit! Such im Wald nach trockenem Fallholz. Wir werden an unserer Lage nichts ändern. Und so schlecht ist sie auch gar nicht. Immerhin sind wir noch besser dran als das fahrende Volk.“

      Verbittert erwidert sein Sohn: „Natürlich. Ich werde gehen. Aber denk darüber nach: Für ein Zusammenleben im Dorfverbund sind wir nicht gut genug. Uns wird niemand helfen, wenn unser Hof brennt, wenn einer von uns erkrankt oder wir von einfallenden Truppen angrenzender Herzogtümer angegriffen werden. Aber wenn sie deine Hilfe benötigen, schleichen sie sich verstohlen zur Hintertür herein. Nach allen Seiten sichern sie sich ab, damit sie nur ja nicht beobachtet werden. Du schenkst ihnen Leben, du erleichterst ihnen den Alltag. Führe dir das doch einmal vor Augen.“

      Der Vater gibt ein lautes Schnauben von sich.

      „Ja, ich schenke ihnen Leben. Aber es gibt auch noch die andere Seite. Ich bringe ihnen genauso den Tod. Das vergisst du anscheinend. Selbst wenn es nicht oft vorkommt, so geschieht es doch von Zeit zu Zeit, dass ich als Henker dienen muss. Wer sieht schon gerne dem Tod ins Auge, dem grauen Schatten, der ständig drohend über einem hängt, der einen daran erinnert, dass unser Dasein begrenzt ist? Er ist unser ständiger Begleiter. Die Bürger verschließen ihre Augen vor der Vergänglichkeit. Und deshalb auch vor mir.“

      Linhart schüttelt den Kopf.

      „Und das rechtfertigt, dass sie dir keinen Zugang zum Wirtshaus gewähren? Dass du später einmal kein ordentliches Begräbnis erhältst? Sind wir auf ewig dazu verdammt, hier, abseits allen anderen Lebens, unser Dasein zu fristen? Obwohl du für die Menschen im Dorf einen so großen Nutzen hast?“

      Der Vater zuckt hilflos mit den Schultern.

      „Es ist, wie es ist. Zumindest gelte ich nicht als Dieb wie der Kesselflicker, oder der Geldeintreiber. Und auch nicht als Feigling, wie der Schäfer.“

      Linhart presst die Lippen aufeinander.

      Dann sagt er verdrossen, mehr zu sich selbst: „Ja. Aber trotz allem sind wir auf uns gestellt. Weil wir alleine sind, müssen wir hart sein, dürfen kein Nachsehen mit schwachen Kreaturen haben, müssen uns Gefühlen gegenüber verschließen, um nicht angreifbar zu sein. Seit ich klein bin, höre ich dich das immer und immer wieder sagen. Du magst damit zufrieden sein, aber ich bin es nicht.“

      Damit dreht er sich um und verlässt das Haus, um seine Arbeit zu erledigen. Zu oft schon haben sie über dieses Thema gestritten. Es ändert sich nichts. Mit weit ausgreifenden Schritten läuft er in Richtung Wald. Er will die Stimme seines Vaters verdrängen, vergessen.

      Aber seine Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Er möchte sich mit seinem Los nicht abfinden. Er bekommt von allen Seiten zu hören, dass ihm sein Leben vorgegeben ist. Die Kirche predigt, dass die Stellung im Leben ein Schicksal sei, dem niemand entkommen könne. Aber Linhart möchte sich dem nicht fügen. Es kann doch nicht Gottes Wille sein, dass man sich einfach in alles ergibt. Einem Gott, dessen grenzenlose Liebe gepriesen wird, müsste doch daran gelegen sein, dass man das Beste für sich herausholt, dass man etwas erreicht. Könnte er nur lesen und schreiben. Dann würde er schon einen Weg finden, aus diesem Teufelskreis zu entkommen. Sowieso erscheint ihm vieles, das die Kirche erzählt, zweifelhaft. Ob dies in der Bibel wirklich alles so geschrieben steht? Sie können einem viel erzählen, die Geistlichen der Kirche. Seinesgleichen sind nie in der Lage nachzuprüfen, ob es tatsächlich stimmt. Wofür sollen die Drohungen mit der Exkommunikation und dem Jüngsten Gericht gut sein? Was ist schlimm daran, wenn man dem alten Brauchtum folgt? Was kann falsch an den Dingen sein, die seit Generationen geholfen haben, durch das Jahr zu kommen? Die Geistlichen jedoch schimpfen diese alten Gewohnheiten als Hexerei, als Teufelswerk, als Verstoß gegen den wahren Glauben. Linhart hat gehört, dass manche Dörfler solche Angst davor haben, nach dem Tod nicht ins Paradies eintreten zu dürfen, dass sie sich nur deswegen dem christlichen Glauben angeschlossen haben. Andere wiederum sind tatsächlich von den neuen Lehren überzeugt. Doch nicht bei allen Bewohnern hat die Kirche Erfolg. Viele verlassen sich lieber auf die alten Götter. Ihre Bräuche sind ihnen vertraut, sie wirken direkt in ihr Leben.

      WARTEN

      Criste hüpft flink auf nackten Füßen zwischen den zahlreichen zugefrorenen Pfützen die Dorfstraße entlang. Sie ist auf dem Weg zum Brunnen, um frisches Wasser holen. Den Holzeimer schwingt sie dabei ausgelassen hin und her. Ihre kalten Füße schmerzen, doch Schuhe für die Kinder kann sich ihre Familie nicht leisten. Den Gestank, der sich zwischen den Häusern fängt, bemerkt das Mädchen kaum. Sie kennt es nicht anders. Laut klatschend landet der Inhalt eines Nachttopfes ein Stück hinter ihr auf dem Weg. Schnell macht Criste einen großen Sprung, um nicht von den Spritzern getroffen zu werden. Dabei ist sie so in Eile, dass sie beinahe in den Unrat läuft, den eine Frau von der anderen Straßenseite gerade mit Schwung vor die Türe gekippt hat. Einige herumstreunende Katzen und Hunde kommen herbei, um in den Überresten nach etwas zu suchen, das ihnen noch als Nahrung dienen kann. Sie sind nicht die einzigen Tiere, die hier leben. Scharen von Ratten geben sich keine Mühe, in den Schatten versteckt zu bleiben. Die stinkenden Gassen sind ihr Zuhause, und auf ihrer steten Suche nach Nahrung gehen sie dreist zu Werke.

      Am Brunnen stehen einige Frauen beisammen und tuscheln hinter vorgehaltenen Händen. Criste will sie gerade höflich grüßen, als der Name Frau Percht zu ihr dringt. Abrupt hält sie in ihrer Bewegung inne und stellt sich etwas abseits, um weiter lauschen zu können.

      „Morgen ist es wieder soweit. Frau


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