Römische Tagebücher. Alois C. Hudal
päpstlichen Breves, wobei bekannt ist, daß die römische Kurie aus Traditionalismus oder politischen Rücksichten nicht rasch grundlegende Urkunden ändert — diese Breven mit ihren stereotypen Formulierungen hinken deshalb gewöhnlich der Zeitgeschichte nach:
Die Rechtsansprüche der Belgier, Holländer und Luxemburger
Erstere forderten mehrere Häuser als Entschädigung für die während des Krieges zerstörte Universitätsbibliothek von Löwen. Eine gründliche Studie verfaßte der Direktor des Holländischen Instituts für Geschichtsforschung in Rom, Gisbert Brom, Verlag Löscher (Regensberg), Rom 1909. Jahre hindurch wurde dieser Streit weitergeschleppt, der die deutsche Nationalstiftung in ihrem Dasein bedrohte. Die zweite wichtige Frage war die Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Stiftung, in dem bis 1918 immer auch ein Vertreter der kaiserlichen österreichischen Vatikanbotschaft war. Nicht minder wichtig als dritte Frage war jene der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Rektors, beziehungsweise des Vorschlagsrechtes einer Kandidatenliste durch die Bischofskonferenzen Österreichs oder auch Deutschlands, ferner als vierte Frage die Neuordnung der Seelsorge der deutschsprachigen Katholiken in Rom. Bereits Papst Benedikt XV. hatte für die Neuordnung der Anima eine Kommission eingesetzt, die aus je einem Vertreter der vier stiftungsberechtigten Nationen und dem Rektor der Anima bestand; Sekretär war der frühere Uditore der Wiener Nuntiatur Monsignore Rossi-Stockalper. Es zeigte sich aber bald, daß die Ansprüche der drei erstgenannten Staaten leichter zu ordnen waren als jene des Vertreters der deutschen Vatikanbotschaft, dem es in erster Linie um seine Mitgliedschaft im Verwaltungsrat und um die Parität von Reichsdeutschen und Österreichern in der Besetzung des Rektorats zu tun war. Dabei konnte als Aktivposten österreichischerseits betont werden, daß die österreichischen Bundeskanzler Schober, Seipel und Dollfuß nach 1918 wiederholt mit bestem Erfolg bei der italienischen Regierung und auch beim Duce vermittelt hatten, um die Befreiung der Anima von der enormen Kriegsentschädigung als „Beni nemici stranieri27)“ durchzusetzen (es handelte sich im Jahre 1921 um eine Summe von 1 Million Lire). Dank dieser hochherzigen Vermittlung, die über ausdrücklichen Wunsch des Kardinalstaatssekretärs Gasparri erfolgte, der dafür auch den Konsistorialadvokaten Patriarca einschaltete, wurde damals das Stiftungskapital von der höchsten zuständigen italienischen Finanzbehörde als esente27a) von dieser außerordentlichen Kriegssteuer erklärt, während sonst die Anima als „Feindesbesitz“ dazu verpflichtet gewesen wäre. Übrigens hat auch das italienische Konkordat, der Lateranvertrag des Jahres 1929 die Rechtsstellung von ausländischen Stiftungen im Kriegsfalle nicht genügend geklärt. In meiner Denkschrift „Su i diritti dei Neerlandesi“, Rom 192328) konnte ich auf Grund der sorgfältigen Vorarbeiten [Liber domorum „Animae“29), auctor Josephus Lohninger] wissenschaftlich genau die Herkunft der einzelnen Häuser und in erster Linie die Wünsche und Ansprüche der drei genannten Staaten als berechtigt nachweisen. Auf Vermittlung des Kardinalprotektors Merry del Val erfolgte bald darauf eine schriftliche Vereinbarung mit den Bischofskonferenzen von Mecheln und Utrecht, daß künftighin von der Anima jährlich ein Beitrag zum Unterhalt eines flamländischen Geistlichen im belgischen Kolleg gezahlt wird und daß ferner ein Holländer als Kaplan einen Freiposten in der Anima zur Verfügung haben kann. Für Luxemburg blieb die Gewohnheit der Zuerkennung eines Freipostens im Turnus mit reichsdeutschen und österreichischen Bistümern weiter erhalten. An den genannten vier Fragen waren begreiflicherweise auch Reichsdeutsche besonders interessiert. Da der Vatikan, wohl unter dem Eindruck der unsicheren politischen Verhältnisse Mitteleuropas, die Ausarbeitung eines neuen apostolischen Breves für die Anima hinausschob, waren nicht wenige staatspolitische Intrigen die Folge, obwohl eine rechtzeitige Verständigung zwischen den drei berufenen Bischofskonferenzen (Wien, Freising, Fulda) mindestens zu einer Parität beider Gebiete geführt hätte, was der Gerechtigkeit und in erster Linie dem Ursprung der Animastiftung entsprach. Seitdem die österreichischen Vatikanbotschafter Lebzeltern und Lützow die Anima von der Italienisierung befreit und eine deutsche Seelsorge dortselbst begründet hatten, war die Animakirche der selbstverständliche Mittelpunkt der Katholiken deutscher Sprache in Rom geworden*). Vollkommen klar war es, daß der Rektor des Priesterkollegs als solcher auch Rektor der Kirche und damit der erste rechtlich berufene Seelsorger war, wenn nicht seitens des Kardinalvikars (can. 480, par. 3) die beiden Ämter voneinander getrennt wurden, was die tatsächliche Auflösung jeder Disziplin des Hauses bedeutet hätte. Ebenso klar war es, daß die Anima keine eigentliche Pfarrkirche war, sondern nur eine außerordentliche Hilfsseelsorge darstellte, nachdem Nationalpfarren nur mit Zustimmung des Papstes gegründet werden können (can. 216). Die Reibungen und Schwierigkeiten in der deutschen Seelsorge in Rom gehen viele Jahrzehnte zurück und haben in den Jahren 1900 ff. begonnen, als die Frage der Ernennung eines eigenen Kardinalprotektors für die deutsche Auslandsseelsorge in Italien bei der Fuldaer Bischofskonferenz behandelt wurde. Die in meinen Händen befindlichen zahlreichen Briefe des damaligen österreichischen Vatikanbotschaftsrates Montel, die er darüber mit dem verdienten Rektor Antonio de Waal vom deutschen Campo Santo wechselte, zeigen die Problematik dieser und ähnlicher Protektorate, deren Bedeutung mehr vom diplomatischen Geschick der betreffenden Persönlichkeit als vom Text der meistens aalglatt formulierten Ernennungsbreven des päpstlichen Staatssekretärs abhängt. Übermäßige Begeisterung löste ein solches neues Protektorat auch bei den Bischöfen Italiens nicht aus, am wenigsten in Florenz, die dank der unklaren Textierung des Breves für den ersten Kardinalprotektor, Fürstbischof Kopp (Breslau), Eingriffe in ihre natürlichen Rechte als Ordinarli loci und eine Nebenregierung von außen befürchteten. Überdies sahen sie in nationalen Abspaltungen von der normalen Seelsorge eine Gefährdung des universellen katholischen Gedankens. Tatsächlich fehlte es nicht an üblen Erfahrungen in Sizilien mit den orientalischen Kirchenbehörden. Auch die Gründung einer Zentralstelle in Rom für die gesamte deutschsprachige Seelsorge in Italien war von nicht minder großer Bedeutung. So schreibt De Waal (1903) an den Vermittler dieser delikaten Angelegenheit, Montel:
„Und nun etwas eingehender auf mein großes Anliegen wegen der Seelsorge unserer deutschen Kolonien in Italien. Es muß durchaus eine Zentralstelle in Rom geschaffen werden, welche für das Ganze und das Einzelne sorgt, den Pfarrern ihre Anstellung gibt, über die zur Verfügung stehenden Gelder je nach Bedürfnis verfügt, neue Geldquellen findet, Unordnungen schlichtet und bessert, jährliche Rechenschaftsberichte einfordert usw., und ich möchte wünschen, daß diese Zentralstelle dauernd an den Campo Santo geknüpft würde. Denn der Rector vom Campo Santo ist durch die materielle Verwaltung seines Hauses nicht derart in Anspruch genommen, daß er neben der Förderung der Studien und den anderen Obliegenheiten nicht auch Zeit fände, sich der deutschen Mission in Italien anzunehmen. Ich möchte Ihrem freundlichen Erwägen den Gedanken unterbreiten, ob es nicht gut wäre, den jedesmaligen Erzbischof von Köln zum Protector und obersten Chef des Werkes zu machen, schon darum, weil aus der Kölner Kirchenprovinz die meisten materiellen Mittel fließen und auch am leichtesten Priester zu erhalten sind, welche sich der Mission widmen wollen. Der Rector des Campo Santo wäre dann der Delegat des Kölner Erzbischofs und hätte demselben alljährlich einen Bericht vorzulegen, der dann auch in Fulda dem Episkopat unterbreitet werden könnte. Bei einer gewissen Freiheit der Hände hätte in allen wichtigen Fragen der Delegat sich an seinen Chef zu wenden. Eine solche Institution kann aber nur durch eine Verfügung des Heiligen Stuhles in Kraft treten, durch welche zugleich den Bischöfen in Italien bekanntgegeben wird, daß der Rector vom Campo Santo in päpstlichem Auftrag handelt, wenn er sich an sie wendet.“ Ferner schreibt De Waal (1903) an den Vermittler dieser delikaten Angelegenheit, Botschaftsrat Montel: „In dem Buch der Rückerinnerung steht auf jedem Blatt Ihr Name, denn Sie sind stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden.“
Schon von Anfang an stand aber der Wiener Kardinal Erzbischof Gruscha den Bestrebungen einer deutschen Seelsorge in Verbindung mit der Anima kühl und fast ablehnend gegenüber, um so mehr als im Ernennungsdekret nur die Rede war vom „Protector catholicorum Germanicorum“ (also Reichsdeutscher) und das Protektorat auch einem reichsdeutschen