Laws of UX. Jon Yablonski
der Entscheidungen etwas anders aussehen musste. Wie rechtfertigen Sie neue Entwürfe, ohne nachweisen zu können, dass die bestehenden Designs überhaupt geändert werden sollten? Sie können sich sicher vorstellen, dass die Design-Reviews schnell zu einer recht subjektiven Angelegenheit wurden, bei der auch persönliche Voreingenommenheiten zum Tragen kamen, und das wiederum führte zu Designs, die schwieriger zu validieren waren.
Dann hatte ich die zündende Idee: Psychologische Erkenntnisse ermöglichen ein tiefer gehendes Verständnis des menschlichen Geistes und könnten an dieser Stelle wohl hilfreich sein. Schnell tauchte ich in das weite Feld der Verhaltens- und Kognitionspsychologie ein und wälzte auf der Suche nach empirischen Belegen zur Unterstützung meiner gestalterischen Entscheidungen zahllose Forschungsarbeiten und Artikel. Diese Recherchen erwiesen sich als recht nützlich, um die Projektbeteiligten zu überzeugen, die von mir vorgeschlagene Richtung weiterzuverfolgen, und es schien mir, als hätte ich einen Wissensfundus aufgetan, der mich letztendlich zu einem besseren Designer machen würde. Es gab nur ein Problem: Gutes Referenzmaterial im Internet zu finden, wurde schnell zu einer mühsamen Aufgabe. Die Recherche führte mich zu zahlreichen akademischen Abhandlungen, wissenschaftlichen Untersuchungen und einzelnen Artikeln in der Tagespresse – aber nichts davon stand in direktem Zusammenhang zu meiner gestalterischen Arbeit. Ich war auf der Suche nach einer designerfreundlichen Quelle, die es im Internet aber einfach nicht gab, oder zumindest nicht in der von mir gewünschten Form. Letztendlich beschloss ich daher, die gesuchte Ressource selbst ins Leben zu rufen, was zur Einrichtung einer Website namens Laws of UX führte (Abbildung 0-1). Dieses Herzensprojekt bot mir fortan die Möglichkeit, weiterzulernen und meine Entdeckungen auch zu dokumentieren.
Die fehlenden quantitativen oder qualitativen Daten zu meinem Projekt veranlassten mich dazu, mich anderweitig umzusehen. Was ich dabei in Bezug auf die Schnittstelle zwischen Psychologie und User-Experience(UX)-Design entdeckte, war für meine Tätigkeit geradezu umwälzend. Solche Daten sind zwar (so weit verfügbar) nach wie vor wertvoll, aber mein Exkurs in die Psychologie hat eine solide Grundlage für meine Arbeit geschaffen, die auf einem Verständnis des menschlichen Verhaltens und der Gründe dafür beruht. Dieses Buch stellt eine Erweiterung der Website Laws of UX dar, die sich mit verschiedenen psychologischen Prinzipien und Konzepten befasst, die ich als Designer besonders nützlich gefunden habe.
Abbildung 0-1: Screenshot der Website Laws of UX, 2020
Warum ich dieses Buch geschrieben habe
Ich habe dieses Buch geschrieben, um die komplexen psychologischen Zusammenhänge mehr Designern zugänglich zu machen – besonders solchen, die über kein Hintergrundwissen in Psychologie oder Verhaltenslehre verfügen. Heutzutage gewinnen Designer in Organisationen immer mehr an Bedeutung, und damit steigt auch die Relevanz der Schnittmenge von Psychologie und UX-Design. Zeitgleich mit dem wachsenden Fokus auf das Design hat die Debatte Fahrt aufgenommen, welche zusätzlichen Fähigkeiten sich Designer aneignen sollten (wenn überhaupt), um ihren eigenen und den Wert ihrer Arbeit zu steigern. Sollten Designer auch programmieren und texten können oder etwas von Betriebswirtschaft verstehen? All das sind wertvolle Qualifikationen, aber sie sind vielleicht nicht unbedingt erforderlich. Ich würde allerdings behaupten, dass sich jeder Designer mit den Grundlagen der Psychologie vertraut machen sollte.
Wir Menschen haben eine »Blaupause« dafür, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und verarbeiten. Die Beschäftigung mit Psychologie hilft uns, diese Blaupause zu entschlüsseln. Designer können mit diesem Wissen intuitivere, besser auf den Menschen ausgerichtete Produkte und Erfahrungen gestalten. Statt die Benutzer zu zwingen, sich an das Design eines Produkts oder einer Erfahrung anzupassen, können wir einige psychologische Grundprinzipien als Leitfaden für eine auf den Menschen ausgerichtete Gestaltung heranziehen. Dies ist die wesentliche Grundlage des humanzentrierten Designs und auch die Grundlage dieses Buchs.
Aber wo sollten Sie dabei anfangen? Welche psychologischen Grundlagen sind nützlich? Gibt es Beispiele für die Wirkungsweise dieser Prinzipien? Es gibt auf diesem Gebiet unzählige Gesetze und Theorien, von denen ich einige wenige als besonders hilfreich und vielfältig anwendbar empfunden habe. In diesem Buch untersuche ich diese Konzepte und stelle einige Beispiele dafür vor, wie sie in alltäglichen Produkten und Erfahrungen effektiv genutzt werden können.
Für wen dieses Buch gedacht ist
Dieses Buch richtet sich an alle, die ihre gestalterischen Fertigkeiten verbessern, mehr über die Schnittmenge von Psychologie und Design erfahren oder einfach nur ergründen möchten, warum Menschen in einer bestimmten Weise auf gutes Design reagieren. Es richtet sich an Designer, die mehr über Psychologie und ihre Auswirkungen auf ihre Arbeit erfahren möchten. Es richtet sich an etablierte Profis und aufstrebende Designer gleichermaßen: an alle, die verstehen wollen, wie die User Experience insgesamt durch ein besseres Verständnis der menschlichen Wahrnehmung und mentalen Prozesse beeinflusst wird. Das Buch konzentriert sich dabei zwar eher auf digitales Design als auf die traditionelleren Medien des Grafik- oder Industriedesigns, aber die darin enthaltenen Informationen sind für alle, die für die Gestaltung von User Experience verantwortlich zeichnen, umfassend anwendbar. Ich will auch darauf hinweisen, dass es keine erschöpfende Informationsquelle sein soll, sondern eher eine niederschwellige Einführung in die psychologischen Grundlagen, die einen direkten Einfluss auf das Design und die Art und Weise haben, wie die Menschen die von uns geschaffenen Schnittstellen wahrnehmen und mit ihnen interagieren. Es steckt voller Beispiele und soll ein praktisches, leicht lesbares Nachschlagewerk für Designer sein, die diese Informationen in ihre tägliche Arbeit einfließen lassen möchten.
Dieses Buch ist auch für jeden relevant, der den wirtschaftlichen Wert von gutem Design verstehen und wissen möchte, warum dieses transformativ für Unternehmen und Organisationen ist. Der Bereich des UX-Designs ist gewachsen und hat sich dank steigender Investitionen von Unternehmen, die sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen, in neue Bereiche ausgedehnt. Mit diesem neuen Interesse geht die Erwartung einher, dass Produkte und Dienstleistungen gut gestaltet sein sollten, und es genügt nicht mehr, einfach nur eine Website oder eine mobile App zu haben. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Websites und Anwendungen sowie alle anderen von ihnen angebotenen digitalen Erfahrungen hilfreich, effektiv und gut gestaltet sind. Um dies zu erreichen, können Designer meiner Überzeugung nach die Psychologie als Richtschnur nutzen, um ihre Entwürfe entsprechend der menschlichen Wahrnehmung, Verarbeitung und Interaktion nicht nur mit digitalen Schnittstellen, sondern auch mit der Welt als solcher zu entwickeln.
Was in diesem Buch steht
Kapitel 1: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – Jakobs Gesetz
Nutzer verbringen die meiste Zeit auf anderen Websites und wünschen sich, dass auch ihre Website genauso funktioniert wie alle anderen Websites, die sie bereits kennen.
Kapitel 2: Minimaler Aufwand für maximalen Erfolg – Fitts’ Gesetz
Die Zeitdauer bis zum Erreichen eines Ziels ist eine Funktion der Entfernung und der Größe des Ziels.
Kapitel 3: Weniger Auswahl, schnellere Reaktion – Hicks Gesetz
Die für eine Entscheidung erforderliche Zeitdauer steigt mit der Anzahl und Komplexität der Auswahlmöglichkeiten.
Kapitel 4: Kleine Einheiten, großer Erfolg – Millers Gesetz
Menschen können durchschnittlich nur 7 (± 2) Elemente in ihrem Arbeitsgedächtnis behalten.
Kapitel 5: Vorausschauend planen – Postels Gesetz
Seien Sie konservativ bei dem, was Sie tun, seien Sie großzügig bei dem, was Sie von anderen akzeptieren.