Dornröschen und der Mettsommernachts-Traum. Nina MacKay

Dornröschen und der Mettsommernachts-Traum - Nina MacKay


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errät Rose meine Gedanken, denn als sich unsere Blicke treffen, sagt sie: »Wenn ihr jetzt loswollt, dann tut es. Vertrau mir, ich werde nicht zulassen, dass deiner Großmutter etwas passiert. Der Plan mit der Zwölften Fee ist absolut wasserdicht.«

      Ich hoffe es. Gern möchte ich ihr in dieser Sache vertrauen. Meine Großmutter hat schon so viel durchgemacht. Ein Wunder, dass sie nie eine anhaltende Wolfsphobie hatte so wie ich. Der Gedanke lässt mich schlucken. Weil ich sofort wieder Ever vor Augen habe.

      »In Ordnung.« Notfalls schicke ich die Jäger, sobald die Deadline sich nähert. Noch zwei Stunden und achtundfünfzig Minuten. Dennoch nagt in mir das unbestimmte Gefühl, dass so vieles schiefgehen kann. Dass sich die Dreizehnte Fee an meiner Großmutter vergreift. Dass Charming ausrastet. Schnell wische ich mir eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel und hoffe, dass sie keiner außer mir bemerkt hat. Ich muss an das große Ganze denken. An den Märchenwald. An meine Heimat.

      Gerade öffne ich den Mund, schiebe sanft Jaz’ Hand von meiner Schulter, da klatscht etwas von außen gegen die Fensterscheibe. Etwas Großes.

      »Was bei allen Sieben Geißlein ist das?«, fragt Rapunzel erstickt.

      Das Mädchen, das soeben gegen Snows Scheibe gedonnert ist und dort einen beeindruckenden Fettfleck hinterlassen hat, rutscht an ebendieser hinunter. In Zeitlupe, wobei sie ziemlich weggetreten wirkt.

      Ihre Flügelchen zucken. Ein geflügeltes blondes Mädchen. Etwas älter als wir.

      Meine Augenbrauen wandern nach oben, ohne dass ich es verhindern kann.

      Während alle anderen ziemlich verwirrt schauen, macht Rose eine ausladende Handbewegung in Richtung Fenster. »Flavia, die Zwölfte Fee.«

      Flavias Zunge hängt halb aus ihrem Mund und rutscht etwas zeitverzögert zu ihrem Körper am Fenster hinab.

      »Entzückend«, bemerkt Snow.

      Mit ihrer Minifaust donnert die Herzkönigin gegen die Scheibe.

      Das weckt die Fee auf. »Aloha!«

      Rapunzel dreht sich zu mir um. »Alohomora?«

      Ich schüttle den Kopf.

      »Könnte mal jemand das Fenster aufmachen?«

      Rexia schaltet als Erste, ungefähr in dem Moment, in dem die Fee wieder zu sich kommt und beginnt, in der Luft zu flattern.

      Nachdem sich Flavia, die Fee, einmal geschüttelt und mit der rechten Hand zweimal gegen den Schädel geschlagen hat, schwebt sie herein. Für eine Fee ist sie tatsächlich sehr klein. Kaum größer als die Herzkönigin.

      »Feen hatte ich irgendwie eleganter in Erinnerung«, meint die Grinsekatze.

      »Warum bist du nicht durch die Tür gekommen?«, frage ich.

      »Am Telefon sagte Rose, dass es dringend ist«, piepst die Fee.

      Na, das erklärt natürlich alles. Meine Stirn legt sich schmerzhaft in Falten.

      Die Zwölfte Fee also. Mir war, als hätte ich da neulich etwas auf Instagram über sie gelesen. Aber was war das?

      »Bist du nicht die Fee, die als einzige noch ihre Magie hat? Abgesehen von der Dreizehnten? Die anderen elf wurden rechtskräftig verurteilt und ihrer Magie beraubt?«

      »Oder sind verschwunden.« Flavia nickt, zieht dann an ihrem silbernen Kleidchen, an dessen Saum bunte Blüten aus Stoff genäht sind. Rosen, Lilien, Sonnenblumen … Sie wirkt wie eine Hippie-­Astronautin mit blonden Locken. Ganz so, als würde sie sich an Pains Hairstyling-Youtube-Kanal orientieren.

      Nicht im Mindesten mehr peinlich berührt, umkreist die Fee die Herzkönigin und landet dann direkt vor Rose.

      »Hach, ist das schön, dich wiederzusehen, kleine Prinzessin.«

      »Finde ich auch.« Rose lächelt die Fee an, die bei der Feier zu ihrer Geburt einen guten Wunsch geschenkt hat. So viel weiß ich. »Wir haben Ärger mit der Dreizehnten Fee, Flavia.«

      »Mit der, über deren Namen wir schweigen?« Die Zwölfte Fee reißt den Mund auf und presst beide Fäuste gegen die Wangen. Das verleiht ihr das Aussehen einer dieser Porzellanpuppen, die bei manchen Omas auf den Sofalehnen sitzen. Dabei fällt mir auf, dass sie einen Feenzauberstab in der linken Hand hält. Komplett weiß, aus gedrehtem Weidenholz, wenn ich mich nicht irre. Sieht sehr kunstvoll aus.

      »Wir brauchen deine Hilfe«, fährt Rose fort. »Die Dreizehnte Fee hat …«

      Doch bevor wir das bestätigen können, niest die Fee ganz entsetzlich laut. Ungefähr in derselben Lautstärke wie ein vorbei­donnernder Achtspänner. Mit Hufeisen. Dann, vollkommen unerwartet, sprühen silbrige Funken aus ihrem Zauberstab, ohne dass sie etwas gesagt hätte.

      Nanu? Was hat das zu bedeuten? Vor Schreck, so scheint es jedenfalls, hören sogar die Äffchen auf, am Kronleuchter zu schaukeln.

      »Bei allen Kurzhaar-Rosetten!«, kreischt Gretel. »Wie seht ihr denn aus?«

      Wie? Zuerst verstehe ich nicht, was sie meint, doch dann fällt mein Blick auf Rose, auf Snow, dann auf Jaz, Asher, die Hexen, Gretel, ja sogar die Äffchen. Alle tragen Schnurrbärte. Im Gesicht.

      Rapunzel tastet nach der braunen Rotzbremse unter ihrer Nase. »Waa … was? Was ist das?«

      Blitzschnell zieht Cinder ihren Schminkspiegel aus einer Falte ihres Kleides. »Bitte sagt mir, dass mein Spiegel kaputt ist.«

      »Ähm.« Ein ziemlich verwirrt dreinblickender Spieglein erscheint im Spiegelglas. »Du siehst aus, als hätte man dir eins von Gretels Meerschweinchen ins Gesicht geklebt.«

      »Das warst du, oder?« Mit einer Hand an ihrem Mund, die den tiefschwarzen Mafiosi-Schnurrbart betastet, dreht sich die Herz­königin zur Zwölften Fee um. »Deine Funken. Du hast geniest und Puff

      Die Zwölfte Fee verzieht das Gesicht zu einer schuldbewussten Grimasse, die deutlich macht, dass ihr so etwas häufiger passiert, und plötzlich erinnere ich mich, dass ich etwas Ähnliches auf Instagram gelesen habe. Die Zwölfte Fee hatte allen Äpfeln auf dem Wochenmarkt Beine gezaubert, sodass die Bauern ihr Obst einfangen mussten. Erschöpft seufze ich. Warum fangen wir uns nur immer wieder mehr Probleme als Lösungen ein?

      »Tut mir leid, ich hab mich einfach nicht im Griff.«

      »Was soll das heißen?«, fragt Snow scharf. »Nicht im Griff? Definier das, bitte.«

      »Unkontrollierte Gefühlsausbrüche führen zu unkontrollier­barer Magie.«

      Verflucht noch mal! Unter meine Nase juckt es. Und nicht nur das. Es scheint mich überall im Gesicht zu kitzeln. Kratzige Schnurrbarthaare!

      »Mach das sofort weg.« Pan deutet zuerst auf seinen eigenen und dann auf Cinders Schnurrbart.

      »Jaja, Moment.« Die Fee kratzt sich am Hinterkopf, wodurch ihre Haare wie ein Hahnenkamm abstehen. Glitzerstaub rieselt zu Boden.

      Mein linkes Augenlid beginnt zu zucken.

      »Ich hab’s gleich, ich hab’s gleich.« Sie presst die Lippen aufeinander, wedelt mit dem Zauberstab und sagt: »Peng.«

      Stille.

      Das kratzige Gefühl erstirbt und nach einem Blinzeln erkenne ich, dass wir alle wie frisch rasiert wirken. Selbst die Grinsekatze. Als ob ihr jemand das Fell unter der Nase glatt gebügelt hätte. Besser wir reichen Grin vorerst keinen Spiegel.

      »Peng? Ich habe noch nie zuvor einen dämlicheren Zauberspruch gehört«, sagt Snow.

      »Oh doch, da gibt’s viele«, sagt die Fee leichthin. Erst letztens habe ich jemanden sagen hören: Mortadella, Hot Dog. Sushi.«

      »Hmpf«, sagt Snow.

      Rapunzel kichert und schielt auf Snows Ebenholzzauberstab.

      Die Ader an Snows Schläfe ist in diesem Augenblick genauso ausgeprägt wie die Verschlingungen am


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