Cannabis in der Medizin. Manfred Fankhauser

Cannabis in der Medizin - Manfred Fankhauser


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dass der Marihuana-Konsum in einigen Städten der Vereinigten Staaten ein bedrohliches Ausmaß angenommen habe, berief der damalige Bürgermeister von New York, Fiorello LaGuardia, eine Expertenkommission ein, um eine wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen. Mediziner und Soziologen konnten jedoch nicht bestätigen, dass die allgemeinen Vorurteile gegenüber Marihuana berechtigt waren. Nach ungefähr vierjähriger Arbeit stellte die Expertengruppe zusammenfassend fest:

      «Personen, die mehrere Jahre lang Haschisch geraucht haben, zeigten keine geistigen oder körperlichen Schäden, die der Droge zugeschrieben werden können» (LEONHARDT 1970: 26).

      Obschon seit Beginn des 20. Jahrhunderts laufend neue industriell hergestellte Cannabismedikamente auf den Markt kamen, ging der Gebrauch der Hanfpräparate in einigen Ländern (zum Beispiel in England) bereits wieder zurück (zu den Gründen siehe weiter unten).

      Die wissenschaftliche Erforschung des (Indischen) Hanfs hingegen wurde intensiv weitergeführt. Weiterhin waren es vor allem die Franzosen, die sich auf dem Gebiet der Hanfforschung hervortaten. Ein immer wiederkehrendes Thema war die Standardisierung der Hanfmedikamente: man war bemüht, diese sicherer zu machen. Auch in anderen Ländern Europas, beispielsweise Deutschland, blieb die pharmakologische Forschung mit Hanf nicht stehen. Renommierte deutsche Firmen wie Boeringer Ingelheim und insbesondere Merck in Darmstadt interessierten sich sehr für Cannabis. Merck wurde im Laufe der Zeit zum wichtigen Lieferanten für cannabishaltige Halbfabrikate wie Cannabinum tannicum (vgl. Abb. 10), aus welchem die Apotheken gebrauchsfertige Medikamente (zum Beispiel Pillen) herstellten. In der Schweiz nahmen die Basler Platzhirsche Hoffmann-La Roche und die Ciba (später Ciba-Geigy, heute Novartis) eine Pionierrolle ein. Interessant ist, dass sich die dritte große Basler Firma, Sandoz (heute Novartis), damals anscheinend nicht mit Hanf beschäftigte. Aufgrund ihrer damaligen Spezialisierung in Richtung Pflanzenalkaloide ließe sich dies zwar vermuten, aber es finden sich keine Hinweise darauf. Der Entdecker des LSD, Albert Hofmann, der seit 1929 bei Sandoz beschäftigt war, hatte zwar im Laufe der Zeit mit einigen psychotropen Substanzen nebst LSD experimentiert, nie aber mit Cannabis, wie er in einer persönlichen Mitteilung festhielt (briefliche Mitteilung von A. HOFMANN 1994).

      Abb. 10: Inserat der Firma Merck, Darmstadt, um 1885.

      Abb. 11: Sammlung Tschirch: Exponate von Cannabis indica und Cannabis sativa.

      In der Schweiz war es neben Basel vor allem die Hauptstadt Bern, welche sich zur eigentlichen Hochburg der Haschischforschung entwickelte. Unter der Leitung des bekannten Pharmakologen Emil Bürgi erschienen in der Zeit von 1910 bis 1946 circa 30 Dissertationen zum Thema Cannabis. Bei einer Mehrzahl dieser Arbeiten wurde die Kombination eines Arzneistoffes mit Cannabis untersucht. Praktisch immer kamen die Autoren zu einem positiven Ergebnis in dem Sinne, dass eine Wirkungsverstärkung eintrat. Aufgrund dieser Ergebnisse kamen schließlich die hanfhaltigen Medikamente Indonal «Bürgi«, Indothein «Bürgi» und das Schlafmittel Satival auf den Markt.

      Aus dieser Zeit stammt die vom bekannten Pharmakognosten und Pharmazieprofessor Alexander Tschirch aufgebaute Drogensammlung in Bern. Die mehrere tausend Exponate umfassende Sammlung enthält auch einige Exemplare von Cannabis beziehungsweise Haschisch (vgl. Abb. 11).

       Eine Ära geht zu Ende

      Nachdem Cannabispräparate um die Jahrhundertwende noch rege benutzt worden waren, verschwanden sie gegen Mitte des 20. Jahrhunderts vollständig. Die Gründe dafür finden sich nachfolgend.

       Medizinische Entwicklung

      Für alle Hauptanwendungsgebiete von Cannabispräparaten wurden noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts neue spezifische Arzneimittel eingeführt. Zur Behandlung von Infektionskrankheiten wie Cholera oder Starrkrampf entwickelte man Impfstoffe, die nicht nur wie Cannabis die Symptomatik bekämpften, sondern sogar Schutz vor Infektionen boten. Andere bakterielle Erkrankungen wie die Gonorrhoe, die häufig mit Cannabis therapiert wurden, ließen sich etwas später durch das Aufkommen der Chemotherapeutika erfolgreich behandeln. Als Schlaf- und Beruhigungsmittel erhielt Cannabis indica Konkurrenz in Form chemischer Substanzen wie Chloralhydrat, Paraldehyd, Sulfonal, Barbituraten und Bromural. Auch als Analgetika wurden Cannabispräparate – im Gegensatz zu zahlreichen Opiatmedikamenten – bald von chemischen Mitteln verdrängt. Antipyrin und vor allem Aspirin (Acetylsalicylsäure) erlangten schon kurz nach ihrer Einführung große Bedeutung.

       Standardisierungsproblematik

      Mehrmals wurde darauf hingewiesen, dass die unterschiedliche Wirksamkeit der Haschischpräparate auffiel. Verschiedene Faktoren wie Provenienz, Alter, Lagerung oder die Verarbeitungsform der Droge waren dafür verantwortlich, dass das Arzneimittel entweder hochwirksam war oder unwirksam blieb. Anders als beispielsweise bei Alkaloid-Drogen wie dem Opium gelang die Isolierung und vollständige Strukturaufklärung des Hauptwirkstoffes THC erst Mitte des 20. Jahrhunderts: damit verbunden war vorgängig die Schwierigkeit der Standardisierung.

       Wirtschaftliche Aspekte

      Durch Einschränkungen in den Produktionsländern (vor allem in Indien) und bedingt durch die beiden Weltkriege wurde es immer schwieriger, hochwertigen Indischen Hanf nach Europa zu importieren. Auch für Cannabis galt das Gesetz von Angebot und Nachfrage, was bedeutete, dass die Preise sowohl der Rohprodukte als auch der Präparate massiv anstiegen. In der Konsequenz bedeutete dies: Cannabismedikamente wurden (zu) teuer.

       Rechtliche Einschränkungen

      Durch die immer restriktiveren internationalen und nationalen Gesetzgebungen wurde die Verwendung von Cannabispräparaten je länger je mehr eingeschränkt. Immer öfter wurden Haschischpräparate der Betäubungsmittelpflicht unterstellt, was ihre Anwendung in der Praxis massiv erschwerte, bis schließlich ein generelles Verbot die Verwendung verunmöglichte. Im Jahr 1958 war die medizinische Verwendung von Cannabis weltweit noch in 26 Ländern der UNO erlaubt.

      1961 wurde dann das internationale Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs) verabschiedet. Dieses Gesetz führte zu einem weltweiten Verbot von Cannabis auch für medizinische Zwecke, einzig die wissenschaftliche Erforschung von Cannabinoiden war noch erlaubt. Diese Ausnahmeregelung sollte sich noch als wertvoll erweisen, denn so konnte weiterhin mit Cannabis geforscht werden.

       Die Renaissance

      Bereits drei Jahre nach der Unterzeichnung des Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel gelang es den israelischen Wissenschaftlern Yechiel Gaoni und Raphael Mechoulam, die chemische Struktur des Hauptcannabinoids Tetrahydrocannabinol (THC), aufzuklären. Bereits ein Jahr vorher war Mechoulam das Gleiche mit Cannabidiol (CBD) gelungen (vgl. Expertengespräch Seite 173).

      In den folgenden drei Jahrzehnten kamen nur wenige neue Erkenntnisse über die medizinische Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden ans Licht. Gleichzeitig wurde Hanf ab Mitte der 1960er Jahre zur ultimativen Droge der Hippie-Bewegung. Der rekreative Gebrauch von Cannabis («Kiffen») eroberte die Welt und war nicht mehr aufzuhalten. Für die Medizin bedeutete dies allerdings, dass


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