Der Schmetterlingsmann. Wolfgang Brunner

Der Schmetterlingsmann - Wolfgang Brunner


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Wieso ich das tat? Ich kann es Dir nicht erklären. Es war der Ruf, der mich dazu brachte.

      Wenn ich Dich ansehe, erfüllt mich Liebe. Du bist mein Schmetterling: weich und zerbrechlich, aber auch gleichzeitig anmutig und stark.

      Und ich bin der Mann an Deiner Seite.

      Aber zurück zu dem geheimnisvollen Ruf. Ich hörte ihn, kurz nachdem wir uns hingelegt hatten und ich mich, geborgen in der Sicherheit unserer Traumillusionen, von den Strapazen des Tages erholen wollte.

      Ich war schon unruhig, als ich die Augen schloss, während Du mit einem leisen Seufzen, in die sichere Welt der Träume übergetreten bist. Wir hatten uns über die Liebe unterhalten und vielleicht schlief ich deswegen mit diesem Gedanken ein.

      Ich kann mich nicht erinnern, ob es der sanfte Gesang des Windes oder der gleichmäßige Ruf eines Nachtvogels war, der mich aus meinem ohnehin nicht tiefen und unruhigen Schlaf riss. Durch das geöffnete Fenster strömte ein kühler Wind ins Zimmer.

      Eine Zeitlang lag ich mit offenen Augen da und starrte in die Dunkelheit, lauschte dem Zusammenspiel von Wind und Vogelruf und wartete, bis mich das Leben vollends aus den Umarmungen meines seichten Schlafes gerissen hatte.

      Meine Stirn war feucht und ich versuchte angestrengt, mich an einen möglichen Albtraum zu erinnern. Als ich langsam aus der Wärme der Bettdecke glitt, spürte ich erneut in Gedanken Deine weiche Haut, als streichelten meine Finger über Deinen Körper, der im Traum gefangen war.

      Was ist Liebe?

      Die Stimme, ich nenne sie den Ruf, klang sanft und angenehm. Nicht aufdringlich, aber bestimmend genug, um mich aufhorchen und innehalten zu lassen. Ich neigte den Kopf zur Seite, als wäre es hilfreich, weitere Worte besser zu verstehen.

      Der Ruf verstummte einen Moment.

      Ich saß am Rand des Bettes und starrte in die Nacht. Der Mondschein warf einen silbernen Streifen auf den Boden, der mir wie eine Grenze erschien, die es zu überschreiten galt.

      Was ist Liebe?

      Da war sie wieder! Ich kniff die Augen zusammen und wartete.

      Wenn du wissen willst, was Liebe bedeutet, so suche einen Ort, an dem du in Ruhe darüber nachdenken kannst.

      Ich drehte mich in Deine Richtung und mein Blick schweifte über Deine nackte, halb unter der Decke verborgene Silhouette.

      Denkst du, das ist Liebe?

      Ich nickte unbewusst und richtete meinen Blick verwirrt auf das offene Fenster.

      Was war das für eine seltsame Stimme, die mit mir über die Liebe diskutieren wollte?

      Du nennst sie Schmetterling. Warum?

      »Weil ...« Ich verstummte und schloss die Augen. »Weil sie mein Schmetterling ist«, hauchte ich nach ein paar Sekunden und fasste mir an die Stirn. »Wer bist du?«, traute ich mich zu fragen, obwohl ich mir der Unwirklichkeit der Situation bewusst war.

      Ich bin der Geist der Liebe, war die Antwort. Ich erhob mich und tastete nach meiner Armbanduhr auf dem Nachttisch neben dem Bett.

      03:13 Uhr!

      Ich fand auf dem Tisch noch eine Plastikverpackung, die zu Boden fiel und sich mit einem leisen Rascheln verformte.

      »Was …?«

      Meine Augen versuchten die Dunkelheit neben dem Bett zu durchdringen. Der Schein des Mondes reichte nur bis ans Fußende und ließ den oberen Bereich unseres Schlafplatzes in vollkommenem Schwarz.

      Als meine Finger die Plastikverpackung endlich fanden, blitzte eine Erinnerung in meinen Gedanken auf. Wir hatten uns geliebt und danach, wie meistens, geredet. Dabei hatte ich eines der Bonbons gegessen, deren Verpackung ich gerade in der Hand hielt. Hatten wir uns gestritten? Nein!

      Ich erinnerte mich, dass wir über unsere Wertschätzung zueinander sprachen. Du hast mich gefragt, ob ich vergessen hätte, wie es ist, Dich zu lieben.

      Nutz die Chance und denk über die Liebe nach, raunte die Stimme, der Ruf, und ich ließ die Folie wieder zu Boden fallen, als müsste ich diesem geheimnisvollen Befehl unverzüglich Folge leisten.

      „Was soll ich tun?“

      Geh in ein Hotel. Schließe das Zimmer, das du mietest und die Augen. Dann versuche, das Geheimnis der Liebe zu ergründen. Es wird eine außergewöhnliche Erfahrung werden. Ich verspreche es dir.

      Ich lachte leise und drehte mich zu Dir um.

      »Das ist verrückt«, flüsterte ich und überlegte, Dich zu wecken.

      Wenn du wissen willst, ob du sie liebst, solltest du sie schlafen lassen, warnte mich die Stimme. Folge meinem Ruf!

      Und weißt Du was? Ich gehorchte, verließ die Wohnung und machte mich auf die Suche nach einem Hotel.

      Meine Müdigkeit war in dem Moment verflogen, als ich an die frische Luft kam. Leichte Kopfschmerzen plagten mich, während ich durch die menschenleeren Straßen streifte und überlegte, was mit mir geschah. Einerseits erlebte ich das Ganze wie einen Traum, andererseits fühlte ich mich wach. Ich betrachtete die Fassaden der Häuser und spekulierte darauf, irgendeinen Hinweis zu finden, dass es sich um einen Traum handelte.

      Geh in ein Hotel. Schließe das Zimmer, das du mietest und die Augen. Dann versuche, das Geheimnis der Liebe zu ergründen. Es wird eine außergewöhnliche Erfahrung für dich werden. Das verspreche ich dir, erklang der Ruf, der Geist der Liebe, in meinem Schädel.

      Ich erreichte eine Tankstelle, die geöffnet hatte, und kaufte eine Flasche Wasser.

      Von der Aushilfskraft an der Kasse abgesehen, hatte ich noch keine Menschenseele erblickt. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, als mir bewusst wurde, was ich machte. Ich suchte mir auf Anraten einer mysteriösen Stimme ein Hotel, um über die Liebe nachzudenken.

      Kurzzeitig überlegte ich, kehrtzumachen und mich neben Dich ins warme Bett zu legen. Aber ich setzte den Weg fort und führte das begonnene Vorhaben aus.

      Ich war neugierig, was mich erwartete, wenn ich dem Ruf folgte.

      Ich machte mir Gedanken, ob ich überhaupt Geld dabei hatte. In meiner rechten Hosentasche ertastete ich mein Portemonnaie und zwei der Bonbons, die noch in Plastikfolie eingewickelt waren und die ich vom Nachtisch mitgenommen hatte.

      Ich betrachtete die Süßigkeiten. Sie kamen mir plötzlich wie eine Droge vor und für einen Moment blitzte erneut der Gedanke auf, ich befände mich lediglich in einem Traum.

      Bis mich das flackernde Licht einer Außenanzeige innehalten ließ, war ich schon eine Weile unterwegs gewesen. Es war die Reklame einer billigen Absteige. Hotel Schicksal stand auf dem Schild.

      Ich gluckste leise und atme tief ein, bevor ich die Tür aufdrückte und in den mit stickiger Luft erfüllten Raum dahinter trat.

      Ein Mann mit einem zottigen Bart saß hinter der Theke, die mich eher an einen alten Metzgerladen als eine Hotelrezeption erinnerte.

      »Ein Gast«, seufzte er unnötigerweise und erhob sich mit einem lauten Ächzen. »Sie wollen ein Zimmer?«, er blickte auf die Uhr und schüttelte den Kopf. »Um diese Zeit?«

      Ich gab keine Antwort und näherte mich dem Tresen, der seltsam auf mich wirkte, obwohl ich nicht erklären konnte, weshalb.

      »Alleine?«, knurrte der Alte.

      Nickend stellte ich die Wasserflasche auf die Holztheke und legte einen Geldschein daneben. »Alleine«, antwortete ich mit leiser Stimme. »Ich brauche das Zimmer nur für ein paar Stunden.«

      »Verstehe«, antwortete der Mann. »Nur ein paar Stunden«, wiederholte er meine Worte und sah hinter mich, als erwarte er jeden Moment, dass die Tür aufginge und eine aufreizende Dame das Hotel beträte, um mit mir auf das Zimmer zu gehen.

      »Alleine«,


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