Der Schmetterlingsmann. Wolfgang Brunner

Der Schmetterlingsmann - Wolfgang Brunner


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ertragen, bis er sich in Glück verwandelt?«

      Ja, das ist das Geheimnis. Wer die Liebe versteht, erträgt die Qualen, die in Wahrheit gar nicht existieren. Es ist die Erfüllung einer Liebe, in der die Menschen seelischen Schmerz zu erkennen vermeinen, antwortete das Tier.

      »Erfüllung?«

      Wir alle brauchen Licht. Wenn ich dir die Formen der Liebe zeige, wirst du es verstehen. Dein Zimmer wird heller sein als je zuvor, wenn du die wahre Liebe kennst.

      Ich beobachtete, wie weitere Schmetterlinge auf der Bettkante landeten und sich zu den anderen gesellten.

      »Das kann nur ein Traum sein«, murmelte ich. »Oder werde ich etwa verrückt?«

      Nein!, widersprach die Stimme. Diejenigen, die ihr ganzes Leben lang nach der Liebe suchen und sie nicht finden, werden verrückt. Ich werde dir helfen, sie zu verstehen.

      »Warum?«

      Es ist ein Geschenk.

      »Wo bin ich?«, erkundigte ich mich, weil ich plötzlich doch nicht mehr sicher war, mich in einem Traum zu befinden.

      Wo immer du wünschst zu sein. Traum oder Leben … für die Liebe ist es nicht relevant. Im Grunde genommen ist es ein und dasselbe.

      Ich betrachtete die zierlichen Körper der Schmetterlinge und überlegte, ob sie etwas mit Dir zu tun hatten, vielleicht in diesem Traum das Abbild meiner Liebe zu Dir darstellten.

      Lass dich fallen und höre zu. Höre UNS zu, denn WIR SIND DIE LIEBE …

      Sieh her! Uns gehört die Ewigkeit!

      Die Schmetterlinge klangen erregt, als würden sie sich auf die erste Lektion freuen. Wir sind der Geist des Kusses.

      Ich horchte auf. Ein Kuss war etwas Greifbares für mich, deshalb war ich an dieser Art der Liebe interessiert.

      Der Kuss ist Bestandteil der körperlichen Liebe. Dennoch ist er etwas Eigenes und Besonderes.

      Ich drehte mich den Tieren zu. Wie auf ein unhörbares Kommando erhoben sie sich in die Luft und formten neben dem Bett einen wirbelnden Körper, der mich an ein kleines Kind erinnerte.

      Eine Erinnerung an eine der ersten Nächte, die ich mit Dir verbrachte, erblühte vor meinem inneren Auge. Wir lagen Arm in Arm im Bett und betrachteten den Mond, dessen Schein ins Zimmer floss, als wäre das Licht eine verzauberte Flüssigkeit. Die Szenerie hatte große Ähnlichkeit mit meinem Erwachen vor ein paar Stunden, als der Ruf mich geweckt hatte.

      »Was denkst Du?«, hattest Du mich gefragt.

      Ich sah Dich an und lächelte. »Nichts«, habe ich erwidert. »Und doch so viel«, setzte ich hinzu.

      »Als du mich gerade geküsst hast …«. Du hattest deinen linken Arm über meine Brust gelegt und verträumt meine Haut gestreichel., »In dem Moment, in dem Deine Lippen die meinen berührten, fühle ich Vertrauen. Klingt verrückt, oder?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Nein, wieso? Ich vertraue Dir, warum solltest Du es also nicht auch spüren können?«

      Du hast gelacht. »Ich weiß nicht«, dann hast Du einen Moment gezögert, bevor Du weitersprachst. »Es war, als würde die Berührung der Lippen unsere Seelen miteinander verbinden. Dein Kuss versetzt mich in den Zustand eines Traumes, den man mit offenen Augen erlebt. Weißt Du, was ich meine? Deine Lippen sind weich und warm. Sie zu berühren, gibt mir das Gefühl, zu leben. Ich liebe Dich«, hast Du gemeint und mir einen Kuss auf die Wange gehaucht.

      »Ich liebe Dich auch«, erwiderte ich und habe Dich umarmt.

      Wusstest du in jenem Augenblick, wie sehr du sie liebst?, wollten die Schmetterlinge wissen und rissen mich aus meinen Erinnerungen.

      »Ich … ich liebte sie in diesem Augenblick«, stammelte ich.

      Aber wusstest du, wie innig diese Liebe war?

      Ich überlegte und schüttelte dann träge den Kopf. »Es war ein Gefühl des Augenblicks, aber nicht …«

      … für die Ewigkeit!

      Ich nickte.

      Sieh her!, verkündeten die Falter. Uns gehört die Ewigkeit!

      Ich lachte und eine Gänsehaut kroch über meinen Körper, als ich plötzlich ein zweites Mal spürte, wie sehr ich dich damals liebte und dass diese Liebe noch immer in mir steckte, frisch wie am ersten Tag.

      Würdest du sie jetzt küssen, wären deine Empfindungen anders.

      »Küsse sind wertvoll wie Schätze. Man muss ihre Bedeutung erst finden und sie sich dann verdienen. Ein Kuss ist das Atmen zweier Seelen.«

      Du begreifst.

      »Ein Kuss ist nicht nur, wenn sich zwei Münder berühren. Es ist, als atme man das Leben eines anderen ein und gibt gleichzeitig etwas von seinem eigenen ab.«

      So hast du verstanden, war die Antwort und die Tiere flatterten ans Fußende der Bettseite neben mir, wo sie sich zu einer neuen Figur formten. Als sie erstarrten, erkannte ich darin die Form eines Fußes und den oberen Teil eines Beines.

      »Was ist das?«, wollte ich wissen.

      Es sah aus, als versuchten die Schmetterlinge, ein menschliches, rechtes Bein nachzuahmen.

      Ich wollte mich gerade von dem Kuriosum abwenden, als mein Blick auf meine eigenen Beine fiel. Mein Herz schlug schneller, als ich registrierte, dass genau dieser Teil meines Beines, der auf der anderen Seite des Bettes von den Schmetterlingen nachgebildet worden war, an meinem echten Körper fehlte!

      Es sah aus, als hätte jemand ihn einfach wegradiert und es wäre dort nie etwas gewesen. Die Kanten wirkten leicht faserig und ich konnte die Bettwäsche des Hotels sehen, wo eigentlich mein Bein hätte sein sollen

      Ich kniff irritiert die Augen zusammen, als ein Schmetterling aus der Körperöffnung kroch, in die Luft flatterte und sich wenig später auf meiner Brust niederließ.

      Die Nachbildung meines Beines auf der anderen Bettseite lag einsam da, verursachte mir aber auf keinerlei Weise Angst oder gar Abscheu, sondern wirkte eher wie ein märchenhafter Traum. Einzig der gelbliche Schimmer der vielen Schmetterlingsflügel, die das Gliedmaß bildeten, deutete darauf hin, dass es sich nicht um meines, sondern um eine Nachbildung aus Insektenkörpern handelte.

      »Was passiert hier?«, sagte ich leise.

      Wir zeigen dir die Liebe, die in dir steckt, sagte der Schmetterling auf meiner Brust.

      Hinter ihm erschienen weitere Insekten, wurden aus meinem Bein geboren und ließen es mit ihrem Erscheinen gleichzeitig auch verschwinden.

      »Wie macht ihr das?«

      Dir wird nichts geschehen, beruhigten mich die neuen Schmetterlinge. Lass dich fallen.

      Obwohl ich wusste, dass das alles nicht real sein konnte, erfasste mich kurzzeitig ein panikartiges Gefühl. Ich bekam plötzlich Angst, meinen ganzen Körper zu verlieren.

      Ich hasste derartige Träume und konzentrierte mich, daraus zu erwachen.

      Du träumst nicht, riss mich die Stimme eines der Schmetterlinge aus meinen Bemühungen.

      »Wenn ich weder träume noch wach bin, was geschieht dann mit mir?«

      Wir sind in dir drin. Und jetzt kommen wir aus dir heraus. Es ist die Liebe, mit der du kommunizierst.

      Ich ließ mich mit einem Seufzen in das Kissen zurückfallen und schloss die Augen.

      »Okay, dann weiter. Zeigt mir die Liebe«, ergab ich mich.

      Sieh her! Uns gehört


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