Neulich in Amerika. Eliot Weinberger

Neulich  in Amerika - Eliot Weinberger


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gibt Staatsstreiche, die von mächtigen Personen geführt werden, um selbst an die Macht zu kommen, und solche, bei denen mächtige Interessengruppen eine Galionsfigur installieren. Bei der amerikanischen Variante geht es offenkundig um Letzteres. Wenn man George W. Bushs bisherige Amtstätigkeit betrachtet, so ist er der am wenigsten qualifizierte Mensch, der jemals Präsident geworden ist. Den Großteil seines Lebens hat er so verbracht, wie es typisch ist für eine uns aus spätpubertären Tagen vertraute Art: der reiche Bad Boy, der andauernd mit neuen Ideen für eine Party oder einen üblen Scherz ankommt; Enkel eines bekannten Senators und Botschafters; Sohn eines Kongressabgeordneten, Botschafters, CIA-Chefs, Vizepräsidenten und Präsidenten. Die guten Kontakte seiner Familie brachten ihn nach Yale und Harvard, wo er seine Zeit unter anderem mit solchen Aktivitäten verbrachte, wie neu aufgenommene Mitglieder seiner Studentenverbindung persönlich mit einem heißen Eisen zu brandmarken. Die Familie sicherte ihm gute Abschlussnoten und Millionenkredite von reichen Freunden, um damit Geschäfte zu machen, die samt und sonders den Bach hinuntergingen.

      Der Erfolg stellte sich ein, als sein Vater Präsident wurde. Eine Gruppe von texanischen Millionären beschloss, ein mittelmäßiges Baseballteam zu kaufen, und ganz hinterlistig setzten sie den Sohn des Präsidenten als Generalmanager dieses Teams ein. Seine Aufgabe bestand darin, den Staat Texas dazu zu bringen, dem Team ein Stadion zu bauen, und zwar auf Kosten der Steuerzahler. Bush hatte Erfolg damit, ein luxuriöses Stadion wurde gebaut, das die Leute in Scharen anzog. Bush jr. war zweifellos ein freundlicher und überzeugender Typ, und jetzt, da er seinen lebenslangen Exzessen mit Alkohol und Drogen abgeschworen und, wie man so sagt, Jesus Christus in sein Herz gelassen hatte, erkannte man auf den Golfplätzen, auf denen derlei Entscheidungen getroffen werden, dass der Junior einen prima Gouverneur abgeben würde. Einige Monate nach seiner Wahl wurde die Baseballmannschaft für ein Vermögen verkauft, und die Geschäftspartner beschlossen, ihm – aus eigener Tasche – viele Millionen mehr als seinen regulären Anteil zu zahlen. Das war natürlich nur in Anerkennung seiner Verdienste und hatte nichts damit zu tun, dass er als Gouverneur milliardenschwere Aufträge zu vergeben hatte.

      Bush ist womöglich nicht so dumm, wie es unermüdlich von den Cartoonisten und Fernsehkomikern dargestellt wird – auf einer der im Augenblick populärsten Seiten im Internet, bushorchimp.com, werden Fotos von Bush neben die von Schimpansen gestellt –, doch er ist vermutlich der am wenigsten interessierte Mensch auf Erden. Was bisher über ihn bekannt geworden ist, besteht aus dem, was er nicht tut. Er liest keine Bücher, geht nicht ins Kino, schaut nicht fern und hört sich keine Musik an. Trotz seines Reichtums beschränken sich seine bisherigen Auslandsreisen auf einen Strandurlaub in Mexiko, eine kurze Dienstreise nach Saudi-Arabien und einen Sommerurlaub in China, als sein Vater dort Botschafter war, wo er die Zeit damit zugebracht haben soll, »mit Chinesinnen auszugehen«. Während der fünf Wochen dauernden Auseinandersetzung um die Wahlergebnisse blieb Bush auf seiner Ranch, wo er keinen Fernseher hat. Mit anderen Worten: Bush war die einzige Person in den Vereinigten Staaten, die von den Feinheiten der nicht enden wollenden Geschichte nicht wie hypnotisiert war. Wie bei einem chinesischen Kaiser bestand Bushs Informationsquelle allein in dem, was ihm seine Bonzen zutrugen.

      Er geht um zehn Uhr zu Bett und hält einen langen Mittagsschlaf; er hat stets sein Schlummerkissen bei sich. Er spielt gern Solitaire auf dem Computer, dazu ein Spiel namens Video Golf; seine Lieblingsspeise ist ein Erdnussbuttersandwich. Als Gouverneur las er niemals Akten, sondern ließ sich von Assistenten Zusammenfassungen vortragen; Details langweilen ihn. Seine Schwierigkeiten mit der englischen Sprache sind legendär, und es gibt eine täglich aktualisierte Website mit seinen geschundenen Sätzen. Eine Journalistin hat mal darüber spekuliert, ob er nicht vielleicht eine ernsthafte Leseschwäche habe. Bush erwiderte darauf – und dies ist kein Witz, sondern eine belegte Anekdote –: »Diese Frau, die da sagt, ich hätte Dyslexie, die habe ich noch nie interviewt!«

      Doch fast die Hälfte aller Wähler (24 Prozent der möglichen Wähler, denn nur 50 Prozent gingen zur Wahl) haben für ihn gestimmt, was weniger Bushs Fähigkeiten als Gores Unbeholfenheit zu verdanken ist. In einem neurotischen Anfall von Starrsinn beharrte Gore darauf, sich von Clinton als Person zu trennen – auch wenn sich nun wirklich niemand vorstellen konnte, dass er seine eigenen Monicas unterm Tisch hocken hätte –, und nutzte die acht ökonomisch fetten Jahre der Ära Clinton/Gore nicht für sich. Zudem gab er sich nicht damit ab, Bush mit den weniger populären Seiten der Republikanischen Partei in Verbindung zu bringen, wie zum Beispiel die fortgesetzten Untersuchungen gegen Clinton und die Anhörungen zum Amtsenthebungsverfahren – ein sechs Jahre währender Staatsstreich in Zeitlupe, der letztlich scheiterte. Am Ende ging es bei den Wahlen nur noch darum, wer als der Nettere ankam. Gore führte sich auf wie ein sehr nervöser Kindergärtner, der Ruhe bewahren will, und Bush war einfach nur der nette Kerl, der das Bier zur Party mitbringt.

      Der letzte zutrauliche Depp als Präsident, Ronald Reagan, war in seiner Liebedienerei gegenüber dem, wie Eisenhower es nannte, »militärisch-industriellen Komplex« geradezu servil. Steuern auf Unternehmen und Wohlhabende waren verschwindend gering, Verteidigungsausgaben stiegen in astronomische Höhen, das Land verplemperte seinen Überschuss, bis es Schulden in Billionenhöhe hatte. Die Mittelschicht verarmte, und die Armen wurden immer verzweifelter. Bush jedoch ist Teil einer neuen Machtstruktur, einer, die vielleicht noch furchterregender ist: der militärischindustrielle-christlich-fundamentalistische Komplex.

      Allen, gleich ob links oder rechts, ist klar, dass der unwichtigste Mann der neuen Regierung George W. Bush heißt. Seine Unwissenheit in allen Dingen des Regierens und der Welt ist so umfassend, dass er vollkommen von den Ratschlägen derjenigen in den Spitzenpositionen abhängig sein wird. Viele von ihnen stammen aus dem Pentagon. Dick Cheney, sein Vizepräsident – allgemein als der mächtigste Vize aller Zeiten angesehen –, war während des Golfkriegs Verteidigungsminister unter Bush senior. General Colin Powell, der Außenminister, ist ein charismatischer Mann mit der rührenden persönlichen Lebensgeschichte desjenigen, der sich aus der Armut erhebt – doch sollte dabei nicht vergessen werden, dass er dabei half, das Massaker von My Lai während des Vietnamkriegs zu vertuschen, dass er die Contras in Nicaragua beaufsichtigte und sowohl die Invasion Panamas als auch den Golfkrieg leitete. (Seine Berufung in das Amt stellt zudem einen Bruch mit dem ungeschriebenen Gesetz dar, dass Außenministerium und Pentagon, also Diplomatie und Militär, voneinander getrennt bleiben sollten, um sich gegenseitig zu kontrollieren.) Donald Rumsfeld, der Verteidigungsminister, ist ein übrig gebliebener Kalter Krieger, der dieses Amt schon in den Siebzigern unter Gerald Ford innegehabt hat und wohl aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt worden ist. Er ist bekannt für seinen Widerstand gegen jede Art von Waffenkontrolle und für seine Begeisterung für die Kriegführung im Weltall.

      Ihre Hauptanliegen werden darin bestehen, das sciencefiction-hafte Star-Wars-Verteidigungssystem Ronald Reagans wiederaufleben zu lassen (gegen wen es gerichtet sein soll, ist allerdings unklar) und, was ebenso erschreckend ist, in den Irak zurückzukehren. In ihren Kreisen wird der Golfkrieg als Niederlage betrachtet, weil er nicht mit der Ermordung Saddam Husseins endete. Bush muss seinen Vater rehabilitieren, Cheney und Powell sich selbst. Am ersten Tag der Präsidentschaft Bushs fanden sich auf den Titelseiten der Zeitungen bereits wieder Geschichten von der erneuten Produktion von »Massenvernichtungsmitteln« im Irak. Die einzigen nicht mit Hintergedanken lancierten Meldungen sind die von Erdbeben und Flugzeugabstürzen; alles andere wird immer von irgendjemandem erfunden. Geht es mit der Wirtschaft wieder bergab, womit durchaus zu rechnen ist, dann wird eine Rückkehr in den Irak sicher die willkommenste Ablenkung bieten.

      Clintons Wirtschaftsfreunde stammten zumeist von der Wall Street oder aus Hollywood; seine letzte Handlung als Präsident bestand darin, eine lange Liste von Schreibtischtätern zu begnadigen. Zumindest waren seine Wirtschaftsverbündeten ökologisch unbedenklich. Bushs kapitalistisches Universum, das sind die texanischen Öl-, Strom-, Bergbau- und Holzkonzerne.

      Clinton hatte ein Moratorium gegen die wirtschaftliche Ausbeutung von bundeseigenem Territorium ausgerufen und mehrere Millionen Hektar Land zu geschützter Wildnis erklärt. Bush hat bereits verlautbaren lassen, dass er beabsichtige, dieses Land wieder für Bergbau und Ölbohrungen freizugeben, vor allem in Alaska. (Selbst sein loyaler Bruder kämpft gegen seine Pläne, vor den Stränden Floridas Ölbohrtürme zuzulassen.) Während Bushs Amtszeit


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