Neulich in Amerika. Eliot Weinberger

Neulich  in Amerika - Eliot Weinberger


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mit der höchsten Luftverschmutzung in den Vereinigten Staaten – es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass die Schwerindustrie sich keinerlei Mühe gab, sich daran zu halten. Gayle Norton, die neue Innenministerin, weigerte sich als Justizministerin von Colorado, Umweltverschmutzer unter Anklage zu stellen, setzt sich vehement dafür ein, in den Nationalparks Bergbau und Ölbohrungen zu erlauben, und ist Feuer und Flamme dafür, dass die Umweltschutzauflagen nur freiwillig eingehalten werden sollen; sie glaubt nicht, dass die globale Erwärmung von Menschen gemacht ist, und sie ist bizarrerweise dagegen, Gesetze zum Verbot von Blei in Farben zu erlassen. Die neue Chefin der Umweltschutzbehörde EPA ist die ehemalige Gouverneurin von New Jersey, dem nach Texas am stärksten verschmutzten Staat, wo sie sich ebenfalls für die Freiwilligkeit der Umweltgesetze verwendete. Die neue Arbeitsministerin ist gegen Gewerkschaften, gegen Mindestlöhne und Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz. Der neue Energieminister, ein ehemaliger Senator, hatte erfolglos versucht, ein Gesetz zur Auflösung des Energieministeriums einzubringen.

      Dies alles ist schon schlimm genug, doch erinnert das an die Ära Reagan/Bush, als, um nur ein Beispiel zu nennen, die Person, die verantwortlich war für den Schutz bedrohter Tierarten, ein Großwildjäger war, dessen Büro mit den Schädeln der exotischen Tiere geschmückt war, die er geschossen hatte. Neu in der Ära Bush wird die Macht der christlichen Rechten sein.

      Während des Wahlkampfs trat Bush unter dem Slogan Compassionate Conservatism an. Im Allgemeinen verstand man darunter, dass er sich als Fiskalkonservativer mit sozialem Herz darstellen wollte. Nicht ein einziges Mal gingen die großen Medien auf die Bedeutung dieses Begriffs ein. Er wurde von einem gewissen Marvin Olasky geprägt, einem ehemals jüdischen Kommunisten, der sich zu einem wiedererweckten Christen entwickelte, Herausgeber eines fundamentalistischen Wochenmagazins ist und Autor von Compassionate Conservatism und The Tragedy of American Compassion sowie solchen Machwerken wie Prodigal Press: The Anti-Christian Bias of the American News Media und Telling the Truth: How to Revitalize Christian Journalism. [Mitfühlender Konservatismus; Die Tragödie des amerikanischen Mitgefühls; Verlorene Presse: Die antichristliche Voreingenommenheit der amerikanischen Nachrichtenmedien; Die Wahrheit sagen: Wie der christliche Journalismus neu zu beleben ist.] Olasky ist Bushs liebster, nun, sagen wir mal »Vordenker«, und seine Vision vom »mitfühlenden Konservatismus« stellt ein sehr spezifisches Programm dar: Regierungsgelder, die dazu bestimmt sind, den Armen, Kranken, Analphabeten oder Drogensüchtigen zu helfen, sollten an private christliche Wohltätigkeitsorganisationen weitergereicht werden. Allerdings qualifizieren sich nicht alle – darunter auch einige der bekanntesten – für diese Gelder. Die einzigen Organisationen, die diese Steuergelder erhalten sollen, sind jene, bei denen den Hilfesuchenden Kirchgang und Bibelstudium vorgeschrieben sind.

      Bush versuchte, in Texas ein solches Programm durchzusetzen, wurde dort aber letztlich von den Gerichten ausgebremst. In der ersten Woche seiner Präsidentschaft hat er bereits ähnliche Pläne angekündigt. Als Mann, der öffentlich kundgetan hat, dass jene, die nicht an Jesus glauben, zur Hölle fahren werden, ist es für ihn nur natürlich, zu übersehen, dass die Trennung von Kirche und Staat zu den Fundamenten der amerikanischen Regierung gehört.

      Während des Wahlkampfes versuchte er seine fundamentalistischen Verbindungen im Hintergrund zu halten und sprach von sich als »Einender, nicht Trennender«. Allerdings hielt er voller Freude eine Rede an einem evangelikalen College, der Bob Jones University, wo Studenten rausgeschmissen werden, wenn sie mit einer Person anderer Rasse ausgehen, und dessen Gründer den Katholizismus als »Religion des Antichristen und als satanisches System« bezeichnete.

      Kaum war Bush Präsident geworden, legte er alle Kreidefresserei schleunigst ab. Seine Amtseinführung war in ihrer besonderen Erwähnung von Jesus Christus statt eines ökumenischen Gottes einzigartig. Zum Justizminister, dem wichtigsten innenpolitischen Posten im Kabinett – demjenigen, der alle Bundesrichter und Staatsanwälte ernennt und dafür verantwortlich ist, Bürgerrechte, Umweltschutz- und Antitrustgesetze durchzusetzen –, bestellte er den ehemaligen Gouverneur und Senator John Ashcroft, der regelmäßig in Zungen redet (ebenso wie Richter Clarence Thomas, das einzige schwarze Mitglied einer ansonsten rein weißen Pfingstgemeinde) und eine tragende Säule der Bob Jones University ist. Bei seiner Wahl zum Senator vor sechs Jahren goss sich Ashcroft Speiseöl über den Kopf, um sich so im Stile der biblischen Könige selbst zu salben. Vergangenen November wurde er bei der Wiederwahl demütigenderweise von einem Toten geschlagen – sein Gegner war wenige Wochen zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

      Ashcroft, der als das rechteste Mitglied des Senats bekannt war – rechter noch als der berüchtigte Jesse Helms –, hat sich gegen jede Form der Empfängnisverhütung ausgesprochen, gegen die Aufhebung der Rassenschranken in den Schulen, gegen öffentliche Förderung der Künste, gegen Umweltschutzvorschriften, gegen Atomtestsperrverträge, gegen den rechtlichen Schutz von Frauen oder Homosexuellen, gegen Regierungshilfe für Minderheiten und sogar gegen Promillegrenzen am Steuer. Angeblich glaubt er, dass der Mord an einem Arzt, der Abtreibungen durchführt, eine zu rechtfertigende Tötung ist.

      Ashcroft ist nicht nur gegen jede Form von Waffenkontrolle, er ist auch mit einer Organisation namens Gun Owners of America verbunden, die glaubt, dass alle Lehrer Waffen tragen sollten, um mit widerspenstigen Schülern fertigzuwerden. Solche Ansichten sind im Team Bush durchaus nicht extrem, und dies in einem Land, in dem die Haupttodesursache bei Kindern Schussverletzungen sind, die meisten durch Unfälle. Als Kongressabgeordneter stimmte Vizepräsident Cheney gegen ein Gesetz, das Plastikwaffen untersagt, die jeden Flughafenmetalldetektor passieren – ein Gesetz, das selbst von der National Rifle Association befürwortet wurde. Vor ein paar Jahren erklärte Tom DeLay, ein ehemaliger Kammerjäger in Texas, der nun der einflussreichste Mann im Kongress ist, nach dem Schulmassaker an der Columbine High School in Colorado: »Ja, was erwarten Sie eigentlich, wenn diese Kinder in die Schule gehen und dort erzählt bekommen, dass sie von einer Horde Affen abstammen?«

      Das Bizarrste ist vielleicht, dass sowohl Ashcroft als auch Innenminister Norton wie besessen davon sind, die Niederlage des Südens im Amerikanischen Bürgerkrieg zu rächen – und das, obwohl sie im Norden beziehungsweise Westen des Landes geboren wurden. Ashcroft steht mit einem Neokonföderierten-Magazin namens Southern Partisan in Verbindung, das den Glaubenssatz vertritt, die Rassen hätten zu Zeiten der Sklaverei am besten miteinander gelebt, und »Neger, Asiaten, Orientalen, Hispanics, Latinos und Osteuropäer [verstünden] von Natur aus nichts von Demokratie«. Das Magazin produziert unter anderem ein T-Shirt mit einem Bild von Abraham Lincoln und den Worten »Sic Semper Tyrannis«, die John Wilkes Booth rief, als er Lincoln erschoss. Ein solches T-Shirt trug Timothy McVeigh an dem Tag, als er das Regierungsgebäude von Oklahoma City in die Luft jagte.

      Ashcroft ist derjenige, der für die Einhaltung der Gesetze in den Vereinigten Staaten zuständig sein wird. Ein Supreme Court, der seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr so offen politisch war, wird verantwortlich für die letztgültige Auslegung dieser Gesetze sein. Der Präsident ist eine lächelnde Stoffpuppe, umgeben von erfahrenen und intelligenten Militärs, Industriellen und christlichen Fundamentalisten, die zusammen mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress und ohne Gericht, das sie aufhalten könnte, im Prinzip tun und lassen können, was sie wollen. Die Vereinigten Staaten sind leider kein von Bergen umschlossenes Land im Himalaja oder in den Anden. Ein Erdbeben hier erschüttert die ganze Welt.

       27. Januar 2001

       Wo ist der Westen?

      [Statement für eine Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums »Im Westen was Neues – Europa zwischen Postatlantismus und Postkommunismus« an der Volksbühne in Berlin (13./14. Mai 2003).]

      Das Einzige, was über den Westen feststeht, ist, dass es nicht der Osten ist. Im Englischen aber – wie es im Deutschen ist, weiß ich nicht – ist es schwer zu sagen, wo der Osten liegt. Betrachtet man akademische Disziplinen, stellt man fest, dass das alte Mesopotamien im Nahen Osten liegt, der Irak aber im Mittleren Osten: Je näher es uns zeitlich kommt, desto weiter weg rückt es geografisch. China und Japan liegen im Fernen Osten, Indien aber liegt – trotz seiner östlichen Religionen – überhaupt nicht im Osten, sondern in Südasien. Orientalismus lautet


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