Lautstark verliebt. Regina Mars

Lautstark verliebt - Regina Mars


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ein Kerl hinter Korbinian. Schon hatte er sich neben ihn gesetzt, zum Glück nicht auf Cherrys Kasten. »Wie läuft's? Hast du VFL schon nachgeholt?«

      »Klar.« Mina lächelte entzückend. Oh, der dunkelhaarige Mann sah gut aus. Ohne Korbinian weiter zu beachten, verwickelte er Mina in ein Gespräch über … ihr Studium. Mehr verstand Korbinian davon nicht. Sie warfen mit Fachbegriffen um sich und seine Gedanken schweiften ab.

      Das mit Charles … Das war kein Date, oder? Nein. Nein, ganz bestimmt nicht. Bella hatte was von einem Mädchen erzählt, mit dem Charles geschlafen hatte …

      Aber was, wenn der bi war? Wie … wäre es, ein Date mit Charles zu haben? Allein der Gedanke verursachte ihm einen halben Herzinfarkt. Wenn der ihn küssen wollte? Oder gar …

      Äh.

      Irgendwie gefiel ihm der Gedanke.

      Sein ganzer Körper wurde ungefähr hundert Grad heißer. Und tausend Prozent kribbliger. Mindestens. Wenn Charles … Wie es sich wohl anfühlen würde, ihn zu küssen? Wie weich waren diese Lippen, die so nett lächeln konnten?

      Korbinian zuckte zusammen. Konnte man ihm seine Gedanken ansehen? Hektisch schaute er sich um. Immer noch beachtete ihn niemand. Wie immer. Gut.

      Nur langsam beruhigte sich sein Atem. Eine Viertelstunde später, als Mina ihn wieder bemerkte, hatte er sich endlich normalisiert.

      »Wo triffst du diesen Kerl denn?«, fragte Mina, als sie aus der Mensa traten. Eiskalter Wind schlug ihnen entgegen. Die stickigen Essensdüfte wurden durch dünne Stadtluft ersetzt.

      »Hier«, sagte Korbinian. »Er wollte mich abholen …«

      Da war er auch schon. Zwischen vorbeihastenden Studenten und Studentinnen stand Charles auf einem runden Betonblock, der im Sommer wohl als Sitzgelegenheit diente. Viele Studentinnen warfen ihm bewundernde Blicke zu. Er wirkte anders als die meisten. Selbstsicherer und gefährlicher, wie ein Raubtier in einer Herde Gnus. Elegant sprang er von dem Block und marschierte auf Mina und Korbinian zu.

      »Kor!«, rief er und grinste. Graue Augen blitzten hinter blonden Haarsträhnen und Korbinians Herz setzte einen Schlag aus.

      Nein, dachte er. Das kann kein Date sein. So viel Glück habe ich einfach nie.

      »Hallo, Charles«, sagte er.

      Mina starrte Charles mit offenem Mund an. Der nickte ihr zu.

      »Hi«, sagte er. Sie schwieg weiter. Und als sie sprach, redete sie mit Korbinian.

      »Das ist dein Kumpel?«, fragte sie.

      »Ja. Das ist Charles.« Korbinians Stimme war voll Stolz. »Charles, das ist meine Schwester Mina. Sie studiert hier. Charles hat meine Gitarre repariert.«

      »Das … weiß ich.« Verschiedene Gesichtsausdrücke huschten über Minas Gesicht, so schnell, dass Korbinian sie nicht deuten konnte. »Na dann, äh … Viel Spaß euch beiden. Ich muss los. Nian, du passt auf dich auf, klar?«

      »Klar.«

      Sie drückte Korbinian, behielt Charles aber immer im Auge. Der beobachtete sie interessiert. Oh nein. Was, wenn Charles Mina mochte? Lieber als Korbinian? Alle mochten Mina lieber als Korbinian, weil sie viel hübscher, klüger und lustiger war.

      Als er Seite an Seite mit Charles losging, versuchte er, den Gedanken zu verdrängen. Sie mussten seltsam aussehen, zu zweit. Gar nicht, als würden sie zusammenpassen …

      »War das deine große Schwester?«, fragte Charles. Jetzt, wo er sich bewegte, sahen ihn noch mehr Leute an. Bewundernd. Oder bildete Korbinian sich das nur ein?

      »Ja«, sagte er. »Sie ist ein Jahr älter. Ich weiß, das sieht nach mehr aus.«

      Ein leichtes Lächeln erschien auf Charles' Lippen und sofort zuckte ein verbotenes Bild durch Korbinians Kopf. Was, wenn er ihn wirklich küssen wollte?

      »Wirkt fast, als wäre sie deine Mutter. Als wollte sie auf dich aufpassen.«

      »Was?«

      »Na, sie hat mich so angeschaut … als ob sie dich verteidigen müsste.«

      »Meinst du?« Korbinian sah ihn fragend an.

      »Ja.«

      »Das …« Das kommt daher, dass ich keine Freunde habe und schon gar keine wie dich und sie sich fragt, was du von mir willst, wollte er sagen. Tat er aber nicht. Er fürchtete sich vor dem, was Charles davon halten würde.

      »Wo gehen wir hin?«, fragte er stattdessen.

      »Zu einem Freund. Ins Mephistos

      »Wohin?«

      »Den Laden, in dem ich meine Klamotten kaufe«, sagte Charles leichthin. »Ich krieg da Rabatt.«

      »Oh. Oh, gut.« Rabatt, das würde seiner Mutter gefallen, wenn er … Würde er wirklich mit einer neuen Garderobe heimkommen? Was würden seine Eltern dazu sagen? Aber daran wollte er gerade nicht denken. Außerdem war er erwachsen. Und … Nun, Charles würde sich bestimmt bald mit ihm langweilen, also musste er die Zeit nutzen.

      »Kann ich dich was fragen?«

      »Klar, was denn?« Felsgraue Augen betrachteten ihn. Schritte hallten dumpf über den Asphalt.

      »Heißt du wirklich Charles?«, platzte Korbinian heraus. »Oder ist das ein Spitzname?«

      »Ne, so heiße ich wirklich.« Ein Schatten flog über Charles' Gesicht. Oder bildete er sich das ein? »Meine Mutter kommt aus England.«

      »Oh. Ach so.«

      »Was hast du denn gedacht?«

      »Äh …« Korbinian kratzte sich mit der linken Hand an der Nase. »Dass du in Wahrheit Karl heißt oder so.«

      Charles lachte, voll und dröhnend. Passanten sahen sich nach ihm um. So lustig war das doch gar nicht gewesen, oder? Aber Korbinian mochte dieses Lachen. Er mochte es auch, Seite an Seite mit Charles durch die grauen Straßen zwischen den noch graueren Hochhäusern zu schlendern. Der Großteil des Schnees war schon weggeschmolzen und es sah ziemlich trostlos aus.

      »Ne, zum Glück ist das mein richtiger Name.« Charles schüttelte den Kopf.

      »Ja, das ist wohl besser als Karl«, murmelte Korbinian in seinen Kragen. Hm. »Kann ich dich noch was fragen?«

      »Okay, wenn ich danach dich was fragen kann.« Charles schenkte ihm ein Lächeln, das ihm den Atem verschlug. Er … Nein, das konnte kein Date sein. Bestimmt nicht. Aber er traute sich auch nicht, danach zu fragen. Stattdessen sagte er:

      »Warum bist du so nett zu mir? Ich … also … Warum willst du, dass ich morgen mitkomme?«

      Charles schaute ihn an. Etwas flackerte in seinem Blick, aber Korbinian war heute furchtbar darin, Leute zu lesen. Eigentlich war er das immer.

      »Das klingt bestimmt komisch«, sagte Charles schließlich. Er wirkte ernster. »Aber ich habe dich mit deiner Cherry gesehen und … ich versteh dich. Sie hat dich gerettet, oder?«

      Korbinian starrte ihn an. Schluckte hart.

      »Ja.« Ja, so könnte man das ausdrücken. »Ja. Ich …«

      Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie viel er von seinem traurigen Leben verraten sollte, dessen absoluter Höhepunkt es jeden Tag war, sich in seinem Zimmer einzuschließen und stundenlang zu spielen? Meistens mit Kopfhörern, weil der Sound seinen Vater in den Wahnsinn trieb.

      »Was immer du denkst, ich kenn das«, sagte Charles.

      »Meinst du?«, sagte Korbinian und dachte: Nein, tust du nicht. Du weißt nicht, wie sich das anfühlt, wenn man ein totaler Versager ist. Wenn alle ständig enttäuscht von dir sind.

      Sie redeten über unverfängliche Dinge, während sie weiterliefen. Irgendwie fiel es ihm leicht, mit Charles zu reden. Vielleicht, weil er sonst niemanden kannte,


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