Lautstark verliebt. Regina Mars

Lautstark verliebt - Regina Mars


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      »Was?« Kalter Schweiß bedeckte mit einem Mal Korbinians Nacken.

      »Na, du hattest doch Zweifel.« Charles' Stimme klang ein wenig kühler. »An meinen Fähigkeiten.«

      »Hatte ich nicht!«, stieß Korbinian hervor. »Ich hab nur … Cherry ist alles, was ich habe, und …« Peinlich, peinlich, peinlich. »Ich hatte nur Angst um sie.«

      »Mann, das versteh ich doch.« Das Mädchenschwarmlächeln verjagte alle Frostigkeit aus Charles' Antlitz. »Würde mir doch genauso gehen. Aber ich habe gute Arbeit geleistet, wie du gleich merken wirst«

      »Okay.« Korbinian räusperte sich. »Ich …«

      »Was?«

      »Ich habe noch nie vor jemandem gespielt«, brachte er heraus. Schweiß benetzte seine Handflächen. »Nur vor meiner Familie. Und die interessiert das eh nicht, also macht es mich auch nicht nervös …«

      »Aha.« Charles' Augenbraue wanderte nach oben. Aber ihn konnte wohl keine Absonderlichkeit aus der Ruhe bringen. »Ich kann so tun, als ob du gar nicht da wärst. Kein Problem.«

      »Ach, echt?«

      »Wenn's dir hilft.« Charles zuckte mit den Schultern. »Ab jetzt bist du Luft für mich.«

      Nein, rief etwas in Korbinians Hinterkopf. Das will ich doch gar nicht!

      »Danke«, murmelte er.

      Charles antwortete nicht. Er ging, ein Lied pfeifend, um die Werkbank herum und schaltete den kleinen Laptop ein. Dann setzte er sich und begann, den einzelnen Bund zu bearbeiten, der auf der Bank lag. Kurz darauf erklang wieder die Stimme aus den scheppernden Lautsprechern. Die schreiende, gruselige. Die, die dröhnte, als sei sie direkt aus der Hölle entsprungen. Leiser als das letzte Mal.

      Korbinian wurde also ignoriert. Gut.

      Mit klammen Fingern setzte er sich auf den Holzboden, so, wie er das zuhause tat. Er lehnte sich gegen die Wand, wie er sich normalerweise gegen sein Bett lehnte. Und legte Cherry quer über seine Brust.

      Es tat so gut, sie wieder zu halten. Seine Fingerspitzen tasteten über die Saiten und eine tiefe Ruhe überkam ihn. Die Bundstäbchen unter seiner linken Hand waren anders, neuer und standen weiter heraus. Aber sie waren gut eingearbeitet. Charles hatte sie eingearbeitet. Irgendwie machte ihn das glücklich.

      Versuchsweise griff er ein G und strich über die Saiten. Cherrys unverwechselbarer Klang drang aus dem Verstärker und mit einem Mal war er vollkommen entspannt. Als wäre er zuhause, griff er in die Saiten, spielte ein paar Riffs, dann eine simple Melodie. Ein Lied, das er aus einem YouTube-Video gelernt hatte. Eins, das er sich selbst ausgedacht hatte. Noch eins.

      Er versank in einem Zustand, den seine Mutter »Koma« nannte. Korbinian war einfach weg, wenn er spielte. In einer anderen Welt, sagte Mina. In einer besseren Welt, dachte er, aber das sagte er keinem.

      Er hielt inne und lauschte auf die ungewöhnliche Musik, die aus den Lautsprechern drang. Vielleicht war das Speed Metal? Probeweise versuchte er, der Melodie zu folgen, die der Gitarrist spielte. Er schaffte es fast, hinkte immer nur zwei Töne hinterher. Und als der Refrain zum zweiten Mal gebrüllt wurde, konnte er ihn taktgenau mitspielen. Je länger er es hörte, desto mehr gefiel es ihm. Er probierte, den Sänger anders zu begleiten, zu …

      Er schrak hoch, als jemand die Treppenstufen herunterpolterte.

      Die alte Frau, diesmal in einem anderen Metallica-Shirt.

      »Ach was, du kümmerst dich schon um den ersten Kunden?«, fragte sie. »Sehr gut … Was ist?«

      Hä? Aber sie sah nicht ihn an, sondern Charles. Und der … starrte auf Korbinian. Fassungslos. Die Hände auf die Werkbank gestützt, den Mund halb offen, mit riesigen grauen Augen … Korbinian hatte das Gefühl, hintenüber zu kippen. Zu fallen, obwohl sein Rücken sicher an der Wand lehnte. Warum schaute Charles ihn so an? Hatte er ihn … die ganze Zeit über so angesehen? Er spürte eine Gänsehaut, die seinen gesamten Rücken überzog.

      »Wie … lange spielst du schon?«, fragte Charles.

      »Ich … äh … zehn Jahre. Hab ich was falsch gemacht?« Korbinian hörte das Zittern in seiner Stimme. Charles schüttelte den Kopf, gottseidank.

      »Zehn Jahre? So? Und da hast du immer nur vor deiner Familie gespielt?« Der Blonde schaute ihn an, als wäre Korbinian ein Rätsel, das er unbedingt lösen musste.

      »Ja.« Korbinians Arm juckte. Er kratzte sich dort, dann juckte seine Kopfhaut. Alles juckte und kribbelte. Konnte dieser Charles aufhören, ihn anzusehen?

      Die Alte lenkte endlich seine Aufmerksamkeit ab, als sie scheppernd lachte.

      »Was, echt?« Sie grinste breit. »Die meisten gründen 'ne Band, bevor sie drei gerade Noten spielen können. Charles hier zum Beispiel. In der wievielten Band bist du jetzt, seit ich dich kenne? Der zehnten?«

      »Der elften.« Charles schien verstimmt. »Na und?«

      »Ich sag ja nur«, kicherte sie. »Ein bisschen von seinem Durchhaltevermögen würde dir nicht schaden. Und von seiner Bescheidenheit.«

      Was? Nein. Er wollte nicht … Würde Charles jetzt sauer auf ihn sein? Korbinian hatte gerade begonnen, sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen, was erstaunlich war, da er sich bei Fremden sonst nie wohlfühlte, und der Blonde ihm einfach in jeder Hinsicht überlegen war …

      Zum Glück schien Charles kein bisschen verärgert zu sein. Er zwinkerte Korbinian zu, was wieder so eine Biene in seinem Magen abheben ließ.

      »Vielleicht kannst du mir ja was beibringen. Wie heißt du eigentlich?«

      Oh nein.

      »Äh. Korbinian Schuster.«

      »Kor-was?!« Die Alte schien entsetzt. Aber Charles nickte bedächtig.

      »Korbinian. Hast du 'nen Spitznamen? Kor?«

      Nian, dachte Korbinian. Aber Kor klingt soviel besser. Fast … cool.

      »Ja«, behauptete Korbinian. »Kor. So nennen mich alle.«

      »Deine ganze Familie?« Die Alte grinste spöttisch und Korbinian hätte sich gern hinter seiner Gitarre verkrochen.

      Sah man ihm an, dass er keine Freunde hatte? Er hatte mal welche gehabt, na ja, zumindest Bekannte, aber die waren alle weggezogen, um irgendwo zu studieren …

      »Ärger ihn nicht«, sagte Charles und … lächelte. Noch viel mädchenschwarmiger als sonst. Wenn er nicht so ein schwarz gekleideter, tätowierter Band-Typ gewesen wäre, hätte er auch in irgendeiner Boygroup sein können. Oder ein Schauspieler. Alle schönen Menschen sahen sich irgendwie ähnlich.

      Korbinian war plötzlich furchtbar nervös. Ein Bienenschwarm schien durch seinen ganzen Körper zu rasen und er rappelte sich auf.

      »Ich … äh, sorry, dass ich so lange geblieben bin. Ich … zahl dann, und …«

      »Nein!« Charles sprang auf.

      Einen Moment lang wirkte er gar nicht mehr entspannt und cool. Einen sehr kurzen Moment lang. Dann war er wieder die Ruhe selbst. Er lehnte die Arme auf die Bank, als hätte er alle Zeit der Welt.

      »Ich meine … wenn du magst, kannst du noch ein wenig bleiben. Spielen. Mir gefällt's. Und Bella bestimmt auch, oder?«

      »Macht dieses Gejaule erträglicher«, brummte die und deutete auf die Lautsprecher.

      »Witzig.« Charles gähnte.

      »Mir gefällt's«, sagte Korbinian. »Die Musik da. Echt. Ich habe sowas noch nie gehört, aber … ich mag es.«

      »Grausig ist das«, sagte die Alte. Höhnisch. Und dann kapierte Korbinian etwas, das ihn schon die ganze Zeit unbewusst beschäftigt hatte. Diese Stimme aus der Hölle …

      »Das bist du, oder?« Er deutete auf Charles. »Du bist der Sänger.


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