Lautstark verliebt. Regina Mars

Lautstark verliebt - Regina Mars


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schnarrte die Alte. »In 'ner Woche ist sie fertig.«

      Eine Woche?, wollte Korbinian rufen. Geht das nicht schneller?

      Aber natürlich tat er das nicht, Opfer, das er war.

      Damit schien alles geklärt zu sein. Die Alte drehte sich um und watschelte zurück zu ihrer Werkbank. Charles drückte Korbinian den leeren Koffer in die Hände und wandte sich wieder zu seinem Regal um.

      Korbinian spürte kalten Schweiß in seinem Nacken. Cherry, dachte er. Sehnsuchtsvoll sah er zu der Wand, an der sie nun hing, zwischen einer blauen und einer mahagonifarbenen Gitarre. Sah auf Charles' muskulösen Rücken, das schwarze Langarmshirt, aus dessen Kragen ein Tattoo schaute, das er nicht identifizieren konnte. Etwas Beiges, Verästeltes. Ein … Geweih?

      »Äh, also …«, begann er. Charles drehte sich um.

      »War noch was?«, fragte er.

      Korbinian atmete tief ein.

      »Äh, ich …« Er straffte sich. »Pass auf sie auf, ja? Bitte.«

      Er sah Charles an, vermutlich so flehend wie ein hungriger Welpe, aber das war ihm egal. Er brauchte keinen Stolz, er brauchte nur Cherry. Etwas Erstaunliches geschah in Charles' selbstbewusstem, absolut coolem Gesicht. Ein Lächeln erschien. Eins, das bestimmt jedes Mädchenherz zum Schmelzen gebracht hätte, so warm und freundlich und verständnisvoll, wie Korbinian es nie erwartet hätte.

      »Mach ich«, sagte Charles. Seine Stimme war weich wie Karamell. »Versprochen.«

      Korbinian nickte, sprachlos. Einen Moment lang konnte er nur starren, dann kroch ein Lächeln in sein Gesicht. Ein bestimmt saudummes Lächeln, aber das war egal.

      »Danke«, flüsterte er. Und dann machte er, dass er aus dem Geschäft kam.

      Erst, als er wieder auf dem Kopfsteinpflaster stand, merkte er, dass sein Puls raste und sein Atem stoßweise ging. Er hatte es geschafft. Er hatte diesen coolen Laden überlebt und war auf halbem Weg, Cherry heil zurückzubekommen.

      Jetzt musste er nur noch eine Woche ohne sie überstehen.

      1.2 Korbinian

      Okay. Dieser Charles würde auf Cherry aufpassen. Er hatte es versprochen. Und irgendwie vertraute Korbinian ihm. Keine Ahnung, warum.

      Aber dieses Vertrauen machte die Zeit bis zum nächsten Montag erträglicher. Eine Woche … Er hatte keine Woche mehr ohne Gitarre überleben müssen, seit sie ihm damals die Affinity gestohlen hatten. Cherry hatte er nie nach draußen mitgenommen. Er selbst ging nicht gern raus. Wenn ihre Saiten kaputt gewesen waren, hatte er neue aus dem Internet bestellen können. Nur den Bund konnte er nicht allein …

      »Korbinian. Salat«, sagte seine Mutter und unterbrach seinen Gedankenstrom.

      »Hier«, murmelte er und reichte die glattpolierte Olivenholzschüssel über den Tisch.

      Seine Mutter schenkte ihm ein Nicken, dann hörte sie Mina weiter zu. Korbinian war froh, dass seine Schwester da war. Sie lenkte die Aufmerksamkeit seiner Eltern von ihm ab. Er schaute durch den Vorhang seiner Haare auf die Szene vor sich.

      Sie saßen um den blankpolierten, reich gefüllten Tisch wie eine Familie aus der Werbung: sein Vater, imposant und gütig, mit graumeliertem Schopf. Seine Mutter, selbstbewusst, streng und frisch erblondet. Seine Schwester Mina, die so herzlich lachte, dass Grübchen in ihren Wangen erschienen. Schwungvoll warf sie ihre honigfarbene Mähne zurück.

      Als wäre er in eine Sparkassenwerbung geraten. Nur er passte nicht ins Bild. Mager, schmächtig, zusammengesunken und schüchtern, die dunklen Haare vorm Gesicht, als wollte er sich dahinter verstecken. Wollte er auch. Immerhin, seine Akne war besser geworden.

      »Oh mein Gott, der Prof ist so lustig!«, sagte Mina. Wilhelmina Schuster, Vorzeigestudentin und -tochter, dachte Korbinian, ein wenig neidisch. »Ich habe schon so viel gelernt, viel mehr als bei allen anderen. Im Vergleich zu ihm sind die pädagogische Nieten.«

      »Ja, unterrichten will gelernt sein«, sagte ihre Mutter. »Das kann halt nicht jeder. Und nicht jeder will das lernen. Wir hatten im Studium so eine Nase …«

      »Professor Mylius?«, fragte sein Vater. Seine Mutter nickte.

      »Diese Pfeife. Hat immer nur vorn gestanden, auf seine Schuhspitzen geschaut und vor sich hingemurmelt. Kein Wort verstanden hat man.«

      Korbinian zuckte zusammen. Dieser Professor Mylius tat ihm leid.

      »Nian, komm doch mal mit!« Oh nein. Mina hatte ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. »Das würde dir guttun. Dann kannst du den Uni-Alltag schon mal kennenlernen. Wir könnten in der Mensa essen, wenn du magst. Dienstags gibt es 'nen superguten Hackbraten.«

      »Vielleicht«, murmelte er. »Mal schauen.«

      »Korbinian, das ist wirklich eine gute Idee.« Seine Mutter sah ihn ernst an. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Korbinian versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.

      »Ich schau mal«, flüsterte er.

      »Komm schon, Nian.« Mina setzte ihr bestes Große-Schwester-Lächeln auf. Als wollte sie ein verschüchtertes Kätzchen unter einem Auto hervorlocken.

      »Muss noch die Vorsteuer machen«, behauptete er.

      »Das hat doch Zeit«, sagte sein Vater entschieden. »Du schaust dir die Uni an, verstanden?«

      »Ich … Na gut.«

      Korbinian verstand ihre Frustration. Neunzehn Jahre mit einem Feigling, der sich nichts traute, mussten hart für sie sein. Für seine Eltern, mit ihrem erfolgreichen Laden für orthopädische Schuhe und den vielen Nebenprojekten. Dem Radfahren und dem Klettern und dem Fallschirmsprung im letzten Mai. Und seine Schwester, die eine Klasse übersprungen hatte, nie um eine Antwort verlegen war und jetzt als Beste ihr Studium meisterte … Ein Gedanke kam ihm.

      »Können wir … Kann ich am Montag mitkommen? Dann bin ich eh in Stuttgart.«

      »Bist du das?« Seine Eltern sahen ihn erstaunt an.

      »Ich habe die Gitarre weggebracht«, sagte er. »Musste repariert werden. Die Bundstäbchen waren …«

      »Ah.« Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Ich habe mich schon gewundert. Klar, für das Ding wagst du dich aus dem Haus.«

      Korbinian sah auf seine schlanken Hände mit den rauen Fingerspitzen. Seine Eltern mochten Cherry nicht. Sie hatten sich geweigert, ihm eine Gitarre zu schenken, also hatte er all seine Weihnachtsgeschenke auf eBay verkauft und mit dem Geld Cherry erstanden. Seine Mutter hatte eine Woche lang nicht mit ihm geredet.

      »Ich … Sie ist mir wichtig«, murmelte er.

      »Das wissen wir.« Seine Mutter verdrehte die Augen. Dann wurden ihre Züge weicher. »Das wissen wir doch, Schatz. Ich würde mir nur wünschen, dass du bei den Dingen, die dir wichtig sind, das richtige Maß finden würdest.«

      Korbinian brummte etwas Unbestimmtes.

      »Ach, lass ihn doch.« Mina zwinkerte ihm zu. »Das ist halt Liebe. Ich war damals doch dabei, als er beim Musik-Mischmasch seine erste Gitarre gefunden hat. Ich habe dich vorher nie wütend gesehen, Nian. Erst, als sie dir das Ding wegnehmen wollten, damit du mal was Anderes probierst.«

      »Ich wollte nichts Anderes probieren.«

      »Nein.« Sein Vater führte seine Gabel zum Mund. »Willst du ja nie. All das Geld für diese Musikschule und du hast die Geige nicht mal angerührt.«

      »Das war aber auch die Schuld der Musikschule«, sagte seine Mutter. »Immer diese Kuschelpädagogik. Die hätten ihn zwingen sollen.«

      »Den konnte man nicht zwingen.« Mina schüttelte den Kopf. »Und überreden auch nicht.«

      Der Musik-Mischmasch war, trotz des Namens, eine renommierte Kinder-Musikschule.


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